5. Liebelei
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dem „reinlichen Zimmer“ der kleinen Christine spielt, kam eine
stark wirkende Einheit von realistischer Illusion und mitschwingen¬
den Imponderabilien zustande, während im ersten Aufzug die
Fäden wohl noch etwas straffer zusammengezogen werden könnten.
Dieser Eindruck lag indes vielleicht an der noch unsicheren, matten
Technik des Vertreters der männlichen Hauptr le. Der homo
novus Herr Eugen Dumont verlor in dem Streben, verhaute¬
nes Empfinden zum Ausdruck zu bringen, die Hauptsache: eben
# Kammerspiele des Deutscen Theaters.
das Empfinden selbst, das wir unter der Hülle trüber Ahnungen
* Mit Arthur Schnitzlers „Liebelei“ kam uns
und dem Deckmantel weltmännischer Reserviertheit doch lebendiger
Berlinern vor einem Dutzend Jahlen die erste eindrücksvolle Kunde
herausfühlen möchten. Möglich, daß er noch tiefer in die Rolle
von der modernen Wiener Art, von ihrer müden Anmut und
hineinwächst. Gestern stand er veit zurück gegen Fräulein
ihrem melanchalisch lächelnden Lyrismus, von ihrem subtilen, be= Höflich, die für die Gestalt der Christine alles mitbringt,
hutsamen Spie mit zart verästelten seelischen Vorgängen undleidenschaftliche Hingebung, die aus dem heeben Kern jungfräu¬
Beziehungen und von der freien Leichtigkeit ihres Ausdrucks, die so
lichen Stolzes sich auf Geheiß einer Naturgewalt loslöst, die Glut
naiv scheint und in Vahrheit doch nur aus der formalen Sicher= des innigsten Gefühls, die scheu verborgen sich entzündet und das
heit entspringt, die ne reife Kultur gewährt. Schnitzlers dra¬
ganze Gehäuse der Seele in Brand setzt, und die wehe, zuckende
matischer Erstling ist bis heute der blutvollste und gesündeste
Angst eines verwundeten Herzens. Mit nicht geringem Kunst¬
Vertreter dieser Gattung geblieben, die sich nur zu oft in gestalt¬
verstand überwand sie die großen Schwierigkeiten der etwas lang
loses Tändeln und dekadente Weichlichkeit verlor, oder in einer
gezerrten, fast monologischen Schlußexklamation durch ein
hitzigen Hypertrophie den unzulänglichen Ersatz für angeborene
Wechselspiel von Retardation und Steigerungd kstase. Ihr
poetische Energien suchte. Dies Trauerspiel des verratenen kleinen
Widerspiel, die lockere Mizi, war bei Fräulein Berger nicht
Mäbels, dem tiefste Herzensnot und Sinn des Lebens ist, was
sonderlich gut aufgehoben. Hier ward für eine fesche kleine Wiener
ihrem Liebsten nicht viel mehr als einen holden Zeitvertreib be¬ Modistin zu viel Routine und zu wenig dralle Frische ins Feld
deutet, hat bei aller schwebenden Träumerei in den einfachen geführt. Herr Ekert, dem die dankbare Rolle des herzigen
Linien seiner volkstümlichen Handlung ein sehr geschickt und fest Schwadronneurs zugefallen war, hätte vielleicht eher dasug
gefügtes theatralisches Knochengerüst. Die Mischung lyrischer
zu dem Duellanten als zu seinem Sekundanten; seine Natur neigt
Stimmungswerte und vorwärts drängender Bühnenkraft ist un¬
mehr zur Schwere als zum Leichten. Die kurze Szene des fremden
gemein glücklich abgewogen. Wir sehen ein tragisches Einzel¬
Herrn, der mit dem Schritt des Schicksals in die Junggesellen¬
schicksal mit unmittelbarer Lebendigkeit vor uns sich erfüllen und
heiterkeit des ersten Aktes zu treten hat, ward durch Herr¬
gewinnen über das alltägliche Beispiel hinaus einen erschütternden[ Steinrück mit Anstand erledigt. Die zweite Nebenrolle, die
Ausblick in die rätselhafte und verhängnisvolle Relativität mensch= mehr aus der Verlegenheit als aus der Notwendigkeit eingefügt
licher Beziehungen.
ist, spielte Sophie Pagay mit der einfachen Natürlichkeit,
Das Deutsche Theater wird in der älteren modernen Literatur
die wir an ihr schätzen. Weit über allen aber stand der alte
wenige Werke finden, die sich dem intimen Rahmen seines
Musikus des Herrn Pagay, der gütige Lebensphilosoph, den die
Kammerspielhauses so schmiegsam einfügen. Eine verständnisvolle
Jahre gelehrt haben, die Dinge dieser Weltlichkeit ohne die Brille
und kluge Regie sorgte gestern dafür, daß diese Vorteile aus. der Vorurteile zu betrachten, ein weicher, zärtlicher Mensch, der
genutzt wurden. Namentlich im zweiten und dritten Akt, der in die goldene Lauterkeit eines reinen Herzens durch die Wirrnisse
es Daseins trägt. Aus dieser rührenden Gestalt klangen leise
nnere Melodien, die auf die ergriffenen Hörer überströmten.
Die Zuschauer, im Anfang nicht ganz im Banne der Auf¬
führung, gaben sich dem Zauber der Dichtung in den letzten Akten
willig hin. Umso peinlicher wurde es empfunden, daß vor dem
Schluß einige Eilige, die fürchteten, zu spät zum Souper zu
sommen, störend durch den lautlosen Saal rauschten.
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dem „reinlichen Zimmer“ der kleinen Christine spielt, kam eine
stark wirkende Einheit von realistischer Illusion und mitschwingen¬
den Imponderabilien zustande, während im ersten Aufzug die
Fäden wohl noch etwas straffer zusammengezogen werden könnten.
Dieser Eindruck lag indes vielleicht an der noch unsicheren, matten
Technik des Vertreters der männlichen Hauptr le. Der homo
novus Herr Eugen Dumont verlor in dem Streben, verhaute¬
nes Empfinden zum Ausdruck zu bringen, die Hauptsache: eben
# Kammerspiele des Deutscen Theaters.
das Empfinden selbst, das wir unter der Hülle trüber Ahnungen
* Mit Arthur Schnitzlers „Liebelei“ kam uns
und dem Deckmantel weltmännischer Reserviertheit doch lebendiger
Berlinern vor einem Dutzend Jahlen die erste eindrücksvolle Kunde
herausfühlen möchten. Möglich, daß er noch tiefer in die Rolle
von der modernen Wiener Art, von ihrer müden Anmut und
hineinwächst. Gestern stand er veit zurück gegen Fräulein
ihrem melanchalisch lächelnden Lyrismus, von ihrem subtilen, be= Höflich, die für die Gestalt der Christine alles mitbringt,
hutsamen Spie mit zart verästelten seelischen Vorgängen undleidenschaftliche Hingebung, die aus dem heeben Kern jungfräu¬
Beziehungen und von der freien Leichtigkeit ihres Ausdrucks, die so
lichen Stolzes sich auf Geheiß einer Naturgewalt loslöst, die Glut
naiv scheint und in Vahrheit doch nur aus der formalen Sicher= des innigsten Gefühls, die scheu verborgen sich entzündet und das
heit entspringt, die ne reife Kultur gewährt. Schnitzlers dra¬
ganze Gehäuse der Seele in Brand setzt, und die wehe, zuckende
matischer Erstling ist bis heute der blutvollste und gesündeste
Angst eines verwundeten Herzens. Mit nicht geringem Kunst¬
Vertreter dieser Gattung geblieben, die sich nur zu oft in gestalt¬
verstand überwand sie die großen Schwierigkeiten der etwas lang
loses Tändeln und dekadente Weichlichkeit verlor, oder in einer
gezerrten, fast monologischen Schlußexklamation durch ein
hitzigen Hypertrophie den unzulänglichen Ersatz für angeborene
Wechselspiel von Retardation und Steigerungd kstase. Ihr
poetische Energien suchte. Dies Trauerspiel des verratenen kleinen
Widerspiel, die lockere Mizi, war bei Fräulein Berger nicht
Mäbels, dem tiefste Herzensnot und Sinn des Lebens ist, was
sonderlich gut aufgehoben. Hier ward für eine fesche kleine Wiener
ihrem Liebsten nicht viel mehr als einen holden Zeitvertreib be¬ Modistin zu viel Routine und zu wenig dralle Frische ins Feld
deutet, hat bei aller schwebenden Träumerei in den einfachen geführt. Herr Ekert, dem die dankbare Rolle des herzigen
Linien seiner volkstümlichen Handlung ein sehr geschickt und fest Schwadronneurs zugefallen war, hätte vielleicht eher dasug
gefügtes theatralisches Knochengerüst. Die Mischung lyrischer
zu dem Duellanten als zu seinem Sekundanten; seine Natur neigt
Stimmungswerte und vorwärts drängender Bühnenkraft ist un¬
mehr zur Schwere als zum Leichten. Die kurze Szene des fremden
gemein glücklich abgewogen. Wir sehen ein tragisches Einzel¬
Herrn, der mit dem Schritt des Schicksals in die Junggesellen¬
schicksal mit unmittelbarer Lebendigkeit vor uns sich erfüllen und
heiterkeit des ersten Aktes zu treten hat, ward durch Herr¬
gewinnen über das alltägliche Beispiel hinaus einen erschütternden[ Steinrück mit Anstand erledigt. Die zweite Nebenrolle, die
Ausblick in die rätselhafte und verhängnisvolle Relativität mensch= mehr aus der Verlegenheit als aus der Notwendigkeit eingefügt
licher Beziehungen.
ist, spielte Sophie Pagay mit der einfachen Natürlichkeit,
Das Deutsche Theater wird in der älteren modernen Literatur
die wir an ihr schätzen. Weit über allen aber stand der alte
wenige Werke finden, die sich dem intimen Rahmen seines
Musikus des Herrn Pagay, der gütige Lebensphilosoph, den die
Kammerspielhauses so schmiegsam einfügen. Eine verständnisvolle
Jahre gelehrt haben, die Dinge dieser Weltlichkeit ohne die Brille
und kluge Regie sorgte gestern dafür, daß diese Vorteile aus. der Vorurteile zu betrachten, ein weicher, zärtlicher Mensch, der
genutzt wurden. Namentlich im zweiten und dritten Akt, der in die goldene Lauterkeit eines reinen Herzens durch die Wirrnisse
es Daseins trägt. Aus dieser rührenden Gestalt klangen leise
nnere Melodien, die auf die ergriffenen Hörer überströmten.
Die Zuschauer, im Anfang nicht ganz im Banne der Auf¬
führung, gaben sich dem Zauber der Dichtung in den letzten Akten
willig hin. Umso peinlicher wurde es empfunden, daß vor dem
Schluß einige Eilige, die fürchteten, zu spät zum Souper zu
sommen, störend durch den lautlosen Saal rauschten.