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Sulzburger Chronit
diese Rassenmischung germanischer, slawischer, auch
romanischer, jüdischer Elemente. Das gibt eine
träumende, melancholische Lebenslust. Der Nicht¬
Wiener hält das für paradox, Aber wer den Wiener
Walzer kennt, der fühlt aus seiner weichen, schmieg¬
samen Musik eine leichte Trauer, ein fortwährendes,
unbestimmtes Aengstigen. Und gerade in der Wie¬
ner Musik und Poesie tönt immer das Zügenglöcklein
leise mit. Als ob die Lebenslustigen mit dem Tode
gute Freunde wären; so sind sie auch in ihrer Liebe:
stürmisch, heiß, jauchzend in der Freude, aber immer
mit dem tragischen Refrain auf der Lippe: „Gelt du
bleibst mir treu?“ Als ob sie vor sich selbst Angst
hätten. Solche Gestalten hat Arthur Schnitzler in
seiner Liebelei geschaffen. Aber aus dem Stücke, das
seit 9. Oktober 1895 am Burgtheater heimisch ist,
tönt in diese melancholische Lebenslust des „süßen
Mädels“ der harte, gerechte Anklageruf des Dichters:
spielt nicht mit Herzen, denn ihr setzt
dadurch oft Leben auf eure Karten;
Und die Tragik der Christine Weirig ist eine so er¬
schütternde, daß sie eine reine Wirkung auf den
Menschen ausüben muß; und dadurch ist die Ko¬
mödie zum Kunstwerk geworden.
Die gestrige Darstellung hat durch die klassische
Leistung Frl. Dürrs als Christine einen vollen
Erfolg gehabt: Frl. Dürr hat all die Töne ihrer
vielbesaiteten Seele voll und rein klingen lassen; ich
stehe nicht an, zu sagen, daß ihre Christine sich
dauernd in mir mit der Gestalt des Dichters ver¬
binden wird. Max Neufeld hat sich sehr Mühe
gegeben, einerseits zu empfinden, was er spielte, und
anderseits auch seine Empfindungen natürlich zu
geben. Der Wiener Ton gelang ihm aber ebenso
venig wie Herrn Weyrich. Eine prächtige Wiener
Type schuf Fr. Lerach; das war wieder eine ihrer
Bravourleistungen, und wenn ich mir hiezu aus
Schönherrs „Erde“ ihr „Totenweiberl“ denke, so
stanne ich über die Vielseitigkeit ihres Talentes und
habe den Wunsch, daß sie sich nur in Rollen zeigt, die
ihr entsprechen und mit denen sie daher sich selbst
vervollkommnet. Frl. Weißenbacher verdient
viel Lob; auch Herr Günther gab seine kleine
Rolle gut.
Dann hat man eine einaktige Komödie von
Bernhard Shaw gegeben, den „Schlachtenlenker“.
Inhalt: Napoleon wird von einer Frau überlistet.
Das ist mit reichem Geiste gemacht. Aber Shaw hat
die vielen Bonmots aneinandergereiht wie Summan¬
den; der Zuhörer soll sich also die Summe ausrech¬
nen; das kann man durch die Lektüre erreichen;
aber der Dichter sollte seine Geistesfaktoren multi¬
plizieren, sie zu einem Produkte vereinigen, wenn er
auf der Bühne wirken will. Seine Additionsreihe
von Gedanken — mancher Summand kehrt übrigens
oft wieder — stellt an Schauspieler und Zuhörer zu
starke Anforderungen. Und dann liebt es Shaw,
daß sich seine Gestalten selbst entlarven; ähnlich wie
Ibsen; aber Shaw läßt diese Entlarvung nicht durch
4
„OBOEITER
f. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohae Gewähr).
Ausschnitt aus:
Meraner Zeitung
vom: 10CAR 191n
Theater, Musik und Kunst.
(Stadttheater.) Am Donnerstag weihte#
unser Stadttheater dem erfolgreichsten der mo¬
dernen österreichischen Bühnenschriftsteller, Artun
Schnitzler, einen Abend. „Liebelei“ und der
Hemmter „Literatur“ kamen zur Aufführung
und zwar — wie wir es gleich betonen wollen
zur recht gelungenen Aufführung. Der
Löwenanteil am Erfolg des Abends riß unstrei
#tig Frl. Nunner an sich, die in „Liebelei“ als
Christine Weiring eine schöne Probe ihres reichet
Talentes ablegte. Das war keine Theatermache
das waren einfache, schlichte Natürlichkeit, echt¬
Herzenstöne, blutender Schmerz. Das war abe
auch ehrliches Studium, tiefernste psychische un
Verstandes=Arbeit, in deren Verbindung nur da
Talent zum Erfolge führt. Die ganze Gestal
„wie aus einem Guß — selbst die noch etwa
unsicheren Bewegungen paßten diesmal zu der
Charakter — steigerte sich von Szene zu Szen
bis zum tragischen Schlußakkord. Wenn wi
dennoch einen Tropfen Wermut in den Beche
des schönen Erfolges mischen, so geschieht es nu¬
zur Aneiferung dieser schönen Begabung. Dieset
Wermutstropfen heißt: Mehr Achtung auf die
Sprache im Affekt und im Gebrauch des Organs.
Der die Bühne beherrschende Herr Werner gab
uns in der Rolle Theodors eine jener reifen
Leistungen, wie sie schon zur Tradition des Me¬
raner Theaters geworden sind. Jugendfrisch
sekundierte ihm Herr Lerch als Fritz Lobheimer,
wenn er zeitweise auch gar zu schwere
Akzente anschlug. Frl. Menari war trefflich,
wie immer; und doch schien es uns, als ob ihre
Leistung durch etwas geniert gewesen wäre, wo¬
durch sie an Natürlichkeit ein wenig verlor. Frau
Hoppé charakterisierte die Frau Binder mit
Verständnis. Herr Hoppé gab den Vater
Weiring mit bekannter Sicherheit und Herr
Mauth wußte in die paar Worte des fremden
Herrn Stimmung hineinzulegen. In dem zweiten
Stücke des Abends „Literatur“ einem reizenden
Lustspiel, verbanden sich Herr Werner, Frau
Weidt und Herr Hoppé zu einem trefflichen
Kleeblurt. Der letztere kehrte die Komik zu stark
hervor, wodurch er zu spießbürgerlich wirkte und
den Typus der leichtlebigen Boheme ver##schtd.
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diese Rassenmischung germanischer, slawischer, auch
romanischer, jüdischer Elemente. Das gibt eine
träumende, melancholische Lebenslust. Der Nicht¬
Wiener hält das für paradox, Aber wer den Wiener
Walzer kennt, der fühlt aus seiner weichen, schmieg¬
samen Musik eine leichte Trauer, ein fortwährendes,
unbestimmtes Aengstigen. Und gerade in der Wie¬
ner Musik und Poesie tönt immer das Zügenglöcklein
leise mit. Als ob die Lebenslustigen mit dem Tode
gute Freunde wären; so sind sie auch in ihrer Liebe:
stürmisch, heiß, jauchzend in der Freude, aber immer
mit dem tragischen Refrain auf der Lippe: „Gelt du
bleibst mir treu?“ Als ob sie vor sich selbst Angst
hätten. Solche Gestalten hat Arthur Schnitzler in
seiner Liebelei geschaffen. Aber aus dem Stücke, das
seit 9. Oktober 1895 am Burgtheater heimisch ist,
tönt in diese melancholische Lebenslust des „süßen
Mädels“ der harte, gerechte Anklageruf des Dichters:
spielt nicht mit Herzen, denn ihr setzt
dadurch oft Leben auf eure Karten;
Und die Tragik der Christine Weirig ist eine so er¬
schütternde, daß sie eine reine Wirkung auf den
Menschen ausüben muß; und dadurch ist die Ko¬
mödie zum Kunstwerk geworden.
Die gestrige Darstellung hat durch die klassische
Leistung Frl. Dürrs als Christine einen vollen
Erfolg gehabt: Frl. Dürr hat all die Töne ihrer
vielbesaiteten Seele voll und rein klingen lassen; ich
stehe nicht an, zu sagen, daß ihre Christine sich
dauernd in mir mit der Gestalt des Dichters ver¬
binden wird. Max Neufeld hat sich sehr Mühe
gegeben, einerseits zu empfinden, was er spielte, und
anderseits auch seine Empfindungen natürlich zu
geben. Der Wiener Ton gelang ihm aber ebenso
venig wie Herrn Weyrich. Eine prächtige Wiener
Type schuf Fr. Lerach; das war wieder eine ihrer
Bravourleistungen, und wenn ich mir hiezu aus
Schönherrs „Erde“ ihr „Totenweiberl“ denke, so
stanne ich über die Vielseitigkeit ihres Talentes und
habe den Wunsch, daß sie sich nur in Rollen zeigt, die
ihr entsprechen und mit denen sie daher sich selbst
vervollkommnet. Frl. Weißenbacher verdient
viel Lob; auch Herr Günther gab seine kleine
Rolle gut.
Dann hat man eine einaktige Komödie von
Bernhard Shaw gegeben, den „Schlachtenlenker“.
Inhalt: Napoleon wird von einer Frau überlistet.
Das ist mit reichem Geiste gemacht. Aber Shaw hat
die vielen Bonmots aneinandergereiht wie Summan¬
den; der Zuhörer soll sich also die Summe ausrech¬
nen; das kann man durch die Lektüre erreichen;
aber der Dichter sollte seine Geistesfaktoren multi¬
plizieren, sie zu einem Produkte vereinigen, wenn er
auf der Bühne wirken will. Seine Additionsreihe
von Gedanken — mancher Summand kehrt übrigens
oft wieder — stellt an Schauspieler und Zuhörer zu
starke Anforderungen. Und dann liebt es Shaw,
daß sich seine Gestalten selbst entlarven; ähnlich wie
Ibsen; aber Shaw läßt diese Entlarvung nicht durch
4
„OBOEITER
f. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohae Gewähr).
Ausschnitt aus:
Meraner Zeitung
vom: 10CAR 191n
Theater, Musik und Kunst.
(Stadttheater.) Am Donnerstag weihte#
unser Stadttheater dem erfolgreichsten der mo¬
dernen österreichischen Bühnenschriftsteller, Artun
Schnitzler, einen Abend. „Liebelei“ und der
Hemmter „Literatur“ kamen zur Aufführung
und zwar — wie wir es gleich betonen wollen
zur recht gelungenen Aufführung. Der
Löwenanteil am Erfolg des Abends riß unstrei
#tig Frl. Nunner an sich, die in „Liebelei“ als
Christine Weiring eine schöne Probe ihres reichet
Talentes ablegte. Das war keine Theatermache
das waren einfache, schlichte Natürlichkeit, echt¬
Herzenstöne, blutender Schmerz. Das war abe
auch ehrliches Studium, tiefernste psychische un
Verstandes=Arbeit, in deren Verbindung nur da
Talent zum Erfolge führt. Die ganze Gestal
„wie aus einem Guß — selbst die noch etwa
unsicheren Bewegungen paßten diesmal zu der
Charakter — steigerte sich von Szene zu Szen
bis zum tragischen Schlußakkord. Wenn wi
dennoch einen Tropfen Wermut in den Beche
des schönen Erfolges mischen, so geschieht es nu¬
zur Aneiferung dieser schönen Begabung. Dieset
Wermutstropfen heißt: Mehr Achtung auf die
Sprache im Affekt und im Gebrauch des Organs.
Der die Bühne beherrschende Herr Werner gab
uns in der Rolle Theodors eine jener reifen
Leistungen, wie sie schon zur Tradition des Me¬
raner Theaters geworden sind. Jugendfrisch
sekundierte ihm Herr Lerch als Fritz Lobheimer,
wenn er zeitweise auch gar zu schwere
Akzente anschlug. Frl. Menari war trefflich,
wie immer; und doch schien es uns, als ob ihre
Leistung durch etwas geniert gewesen wäre, wo¬
durch sie an Natürlichkeit ein wenig verlor. Frau
Hoppé charakterisierte die Frau Binder mit
Verständnis. Herr Hoppé gab den Vater
Weiring mit bekannter Sicherheit und Herr
Mauth wußte in die paar Worte des fremden
Herrn Stimmung hineinzulegen. In dem zweiten
Stücke des Abends „Literatur“ einem reizenden
Lustspiel, verbanden sich Herr Werner, Frau
Weidt und Herr Hoppé zu einem trefflichen
Kleeblurt. Der letztere kehrte die Komik zu stark
hervor, wodurch er zu spießbürgerlich wirkte und
den Typus der leichtlebigen Boheme ver##schtd.
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