II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1009

Liebele
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(Oaellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
WARTS, BERLIN
vom: „ÖMLO11
Musik.
Das Schauspiel von Artur Schnitzler: „Die Liebelei“
ist von Franz Neumann als Oper komponiert und am Freitag
in der (Komischen Oper zum ersten Male aufgeführt worden.
Das Spiel von der schlichten Musikerstochter Christine und ihrer
raschen Hingebung an den jungen Mann, der halb liebt, halb liebelt¬
und infolge einer früheren Liebelei im Duell fällt, darf wohl als
bekannt vorausgesetzt werden. Ebenso die Stellung, die es sich in
der modernen Theaterliteratur als ein sozusagen klassisches Stück
errungen hat. Es liegt in der großen Linie, die vom „bürgerlichen
Drama“ des 18. Jahrhunderts über Hebbel und Ludwig zu Ibsen
und von da noch ungewiß weiterführt.
Die Entwickelung zur schlichten Natürlichkeit erfolgte in der
Oper viel später als im Dramg, Aus antikisierender Fürstenglorie
herausgewachsen, kannte die Oper bisher das Schlichtnatürliche
hauptsächlich nur als „komische" oder „Konversations"=Oper. Ihre
Erhebung zum musikalischen Drama durch Richard Wagner ging
ganz ausgesprochen ins Stilisierte, der unmittelbaren Wirklich¬
keit Ferne. Der Vers herrscht nahezu einzig, nur das „trockene“
(„Secco=) Rezitativ war schon seit langem eine Vorbereitung von
Neuem. Bekommen wir nun endlich eine Oper unseres eigenen
Gegenwartslebens, wielleicht gax eine des Arbeiterlebens, und vor
allem eine „Prosa“=Oper?
Man möchte kurzweg sagen: „Unmöglich!“ Die Vertonung des
gesprochenen Satzes gibt ihm ein solches Gewicht, daß Alltagsreden
ganz unkomponierbar scheinen. Aber ehe sich die ästhetischen Be¬
denken durch Künstlertat beschämen lassen, tun sie mindestens gut,
die vorhandenen Anfänge des Neuen vorsichtig zu beobachten. Jetzt
sehen wir wieder: wird Unbedeutendes mit Gesangs= und Orchester¬
wucht ausgestattet, und müssen längere Auseinandersetzungen mit
dem verweilenden Zug aller Musik kämpfen, so dürfte dies der Tod
der neuen Richtung sein.
Franz Neumann kommt um derartige Nachwirkungen des
Aelteren in das Jüngere keineswegs ganz herum, und der noch
immer herrschende Mangel einer Dampfung des Orchesters tut das
Seinige hinzu. Aber der Komponist hat vor allem den glücklichen
Griff getan, manchmal das Orchester zum Sange schweigen zu
lassen, und verfügt über eine abgestufte Reihe vom hochgehenden
Operngesang bis zum Sprechton. Den Sington aber ganz zu
verlassen, wie es diesmal vielleicht nicht vom Komponisten, sondern
von der Regie angeordnet war, scheint uns doch völlig verfehlt zu
sein, da dadurch der gestellten Aufgabe ganz einfach nur aus¬
gewichen ist.
Daß unser Komponist reichlich die leichtfüßige Heiterkeit der
Liebelei mit der schweren Wucht der tragischen Liebe verflicht, daß
er seine Baßinstrumente tief in den Schicksalsabgrund hinunter¬
wühlen läßt, daß er in solchen musikalischen Illustrationen geschickter
ist als in der musikalischen Plastik selbst: all das ist nicht schwierig!
festzustellen.
Die Partie der Christine legt er von vornherein tragisch, wohl
zu tragisch an, zutreffend am meisten in der über sie gebreiteten
Scheu. Maria Labia ist eine viel zu große Tragödin, als daß sie
da in einer anderen Richtung ginge. Die Leidenschaftlichkeit ihres
Abschlusses erhebt sich zu einer geradezu denkwürdigen Größe.
Es war die letzte Premiere des von uns scheidenden Direktors
Gregor. Sie gab so wenig Gelegenheit zum Künsteln, daß unser!
Rückblick auf sein mehrjähriges fruchtbares Schaffen in Berlin sich
zu einer freudigen Anerkennung abrunden kann. Er hat im ganzen
nach einer Vernunft des musikalischen Dramas gestrebt. Im Hause
der Komischen Oper wird sein Werk vor der Operette weichen.
Sein Regisseur M. Moris will es in einem zukünftigen Theäter
Sr.
auf westlichem Stadtboden fortsetzen. Glück auf!