5.
Liebele
box 12/1
was man von der anderen Novität,
trotz mancher Spuren von Talent,
nicht behaupten kann.
Neumanns „Liebelei“ hat
natürlich das bekannte gleichnamige
Drama Artur Schnitzlers zur
Grundlage. Schon diese Wahl muß
stutzig machen. War sie aus künst¬
lerischem Bedürfnis getroffen, oder
war nicht vielmehr der starke Büh¬
nenerfolg des Stückes die ver¬
lockende Anregung für den Kompo¬
nisten? Was der Stoff an Lyrik in
sich birgt, ist zu oberflächlich und
absichtlich unecht, als daß er musi¬
kalischen Ausdruck vertrüge oder gar
verlangte, mit Ausnahme der Emp¬
findungen Christinens, die aber auch
erst beim tragischen Ausgang zu¬
tage treten. Was dem Schau¬
spiel den Reiz gab, die Realistik
der Lebenszeichnung und der
Sprache, mußte in der Musik ver¬
loren gehen, wenigstens in der Musik
Neumanns, der zum Stilprinzip er¬
hebt, was wir uns bei Puccini
als Schwäche und unter Rück¬
sicht darauf, daß es sich um Über¬
setzungen handelt, gelegentlich gefal¬
len lassen. Diese hölzernen Brocken,
mit denen der Sänger nichts an¬
fangen kann und die den Darsteller
lähmen und ihn an falsche Akzente
fesseln, sind weder „natürlich“ noch
„realistisch“, sie find nur die Folgen
eines bedauerlichen Mißverständ¬
nisses. Vielleicht findet die Zu¬
kunft auch für solche Stoffe den
adäquaten Musikstil; aber dazu be¬
dürfte es einer anderen schöpferischen
Kraft als der Franz Neumanns.
Kunst!
Das Orchester bringt manches
Charakteristische, doch nicht genug
Eigenes, um den Eindruck des mi߬
lungenen Experiments wesentlich zu
verbessern.
Humperdincks „Königs¬
kinder“ sind vor Jahren zuerst
als Melodrama erschienen, ohne
tiefere Wirkung zu üben. Das lag
12
an dem Unbefriedigenden dieser
Mischgattung, aber auch an dem ge¬
ringen dramatischen Interesse, das
die Dichtung Ernst Nosmers erweckt.
Die dichterischen Mängel sind nun
natürlich bei der Umwandlung in
eine richtige Oper nicht nur geblie¬
ben, sie haben auch die Schaffens¬
kraft des Komponistenlahmgelegt. Die
hübsche Märchenidee reichte nicht
aus für ein dreiaktiges Drama, und
das Hinzuerfundene ist nicht bedeu¬
tend, auch nicht bühnenwirksam.
Humperdinck aber sah nur das
Märchen und komponierte unbe¬
denklich alle Zutaten und einen
zweiten Akt, der ihn ganz und gar
nicht von seiner starken Seite zeigen
konnte. Durchweg ist alles meister¬
lich gemacht, ja sogar eine gewisse
Stileinheit ist festgehalten. Den
echten Humperdinck, den poetischen,
kindlich=naiven Märchenerzähler
jedoch haben wir nur im ersten
Akt, der bei der Hexe im Walde
spielt, ein wenig auch beim rühren¬
den, indessen gar nicht märchenhaften
Schluß. (Das Volksmärchen kennt
kein tragisches Ende.) In diesen
Teilen leben alle Vorzüge des Hänsel
und Gretel=Komponisten wieder auf,
seine volkstümliche Melodik, seine
Gabe der Stimmungsmalerei und
seine überaus feine und charak¬
teristische Satz= und Instrumenta¬
tionskunst. Um dieser unleugbaren
zarten Schönheiten willen möchte
man dem Werke Verbreitung wün¬
Leopold Schmidt
schen.
Eugen Kirchner
hat bei Bruckmann sechs farbige
brave
Blätter als ein „Album für
es
Erwachsene“ herausgegeben
kostet 20 Mark. Das ist aber auch
sein einziger Mangel, denn die Re¬
produktionen sind groß und gut,
und Kirchner ist eben Kirchner. Wer
an unsre Zeichner= und Maler¬
Humoristen denkt, dem werden noch
Kunstwart XXIV, 10
Liebele
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was man von der anderen Novität,
trotz mancher Spuren von Talent,
nicht behaupten kann.
Neumanns „Liebelei“ hat
natürlich das bekannte gleichnamige
Drama Artur Schnitzlers zur
Grundlage. Schon diese Wahl muß
stutzig machen. War sie aus künst¬
lerischem Bedürfnis getroffen, oder
war nicht vielmehr der starke Büh¬
nenerfolg des Stückes die ver¬
lockende Anregung für den Kompo¬
nisten? Was der Stoff an Lyrik in
sich birgt, ist zu oberflächlich und
absichtlich unecht, als daß er musi¬
kalischen Ausdruck vertrüge oder gar
verlangte, mit Ausnahme der Emp¬
findungen Christinens, die aber auch
erst beim tragischen Ausgang zu¬
tage treten. Was dem Schau¬
spiel den Reiz gab, die Realistik
der Lebenszeichnung und der
Sprache, mußte in der Musik ver¬
loren gehen, wenigstens in der Musik
Neumanns, der zum Stilprinzip er¬
hebt, was wir uns bei Puccini
als Schwäche und unter Rück¬
sicht darauf, daß es sich um Über¬
setzungen handelt, gelegentlich gefal¬
len lassen. Diese hölzernen Brocken,
mit denen der Sänger nichts an¬
fangen kann und die den Darsteller
lähmen und ihn an falsche Akzente
fesseln, sind weder „natürlich“ noch
„realistisch“, sie find nur die Folgen
eines bedauerlichen Mißverständ¬
nisses. Vielleicht findet die Zu¬
kunft auch für solche Stoffe den
adäquaten Musikstil; aber dazu be¬
dürfte es einer anderen schöpferischen
Kraft als der Franz Neumanns.
Kunst!
Das Orchester bringt manches
Charakteristische, doch nicht genug
Eigenes, um den Eindruck des mi߬
lungenen Experiments wesentlich zu
verbessern.
Humperdincks „Königs¬
kinder“ sind vor Jahren zuerst
als Melodrama erschienen, ohne
tiefere Wirkung zu üben. Das lag
12
an dem Unbefriedigenden dieser
Mischgattung, aber auch an dem ge¬
ringen dramatischen Interesse, das
die Dichtung Ernst Nosmers erweckt.
Die dichterischen Mängel sind nun
natürlich bei der Umwandlung in
eine richtige Oper nicht nur geblie¬
ben, sie haben auch die Schaffens¬
kraft des Komponistenlahmgelegt. Die
hübsche Märchenidee reichte nicht
aus für ein dreiaktiges Drama, und
das Hinzuerfundene ist nicht bedeu¬
tend, auch nicht bühnenwirksam.
Humperdinck aber sah nur das
Märchen und komponierte unbe¬
denklich alle Zutaten und einen
zweiten Akt, der ihn ganz und gar
nicht von seiner starken Seite zeigen
konnte. Durchweg ist alles meister¬
lich gemacht, ja sogar eine gewisse
Stileinheit ist festgehalten. Den
echten Humperdinck, den poetischen,
kindlich=naiven Märchenerzähler
jedoch haben wir nur im ersten
Akt, der bei der Hexe im Walde
spielt, ein wenig auch beim rühren¬
den, indessen gar nicht märchenhaften
Schluß. (Das Volksmärchen kennt
kein tragisches Ende.) In diesen
Teilen leben alle Vorzüge des Hänsel
und Gretel=Komponisten wieder auf,
seine volkstümliche Melodik, seine
Gabe der Stimmungsmalerei und
seine überaus feine und charak¬
teristische Satz= und Instrumenta¬
tionskunst. Um dieser unleugbaren
zarten Schönheiten willen möchte
man dem Werke Verbreitung wün¬
Leopold Schmidt
schen.
Eugen Kirchner
hat bei Bruckmann sechs farbige
brave
Blätter als ein „Album für
es
Erwachsene“ herausgegeben
kostet 20 Mark. Das ist aber auch
sein einziger Mangel, denn die Re¬
produktionen sind groß und gut,
und Kirchner ist eben Kirchner. Wer
an unsre Zeichner= und Maler¬
Humoristen denkt, dem werden noch
Kunstwart XXIV, 10