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5. Lrebelei
„—
# Liebeiei.
(Premiere der Kammerspiele des
Deutschen Theaters.)
Dieses Stück hat das Verdienst, ein leben¬
diges Teilchen echtester Wiener Liebenswürdig¬
keit künstlerisch gestaltet und festgehalten zu
haben. Das süße Mäde) — dieses Wort ist wohl
längst zur Phrase abgedroschen und bis auf das
Niveen der Drehorgeloperette herabgezarrt wor¬
dem Aber als es Arthur Schnitzler noch frisch
und saftig aus dem Wortschatz der Wiener Ge¬
fühlswelt herausgriff, hatte es seinen vollen
Gehalt und war ein recht anmmtiger Name für
ein anmutiges Ding. Die Art von Weiblichkeit,
die so bezeichner w#ird, erfüllt noch heute die
Wiener Straßen, die Wiener Häuser, die Wiener
Gärten vor allem. Sie ist ganz unmittelbar
dem Boden dieser Stadt entwachsen, uu dort
zu denten und zu finden. Aehnliches hatte Baris
einmal an seinen Grisetten; und doch, wie sehr
sind beide Thpen an Herkunft und Natur unter¬
schieden! Die Grisette, rein proletarisch, aller
Bürgerlichkeit gänzlich entemdet, hat nur mehr
den Mut und Uebernut ihrer Liebe; darin ist
sie stolz, stark un kühn — bis zur Frechheit.
Die Wienerin aber, die ihr junges Leben ähr¬
lich unbedacht in der Liebe verbrentcht, verliert
niemals den Zug bescheidener Bürgerlichkeit,
den sie von Hause mitbriagt. Sie stammt aus
der kleinen Familie. Aus den Kreise, meistens,
die, für Wien so tr##irig bezeichnend, im Ab¬
stieg sind. Aus kleinem Wahlstanl der langsam,
aber stetig verrinnt; aus einer gusen Ordnung,
die sich, unter dem Swang wach ender Ver¬
armung, mehe und mehr löst; aus einer bürger¬
lichen Behaglichkeit, die verfällt und verweht und
zu verzweifeln beginnt. Und was sie an so¬
zialem Charakter, an bürgerlicher Tugend von
dorther reiten kann, das bringt die arme junge
Seele in ihre Liebe hirübe. Sie gibt sich preis.
abe sie gibt sich kaum völlig auf. Ihrer
Anmut bleibt ein Schimmer von Unverdorben¬
heit beigemnengt, der nur in der Verzweiflung,
wenn alle Liebe aus und tot in, ganz
erlöschen kann. Solange aber dieser Strahl von
bürgerlicher Reinheit über ihr glänzt, blüht ihre
Grazie unter der Wärme ihres vollen Gefühls
nur um so sanfter und süßer. Ihre Reckheit noch
hat einen Zug von heimlichem Respekt, der nicht
verletzen will. Und ihr ganzes blondes, blau¬
äugiges Wesen, ihre ganze kleine, feine Person
hat eigentlich, inmitten all der sündigen Liebe
und schmerzlich=süßen Selbstverdammnis nur die
eine unausgesprochene, oft auch ganz unbewußte
Sehnsucht: zur Ehe zurückzufinden, zu irgend
einer Häuslichkeit, die nicht öhne Glück und Glanz
wäre, zum bürgerlichen Ursprung, von dem sie in
der Not ihres übervollen Herzens abgewichen ist.
So wäre es eigentlich eine Art von sozialem
Heimweh, was den süßen Mädeln in Wien ihre
weiche Sanftmut, ihre lieblich=bescheidene Güte, ihre
stille Standhaftigkeit gibt, — was sie süßer macht
als etwa die schnell eroberte Weiblichkeit anderer
Rassen. Gewiß, was sie an heller Schönheit, an
schlanker Anmut haben, die Melodie ihrer
Stimme und der Schmelz der blauen Augen, ist
ein Geschenk des Wiener Blutes, uralte Erbschaft
des Volkstums. Aber die stille Sehnsucht ihres
Herzens, die Sicherheit und Dauer und Wärme
des Gefühles, die lautlose Schmerzlichkeit ihrer
Liebe, — dieses Süßeste an ihrer Süße ent¬
springt dem instinktiv empfundenen Zwiespalt
zwischen ihrer bürgerlichen Herkunft und dem
Gang des Schicksals, das ihnen ihr Herz bereitet.
Auch damit, mit diesem gefährlich hilflosen
Schwanken zwischen zwei Schichten der Gesell¬
schaft sind sie echt wienerisch. Ist doch die Ent¬
wurzelung des kleinen Bürgertums seit manchem
Jahrzehnt schon das charakteristischste Moment
in der Wiener Zeitgeschichte.
Arthur Schnitzler hat diesen Typ des süßen
logisch verkleideien scène 3 kaire — wurde ihr
Ton so scharf und giftig, so von hartem Zorn
erfüllt, daß zwischen jener Süße und dieser
schreienden Gehässigkeit kein menschlich möglicher
Zusammenhang mehr blieb. Das mag ganz
unbewußt, ja gegen den Willen geschehen sein,
ein Effeit des überreizten, zu stark ange¬
spannten Organs. Aber für das Ohr und leider
auch für die Empfindung haben solche
Erwägungen nur fraglichen Wert. Auch schmä¬
lert das Abfallen dieser letzten, in sich schon un¬
wahren Szene nur wenig an den hohen künst¬
lerischen Graden der gesamten Leistung. Außer
dieser brachte die Vorstellung, die im ganzen sehr
fein und durchaus in der elegant nachsstilisierten
Echtheit des Stückes inszeniert war, an besonders
Erfreulichem noch die unaifdringliche Vornehm¬
heit des Herrn Dumont die das verdächtig
Unbestimmte der Schnitzlerschen Figur angenehm
dl.
verdeckte.
5. Lrebelei
„—
# Liebeiei.
(Premiere der Kammerspiele des
Deutschen Theaters.)
Dieses Stück hat das Verdienst, ein leben¬
diges Teilchen echtester Wiener Liebenswürdig¬
keit künstlerisch gestaltet und festgehalten zu
haben. Das süße Mäde) — dieses Wort ist wohl
längst zur Phrase abgedroschen und bis auf das
Niveen der Drehorgeloperette herabgezarrt wor¬
dem Aber als es Arthur Schnitzler noch frisch
und saftig aus dem Wortschatz der Wiener Ge¬
fühlswelt herausgriff, hatte es seinen vollen
Gehalt und war ein recht anmmtiger Name für
ein anmutiges Ding. Die Art von Weiblichkeit,
die so bezeichner w#ird, erfüllt noch heute die
Wiener Straßen, die Wiener Häuser, die Wiener
Gärten vor allem. Sie ist ganz unmittelbar
dem Boden dieser Stadt entwachsen, uu dort
zu denten und zu finden. Aehnliches hatte Baris
einmal an seinen Grisetten; und doch, wie sehr
sind beide Thpen an Herkunft und Natur unter¬
schieden! Die Grisette, rein proletarisch, aller
Bürgerlichkeit gänzlich entemdet, hat nur mehr
den Mut und Uebernut ihrer Liebe; darin ist
sie stolz, stark un kühn — bis zur Frechheit.
Die Wienerin aber, die ihr junges Leben ähr¬
lich unbedacht in der Liebe verbrentcht, verliert
niemals den Zug bescheidener Bürgerlichkeit,
den sie von Hause mitbriagt. Sie stammt aus
der kleinen Familie. Aus den Kreise, meistens,
die, für Wien so tr##irig bezeichnend, im Ab¬
stieg sind. Aus kleinem Wahlstanl der langsam,
aber stetig verrinnt; aus einer gusen Ordnung,
die sich, unter dem Swang wach ender Ver¬
armung, mehe und mehr löst; aus einer bürger¬
lichen Behaglichkeit, die verfällt und verweht und
zu verzweifeln beginnt. Und was sie an so¬
zialem Charakter, an bürgerlicher Tugend von
dorther reiten kann, das bringt die arme junge
Seele in ihre Liebe hirübe. Sie gibt sich preis.
abe sie gibt sich kaum völlig auf. Ihrer
Anmut bleibt ein Schimmer von Unverdorben¬
heit beigemnengt, der nur in der Verzweiflung,
wenn alle Liebe aus und tot in, ganz
erlöschen kann. Solange aber dieser Strahl von
bürgerlicher Reinheit über ihr glänzt, blüht ihre
Grazie unter der Wärme ihres vollen Gefühls
nur um so sanfter und süßer. Ihre Reckheit noch
hat einen Zug von heimlichem Respekt, der nicht
verletzen will. Und ihr ganzes blondes, blau¬
äugiges Wesen, ihre ganze kleine, feine Person
hat eigentlich, inmitten all der sündigen Liebe
und schmerzlich=süßen Selbstverdammnis nur die
eine unausgesprochene, oft auch ganz unbewußte
Sehnsucht: zur Ehe zurückzufinden, zu irgend
einer Häuslichkeit, die nicht öhne Glück und Glanz
wäre, zum bürgerlichen Ursprung, von dem sie in
der Not ihres übervollen Herzens abgewichen ist.
So wäre es eigentlich eine Art von sozialem
Heimweh, was den süßen Mädeln in Wien ihre
weiche Sanftmut, ihre lieblich=bescheidene Güte, ihre
stille Standhaftigkeit gibt, — was sie süßer macht
als etwa die schnell eroberte Weiblichkeit anderer
Rassen. Gewiß, was sie an heller Schönheit, an
schlanker Anmut haben, die Melodie ihrer
Stimme und der Schmelz der blauen Augen, ist
ein Geschenk des Wiener Blutes, uralte Erbschaft
des Volkstums. Aber die stille Sehnsucht ihres
Herzens, die Sicherheit und Dauer und Wärme
des Gefühles, die lautlose Schmerzlichkeit ihrer
Liebe, — dieses Süßeste an ihrer Süße ent¬
springt dem instinktiv empfundenen Zwiespalt
zwischen ihrer bürgerlichen Herkunft und dem
Gang des Schicksals, das ihnen ihr Herz bereitet.
Auch damit, mit diesem gefährlich hilflosen
Schwanken zwischen zwei Schichten der Gesell¬
schaft sind sie echt wienerisch. Ist doch die Ent¬
wurzelung des kleinen Bürgertums seit manchem
Jahrzehnt schon das charakteristischste Moment
in der Wiener Zeitgeschichte.
Arthur Schnitzler hat diesen Typ des süßen
logisch verkleideien scène 3 kaire — wurde ihr
Ton so scharf und giftig, so von hartem Zorn
erfüllt, daß zwischen jener Süße und dieser
schreienden Gehässigkeit kein menschlich möglicher
Zusammenhang mehr blieb. Das mag ganz
unbewußt, ja gegen den Willen geschehen sein,
ein Effeit des überreizten, zu stark ange¬
spannten Organs. Aber für das Ohr und leider
auch für die Empfindung haben solche
Erwägungen nur fraglichen Wert. Auch schmä¬
lert das Abfallen dieser letzten, in sich schon un¬
wahren Szene nur wenig an den hohen künst¬
lerischen Graden der gesamten Leistung. Außer
dieser brachte die Vorstellung, die im ganzen sehr
fein und durchaus in der elegant nachsstilisierten
Echtheit des Stückes inszeniert war, an besonders
Erfreulichem noch die unaifdringliche Vornehm¬
heit des Herrn Dumont die das verdächtig
Unbestimmte der Schnitzlerschen Figur angenehm
dl.
verdeckte.