II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1079

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5. Liebelei
an a. an d 1 . — 1.
in nur ein tiefer Denker. Seine die räumlich hart aneinander gerückt sind, sind innerlich
untereinander isoliert: Das schwärmerische Weib, der geile
— sind
chlich lyrischen Formen
Commis und der alles ahnende, nichts wissende Alte. Dunkle
ären Splittern der Weltseele selbst
Worte stehen zwischen ihnen, von denen man nicht weiß,
Sonnenwanderer“ sind wie ein
ob sie aus Wille und Absicht geboren sind oder erst Wille
zu fernem Horizonte wölbt, und
und Absicht erzeugen sollen. Und Gefühle zittern in der
glitzernden Sternen. Auf jeder
Komödie, unausgesprochen und farblos; man weiß nicht,
kit aus dem Dunkel der schweren
ob sie wirklich existieren oder ob sie nur Schatten sind.
„Miniaturen“ des Dichters. Und
Aber die Szene mit dem breiten und solide tape¬
scherin Schönheit sein Künstler¬
zierten Zimmer war fehl am Orte. Hier wohnen nicht diese
ler“. Des Künstlers Verhältnis
Menschen, diese vom Wucher gequälten Puppen des Lebens
en aus seinem „Tagebuch“. Zwi¬
und ihrer Gefühle, sondern vielleicht irgend eine Familie
Carl Hauptmann und dem form¬
Schulze, die mit altem Gerümpel handelt. Das Zimmer hätte
beiden Seiten spähend, der Philo¬
so schmal und tief sein müssen, als es unsere Bühne nur
efen Schächten erbeutet hat, fast
gestattet. Und unser Blick hätte sich in dem an das Zimmer
ragen, und sicher mehr, als der
angrenzenden Magazin verlieren müssen, wie sich nur je
sher die Zwiespältigkeit in allen
ein aus lebenden Augen kommender Blick zwischen Alter¬
tümern verloren hat. Dann hätte die Darstellung einen in
och als die anderen Dichtungsarten
jedem Sinne wirksamen Hinter= und Untergrund gehabt.
perhaftet, ergibt sich dem Dichter
Wie hätte da der Antiquar des Herrn Kolmar gewirkt!
Hier ist darum auch sein frucht¬
Viel niederländischer gewissermaßen! So aber stand man
am schmerzlichsten fühlbar. Seine
nur vor einer oft hakenden, immer geschickten, aber nicht
zu dramatischer Körperlichkeit; sie
immer ihrer selbst sicheren Leistung. Das Intermezzo des
sief. Zwischen den Menschen aber
Gebetes, neben der Schülerepisode die feinste dichterische Er¬
berndes Fragen nach dem Woher
findung im Stücke, war von einer peinlichen Unbeherrschtheit.
Bau des Dramas als tragisches
Das triviale gelle Murmeln schwang in der Darstellung
nicht mit.
Schauspielen“ denen auch „Der
Die Sarah des Frl. Orska war merkwürdig ge¬
ig zu verspüren. Wenig, aber im¬
wandt gespielt; einige Töne ließen ein kapriziös schil¬
keu im „Antiquar“ ist erfüllt von
lerndes Talent vermuten. Von einer glaubhaften Ver¬
ter Hebräer hat zwischen staubigen
körperung der Rolle kann keine Rede sein; doch schreibe ich
fein funkelnd junges Weib Sarah
das, obwohl die Darstellerin durch ihr schlechtes Sprechen
t!) und dazu und trotzdem einen
sich und dem Dichter viel verdarb, zum größeren Teile
uel ins Haus genommen (nicht bloß
dem letzteren zu. Die Rolle ist kaum ganz glaubhaft zu
hins Haus). Da findet sich jung
machen. Zwei Rollen aber enthält das Stück, die außer¬
von Sinnenlust, die in höhnischen
ordentlich dankbar sind; die des Schülers und des Kom¬
und in geberischen Launen gegen
mis. Herr Fischer war als Schüler von dankenswerter
Allein es sind nur Launen, die
Schlichtheit. Dagegen zeigte der Samuel des Herrn Rot¬
haften. Das nimmt der Komödie von
mund einen ganz erheblichen Mangel an scharfer Kon¬
Schwere. Da aber gerade die
turierung. Der Darsteller brachte die Rolle, die nicht
Schwere spricht, so ergibt sich
umzubringen ist, nahezu um.
s zwischen künstlerischem Aufwand
Kein Wunder, daß diese Aufführung dieses Stückes
g. Dieses junge Weib schlottert im
ein Fehlschlag sein mußte; das Publikum blieb kühr bis
der Samuel, der „mutige“ Kom¬
ans Herz hinan. Der Dichter, der an der Mannheimer
mit Worten und Gesten mystischen
Aufführung Anteil, an der gleichzeitigen Kölner Auffüh¬
nun der Alte, nichts wissend und
rung der „Panspiele“ wirklich teilnahm, hat durch diesen
nen wird zum Drohen und dieses
? Ich glaube
Abend nichts gewonnen. Ob in Köln.
Geste: Mit dem Dolch in der
es nicht denn diese Panspiele sagen zu wenig von dem
r Samuel (bei der hiesigen Auf¬
großen Pan Carl Hauptmanns aus.
von allerdings nichts). Dann aber
Dem zweiten Stücke des Abends, Schnitzlers „Liebe¬
Alten wieder kraftlos in sich zurück
en Nichtwissen aus: „Samuel! ... Plei“ begegnet man wie einem leuchtend dehen Erlebnis
saus früherer Zeit. Jugend und Liebe sito hien tragisch ver¬
en, Samuel!
imlichen Reize sind, die das Milieu klärt. Die Melodie ihrer Verklärung ki gt auch heute noch
und rein, eine unverblaßte othese eben der¬
t leicht zu erreten. Die Menschen, voll

selben Jugend und Liebe. Halbes „Jugend“ ist alt geworden,
mit elementarer Wucht aus sich heraus. Das Liebesleid de
diese „Liebelei“ ist im all ihren geistigen Energien, die
Mädchens wurde zum Leide der ganzen Menschheit. Aus
subtil sind wie alte Kulturkräfte, noch unverbraucht. Das
der Weiring des Herrn Kolmar war von tiefstem Jamme
Erlebnis aus früherer Zeit erneut sich immer wieder.
angefaßt. Der Künstler gestaltéte die Tragödie dieses zu
Die Musik dier Sprache klingt auch heute noch so weich
Resignation gereiften Menschen und Künstlers in ihrer ganzem
und doch beherrscht wie einst. Eine Stadt lebte in diesen
Tiefe und Breite. Das Vorbeigehen am Menschen= und
brei Akten auf: Wien. Schuberts Büste steht in dem alt¬
Künstlerglück wurde sichtbar. Die Schatten eines langen
väterischen Zimmer des lieben, guten Weiering, Schuberts
glücklosen Lebens zeichneten sich wie Schattenrisse an dem
Geist aber schwebt über der ganzen Dichtung. Aus leise
letzten größten Unglück ab. Herr Kolmars Künstlerium er¬
schwingenden Tönen gräbt sich die Melodie auf, wächst an
schien mir noch selten reifer und voller als hier. Leider
wie Herbstwind im Park zu Schönbrunn und braust schließlich
eilte Herr Rotmund auch als Fritz mehr von Szene zu
über die Menschen hin wie über stolze Bäume. Der Stolzesten
Szene, als daß er ein Ganzes geformt hätte. Die einzelm
einer aber kommt zu Fell und Tod: Christine. Die Melodie
Szenen gelangen ihm überzeugend. Herr Köckerr und
lebt ab und verwimmert in der leisen Klage eines leisen
Frl. Weißenbacher waren als das andere, leichtere Paar
Menschen, Weirings, des Vaters. Melodic ist alles. Diese
zwar fesch und fidel, blieben aber ohne suggestive Wirkurg.
Tragödie ist ganz aus dem Geiste der Musik — der Musik
Die Dame ist der Rolle — bei allen guten Ansätzen — nich
einer alten, lieben Stadt — geboren. Es klingt wie Rauschen
nicht gewachsen. Frl. Wittels war als die Nachbatin
der Wipfel in Schönbrunn sund wie ein Lied von Schubert.
wieder einmal von einer ganz köstlichen, talmiechten Be¬
Die „Liebelei“ ist viel, viel schwerer darstellbar als
derkeit, Herr Götz verinnerlichte den fremden Herrn saß
die meisten Regisseure auch nur ahnen. Herr Gregori ließ
etwas zu aufdringlich.
manchmal manches laut werden von den heimlichen Tönen
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der Dichtung. Freilich war das kalte Zimmer des ersten

Aktes kein besonders geeigneter Rahmen für das halb liebliche,
halb fesche Bild, das sich vor unseren Augen aufrollt. Der
Regisseur hatte sich ganz für den Charakter einer möblierten
Junggesellenwohnung entschieden, ohne zu berücksichtigen, daß
sie immerhin von Fritz, diesem eleganten Sentimentalen,
bewohnt wird. Um ko wohnlicher sund lieblicher war die
Wohus## Christinens und ihres Vaters. Wenn nur die
Beleutlung etwas sorgfältiger reguliert gewesen wäre.
Darstellung stand ein verlockendes Material zur
Verfünung, das ganz echte, stille, gefühlsbetonte Talent der
Frl. Rub. Leider wurde es nur mangelhaft für die Dichtung
ausgemünzt. Es floß nicht durch die drei Akte hin, sondern
staute sich und stockte zu verschiedenen Malen. Frl.
wari m ersten Akte zu finster, zu bewußt tragisch. Die
stellerin entezivierte zu viel aus den folgenden Akten.
unter mußte die Steigerung im zweiten Akte leiden. Erst
im dritten Akte war wieder die Möglichkeit des Wachsens
zur letzten Größe gegeben. Hier ging denn auch die Künstlerin