II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1066

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1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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burg, Toronto.
(Ooollenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
- 1. 191
Brüxer Zeitung
vom:

Se een en e en
Theater und Musik.
Liehklei, Schauspiel von Arthur Schnitzler.
(Gastsyll der ehemaligen¬
spielerin und jetzigen königl. Schauspielerin
Melanie Spielmann.) Es war ein echter und
rechter Schnitzlerabend. Die feinsten subtilsten
Stimmungen wurden wach und tiefverborgene
Töne zum Erklingen gebracht. Diese grellen
Köntraste, dieses oft qualvolle Durcheinander
von Spiel und Ernst, von Liebelei und Liebe,
von erotischer Gier und echter Leidenschaft, das
alles ist in Schnitzlers Liebelei. Und noch was
mehr ist drin — es ist die genaue Kenntnis des
Wiener Lebens, besonders der Wiener Erotik,
die der Arzt Schnitzler oft genug tiefer zu
beobachten Gelegenheit hat, als ein anderer
Sterblicher. Was aber der Arzt beobachtet, das
schenkt der Mensch, der Dichter wieder den
Menschen. Und darum sind seine Stücke, die ein
Stück Wiener Erotik — ein Stück Wien, zeich¬
nen, so herbsüß, so bedenklich vom Standpunkte
der Philistermoral, so packend, wenn man die
Tragik des „kleinen Mäderls“ zu begreifen ver¬
mag. Diese Tragik ist so echt Schnitzlerisch. Es
ist die Tragik der verborgenen Heldinnen, von
denen kein Lied meldet, die an der Straße der
Großstadt zugrunde gehen. Fräulein Spiel¬
mann hat diese Tragik herauszuarbeiten ver¬
standen. Sie hat das kleine Mäderl, das der
Liebeshunger etwas hysterisch und überspannt
gemacht hat, deren erotisches Verlangen wider
Willen des Geliebten zur Leidenschaft wird,
Janner 1911.
deren Leidenschaft wächst und wächst und mäch¬
tiger wird als die arme kleine Christine, mit
erschütternder Echtheit dargestellt. Von dem
rein sinnlichen Seufzer im ersten Akt bis zum
Zusammenbruche dessen, was sich ihre hun¬
gernde Mädchenphantasie an Werten zusammen¬
geträumt hat, war es eine Steigerung und was
die Darstellerin bot, war Kunst. Die Leiden¬
schaft wuchs hinaus über das Melieu, man
mußte den Saal, die kleinen engen Verhältnisse
vergessen, weil dieses im Paroxysmus des
Schmerzes zuckende Geschöpf, das da oben auf der
Bühne stand, einen erschütterte. Herr Zell als
Partner tat was er konnte, aber seine etwas
mangelhafte Kenninis der Rolle raubte ihm
manchen Effekt. Sehr gut zusammen paßten
Herr Wiesner und Frl. Linzer, welche
flott und gewandt spielten und echte lebendige
Figuren auf die Bühne stellten. Besonders Herr
Wiesner verdient uneingeschränktes Lob. Herr
Kuntzmann hatte mit dem Dialekt zu
kämpfen und das verdarb ihm manche schöne Wir¬
kung, die sich vielleicht hätte erzielen lassen.
Herr Sternfeld war in seiner Rolle zu ge¬
mütlich, möchten wir beinah sagen, er fand für
den in seinem Heiligsten gekrankten Gatten nicht
den wahren Ton. Das Theater war ausver¬
kauft.
A. K.