II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 774

Liebelei
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Ins Milieu der dänischen Hauptstadt führt uns,
Gustav Esmanns als letzte Neuheit im Schauspielhaus
gegebenes Lustspiel „Vater und Sohn“. Der Theater¬
zettel gibt die Gegenwart als Zeit der Handlung an,
man fühlt sich indes, wenn der Vorhang aufgeht, um
mehr als ein Vierteljahrhundert zurückversetzt, trotz
des Tischtelephons im Kontor dieses Großhändlers Holm,
der seiner Tochter ganze hunderttausend Kronen Mitgift
gibt und von seinem zwanzigjährigen Sohn verlangt,
daß er die Uhr selbst aufzieht. Vater und Sohn Holm
sind im Grunde des Herzens zwei totgute Kerle, nur
daß der Alte sich äußerlich auf den Pedanten hinaus¬
spielt, während dem Sohn Paul noch ein gut Teil
jugendliche Windhundart anhaftet. Die beiden würden
trotzdem recht gut miteinander auskommen, wenn nicht
der Junge unter dem Einfluß eines schwadronierenden
Verführers ein Verhältnis mit einem süßen Mädel ein¬
ginge, und der Vater deshalb durch seine stets weiner¬
liche, moraltriefende Frau, seine katzenfreundliche
Tochter und deren „korrekten“ Bräutigam gegen den
leichtsinnigen Burschen aufgehetzt würde. In der
unvermeidlich gewordenen Aussprache ergibt sich, daß
Pauls unreife Verachtung des Herkömmlichen so weit
geht, daß er sich zu dem Vorsatz bekennt, seine
Kamilla heiraten zu wollen, da nur sie ihn ganz aus¬
zufüllen verstehe. Vater Holm läßt die Person kommen
und es gelingt ihm dank ihres, in diesem Augenblick
etwas merkwürdigen, dirnenhaften Benehmens, dem
irregeleiteten Knaben die Augen zu öffnen. Um ihn
vor weitern ähnlichen Torheiten zu bewahren, schickt
er ihn dann mit dem nächsten Schiffe ins Ausland.
Dies immerhin unsichere Mittel bewährt sich bei Paul
in unerwartetem Maße. Als er nach sechs Jahren zurück¬
kommt, ist er ein gemachter Mann, ganz besonders
ein Mann Dafür findet er nun den verehrten Vater
als Schwächling wieder. Der Grund dazu ist in einem
heimlichen Liebesbund des Fünfundfünfzigjährigen mit
Frau Lund, der Witwe eines seiner Kapitäne zu suchen.
Obgleich seine der Familie Posse entstammende Frau
in der Zwischenzeit glücklicherweise gestorben ist,
wagt der alte Holm aus falscher Scham, aus Scheu
vor seinen erwachsenen Kindern nicht, den Bund mit
der ihm in selbstloser Liebe angehörenden Frau zu
legalisieren. Die schiefe Stellung, in die er sich dadurch
gebracht hat, wissen seine Tochter Agathe und deren
Anhang in schlimmster Weise auszunutzen. Der frisch
zugreifenden Art des heimgekehrten Sohnes gelingt es
aber, Ordnung in die Verhältnisse zu bringen, indem
er den Vater bestimmt, den Mut zu seinem eigenen
Glück zu haben und die Geliebte zu heiraten.
Der Hauptreiz des Stückes liegt außer dem oft
witzigen Dialog in der echt lustspielhaften Anlage, die
die Situation des ersten Aufzuges im letzten, wieder
im Kontor des Großhändlers spielenden Aufzug, genau
umkehrt. Während dort der Vater dem Sohn den Kopfz
wäscht und ihn von der unwürdigen Geliebten befreit,
tut hier der Sohn dem Vater, zuweilen mit den gleichen
Worten, denselben Dienst, um ihn mit der würdigen
Geliebten zu vereinigen. Leider ist Esmann darauf
verfallen, in das harmlose Familienstück so etwas wie
einen Weltanschauungskonflikt hineinzutragen. Er läßt
zu diesem Zweck Paul Holm im Auslande eine Ameri¬
kanerin heiraten und diese Miß Ethel (von Fräulein
di Ranucci sehr belustigend gespielt) bringt in die
dumpfe europäische Kulturschlafstube den frischen
Morgenhauch amerikanischer Freiheit. In der Arf wie
der Verfasser durch ihren Mund Kritik an den puro¬
päischen Zuständen übt, offenbart sich ein charak¬
teristischer Zug der neueren nordischen Literatur, die
engen Verhältnisse der eigenen kleinstaatlichen Heimat
zu verallgemeinern. Das geht aber nicht an. So zum
Ausruhen auf materiellen und ideellen Errungenschaften
der Vorväter geneigt, wie Esmann seine Landsleute
darstellt, sind wir Deutschen von heute durchaus nicht.
Also hat das Stück für uns mehr ein völkerkundliches
Interesse.
Die hiesige Aufführung verdient uneingeschränktes
Lob. Neben der schon erwähnten Darstellerin der
Ethet boten besonders die Herren Odemar und Aßmann
als Vater und Sohn und Fräulein Goth in der kleinen
Rolle der Agathe ungemein lebensecht wirkende mit
manchen feinen Einzelzügen ausgestattete Figuren.
Auch Arthur Schnitzlers „Liebelei“ und „Ab¬
schiedssouper“ sind in dieser Spielzeit zum
ersten Mai über die Bühne des Schauspielhauses ge¬
gangen. Auf einen Abend mit Schnitzler freut man
sich immer. Er ist ein geistreicher Causeur, seine
knappen, fein ausgefeilten Geschichtchen haben stets
eine überraschende Pointe, und es schwirrt nur so
von treffenden Apergüs über die Frauen und die Madeln
und über die Liebe als Zeitvertreib und Sport, wie sie
in den Kreisen seines Anatol, Fritz und Theodor
gepflegt wird. Nehmen wir nun einmal an, überlegt
Schnitzler in der „Liebelei“ so ein aus Langeweile,
wie eine Art Nervenreizmittel genommenes Mädchen
fühlt wirklich Liebe, — am Ende gibts ja so was doch
auch noch —, das arme Ding muß ja kreuzunglücklich
werden, wenn es hinterher erfährt, zu was es eigentlich
dem Geliebten gut gewesen ist. Schnitzler wird ganz
sentimental, indem er sich das so recht vorstellt, und
offengestanden, wenn er sentimental wird, gefällt er
mir nicht. Es kann aber auch an der Aufführung
gelegen haben. So gretchenhaft, wie Fräulein Neuhoff
die Christine gab, hat sie sich der Dichter doch wohl nicht
vorgestellt. Etwas mehr Temperament und Schwüle
muß von Anfang an in ihr zu spüren sein, sonst wirkt
die Schlußwendung einfach unglaubhaft. Im Allgemeinen
wurde zu sehr Komödie gespielt, der Wiener Dialekt
machte den Darstellern Schwierigkeiten und diente
nur dazu, die Illusion zu zerstören. Am echtesten wirkten
noch Herr Dysing als Theodor und Antonie Lipsky
als Frau Binder. Derköstliche Einakter „Abschiedssouper“
in dem Schnitzler selbst sich nicht so geklügelt gibt,
wurde weit stimmungsvoller herausgebracht. Es wehte
da wirklich Wiener Luft von der Bühne. Das selbstver¬
ständlich Geistreiche des Einleitungsgesprächs zwischen
den beiden Freunden Anatol und Max wurde von den
Herren Dysing und Lindner in unaufdringlicher Weise
voll zur Geltung gebracht. Margarete Frey als Annie
war von hinreißender Ausgelassenheit. Man hatte, als
man das Theater verließ, das Gefühl, selbst ein Glas
prickelnden Sekt bei diesem fidelen Abschiedssouper
E. Kaiser.
mitgeschlürft zu haben.