II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 963

Liebele
5. L1 box 11/6
Feuilieton der Kömnischen Volkszeitung. Nr. 10 2. 2.Dez.1910.
Weit und Wissen
5

b
Theater und Konzerte.
2#
2 Kölner Opernhaus.
V004 Zum ersten Male: Tiebelet.
Oper in drei Akten von Franz Neumann.
Die Opernmusik von heute wird immer mehr Theatermusik mit
veränderten Gattungsmerkmalen. Ehedem empfing der Komponist
vom Texre nur die Richtung und Stimmung und schuf daraus,
musikanscher Selbstherrscher in Zeichnung und Farbe, ein Neues,
Selbständiges in seiner Musik. Heute borgt er sich vom Librettisten
einen Text, der in seiner dem rezitierenden Schauspiel fast gleich¬
kommenden Ausführlichkeit der Diktion die fertige Zeichnung ist,
die der Komponist nur zu kolorieren braucht. Auf diesem Wege
zur Oper kamen Dumas und Verdi in der Traviata, Sardou und
Giordano in der Fedora, Shakespeare und Verdi im Falstaff zu¬
sammen. Den letzten Schritt zu einer Oper, die gewissermaßen
nur musikalisch unterstrichene Worte enthält, tat Richard Strauß:
Salome und Elektra, auf den unveränderten Text der gleich¬
nämigen Schauspiele komponiert, sind gesungene Theaterstücke mit
instrumentalem Sperrdruck. Diese Wendung in Dingen der Oper,
der man nur mit bekummertem Blick in die Zukufnt folgen kann,
geht auf den mißverstandenen Wagner zurück. Der hat uns zwar
die erhöhte Schätzung des Dramas, der Handlung in der Oper ge¬
lehrt, aber sein Weg liegt ebenso weitab von den undramatischen,
im Grunde musikwidrigen Bestrebungen eines Richard Strauß wie
von der jungitalienischen Wirklichteitsoper eines Puccini und
Giordano, die mit ihrem Realismus gleichfalls den Weg des ge¬
sprochenen Schauspiels gehen. Wagner erblickte in der Musik den
Ausdruck des „Reinmenschlichen“ und griff deshalb auf die Ge¬
staltenwelt des Mythos zurück, der Verismo der Italiener bringt
immer modernere Stoffe auf die Bühne, läßt Pistolen knallen
(Mascagni), Schwindsüchtige hüsteln (Puccini) und ruft die Musik
gar zur Abfassung von Polizeiprotokollen zu Hülfe (Giordano).
Mok###remetorten, Zigarrenkistchen, Streichhölzer samt dem zu¬
gehörig Dialog nach dem fast unverändert übernommenen Text
des gleichnämigen Schauspiels von Arthur Schnitzler schleppt auch
Franz Neumann, Dirigent der Frankfurker Oper, in seiner
dreiaktigen Oper Liebelei auf die Buhne. „Ich hab' noch extra
was gekauft, was du nicht aufgeschrieben hast ... eine Moktacreme¬
torte“ „Wo sind denn die Zigarren, Fritz?“, „Sagen Sie, liebe
Christine, haben Sie kein Zundholz? — Ich bring' Iynen eins“
diese und hundert andere Prosaismen, in Musik gesetzt, sind der
Opernstil von heute. Der Stier mit dem Flügelpferde vor den
Pflug gespannt! Was ist gewonnen, wenn bei den Zigarren das
Orchester aussetzt, an anderen Stellen der Gesang in gesprochene
Rede übergeht und die Zundhölzer zu einem vom Qaartett gehal¬
tenen Akkord gesucht werden? Auf diese Weise kann man auch die
Analysis zum phthagoräischen Lehrsatz oder eine Speiselarte in
Musiksetzen. Den Schlufsel zu diesem Konversationsstil hat sich
der Komponist bei Puccini ausgeborgt, wenn auch glücklicherweise
eigentliche Puccinismen die technischen Handgriffe nicht begleiten.
Neumanns Musik ist vielmehr von bemertenswerter Selbständig¬
keit und so beweglich, als eine sein kann, die sich ganz von dem
rezitierten Worte und der Szeue an der Leine fuhren läßt
und nur da sich auf sich selbst besinnt, wo es in einer Oper
unerläßlich ist: in den Liebesszenen. Richtiger sagen wir vielleicht
Liebeleiszenen, denn für einen dauernden und soliden Bund ist das
Thema zu dürftig. Was der Komponist in klangschöner Melodik
damit erreicht, ist interessant genug, um dem zweiten all den
Preis an einheitlicher, gut fundierter Wirkung zuzuertennen. Sie
wäre noch bedeutender, noch — musikalischer, wenn es der Kom¬
ponist hätte über sich gewinnen können, um Fritz und Christine
das Band eines Duetts von nur wenigen Takten zu schlingen. Man
trägt als Musiker schwer an den Ketten selbstgewählter und
ach so verfehlter Gebundenheit an die Regern des Schau¬
spiels, das kein Ensembie, kein Duett, ja sogar keinen Mo¬
nolog mehr kennt! Worauf alle Musik hinzielt, ihrer Natur nach
hinzielen muß, sich lyrisch auszubreiten und durch die Kunst des
votalen Klangwechsels zu wirken — auf solch eminente Ausdrucks¬
mittel verzichtei Neumann. Wir hören die ganze Oper hindurch
nicht einen Takt zweier zusammenjingender Stimmen, kein Duelt,
kein Terzett, kein Ensembie, nur ein dialogisch geführtes Hinter¬
einander der Stimmen, das dem Hörer schließlich auf die Nerven
fällt. Der Komponist strebt da Schauspielwirtungen nach, die er
naturgemäß nicht erreichen kann. Die Schauspielstucke der Oskar
Wilde, Hoffmannstyal, Schnitzler werden immer einheitlicher und
tiefer wirten, als in der kotelt=anspruchsvollen Vertonung durch
Strauß und Neumann. Man konnte die Beobachtung auch an dem
gestrigen Premierenpublikum machen, das erst nach der Liebesszene
des zweiten Aktes wärmer wurde und am Schlüsse des dritten,
der die tragischen Spannungen enthält, sich zu einem temperierlen
Achtungserfolg für den anwesenden Komponisten bestimmen ließ,
während das — ja bekannte und auch in Köln oft gegebene —
Schauspiel Schnitzlers, oowohl es statt Gefühle nur Gefühlchen,
statt tragische Empfindungen nur wienerisch gefärbte Ruyrsamkeit
vermittelt, seiner Wirtung steis sicher ist.
Den einmal gewählten Konversationsstil beherrscht Neumann in
eigener Art. Sein Verfahren ist allerdings einfach genug. Er
nimmt eine Grundstimmung, tändelt darin mit seinen Motiven in
steis anziehender Instrumentierung und läßt die Sänger dazu ein
flussiges Parlando rezitieren. Wo der Texi es gestattet, unterbricht
er den Plauderton (so im ersten Akte durch einen Wiener-Walzer,
durch ein Lied aus dem Locheimer Lie erbuch) oder weitet inn zu
einer lyrisch geführten Szene (Liebessz#je des zweiten Aktes), oder
versetzt ihn mit episodischem Beiwerk id tragischen Spannungen,
e instrumentaler Kontrast¬
wobei es zu einem reizvollen Wechsel
dritten Akte, Mascagni¬
farben kommt (Szene der Nachbarin
uch das intermezzo sinfonico
Melismen und tragischer Fnoco-Schi#
en Altes geworden, während
fehlt nicht, es ist zum Vorspiel des
üdert und Fritz im Trauer¬
die Einleitung des dritten das Du
nann, der in dieser Oper eine
schritte zu Grabe geleitet. In Fra¬
dungen eine sehr erfreuliche
trotz aller nötigen prinzipiellene
eutschen musitalischen Bahne
Talentprobe abgelegt hat, schein
ndet er sich auf den richtigen
ein neuer Mann gewonnen zu
manches Gute zu erwarten
Weg zurück, so durfte von ihm
enfalls zum Aufhorchen.
sein. Seine Liebelei=Oper zwin
as besagt schon, daß sie vor¬
Die Aufführung leitete Loyse
dem Orchester, das steis durch¬
trefflich war. Er widmete beso
Liebe. Franz Weißleder hatle
sichtig und wohllautend bleibt,
chickt behandelt und sorgte für
die Inszenierung sorgsam und
er und Szene. Die Damen Dux
den rechten Kontakt von Ort
zu spielen: jene als Christine das
und Fink hatten nur sich selb
Mädchen mit dem tieferen e ahlsteben, diese die Wienerin, die
auf den literarischen Rufna#n des „sußen Mädels“ hort. Heiur.
Winckelshoff war als Fritz ei flotter junger Herr, der mit einem
glänzenden hohen H Abschied nahm, Liszewsky ein ebensolcher
Theodor. Vortrefflich gab Karl Neldel den alten Weiring, und in
den episodischen Partien wirkten Jul. vom Scheidt (ein Herr“)
und Katharina Rohr (Katharina) seyr verdienstlich. Das Publikum
bereitete dem Werte eine sehr freundliche Auf nahme und rief den
Komponisten mit den Da stellern mehrmals.
K. Anton Stehle.