iebelei
box 12/3
9. S
Aus -aitt 4us —
Darmstädier Zeitung
27
EEES
Liebelei — Hbschiedslouper
Von Arthur Schnitzler
Die Schauspielaufführungen der letzten=Zeithurten als
Niederschlag die pessimistische Ueberzeugung hinterlassen, daß
in der modernen Theaterproduktion die Begriffe literarischer
Wert und Bühnenwirksamkeit einander auszuschließen scheinen:
Wertvolle wirkte nicht, das Wertlose wirkte (zwar auch
cht immer, aber doch manchmal). Da kam der gestrige
Schnitzler=Abend im Hoftheater zur rechten Zeit. Man
stürte wieder einmal das Walten des dichterischen Genius, man
gand im Bann einer wundervollen, echten Kunst, bei der In¬
halt und Form mit intuitiver Sicherheit zu jenem untrenn¬
daren Ganzen zusammengeschmolzen sind, das als höchstes und
freinstes Kunsterlebnis empfunden wird. Arthur Schnitzler
vollendet demnächst sein 50. Lebensjahr. Unsere Hofbühne wird
die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, dem großen Wiener
Dramatiker auch in Darmstadt eine dauernde Pflegestätte zu
schäffen. Der Boden ist dazu vorbereitet.
Allerdings, ein klein wenig müssen unsere Schauspieler doch
noch erzogen werden, ehe man sich an eine solche Aufgabe wagen
dakf. Alles gab sich ja redliche Mühe gestern, aber von Stil
wür nicht viel zu spüren. Der wundersame Reiz, der zarte
Fuft, der die kleine Liebesgeschichte zwischen Christine Weiring
und Fritz Lobheimer umgibt, wurde durch die Darstellung zum
Teil arg verwischt. Der ganze erste Akt war zu laut, zu lär¬
mend, zu sehr nach dem Schwank hinübergeraten. Gleichwohl
darf man mehreren Einzelleistungen mit aufrichtigem Loh be¬
gegnen. Frl. Meißner hat seit ihrer Tasso=Leonore keine
Rolle so ergreifend und wahr, so schlicht in der Auffassung, so
echt in jedem kleinen Zug gespielt, wie dieses kleine Wiener
Mädel mit seiner hingebenden großen Liebe. Nur über den
dritten Akt ließe sich streiten. Da ginge es vielleicht mit etwas
weniger Reflexion und dramatischem Aufwand mehr von
innen heraus; erst nach und nach, dafür mit mächtiger Steiger¬
ung, gerät das naive Kind, das zunächst die rauhe Welt der
Wirklichkeiten gar nicht versteht, in Wallung und Empörung.
Neben Frl. Meißner darf Herr Westermann als ebenbür¬
tiger Partner genannt werden, als Künstler, der die Gabe des
Gestaltens hat; und auch Frl. Gothe und Herr Wagner
füllten ihren Platz aus. Herr Schneider dagegen war fehl
am Ort; lediglich mit einem Uebermaß an fahrigen Beweg
ungen und einem gewaltigen Stimmenaufwand stellt man noch
keinen lebendigen Menschen auf die Bühne, und so blieb alles
hohl und äußerlich. Auch Frau Rudolph und Herr Heinz
kamen in ihren kleinen Episoden über das Komödiespielen!
nicht hinaus. — Dem Schauspiel folgte das Lustspiel „Das
Abschiedssouper“ einzig gehalten durch Frl. Gothes
entzückende „Annie". Herr Jürgas als Anatol versagte und
Herr Schneider nicht minder. Ich wenigstens mache mir
von den beiden Wiener Lebemännern eine etwas andere Vor¬
und mehr Geist.
stellung. Mehr Schliff, mehr Grazie
Schlecht gerechnet die Hälfte all der feinen Pointen Schnitzlers
fiel unter den Tisch. Es war kein schöner Abschluß nach der
offensichtlich sehr tiefen Wirkung der „Liebelei“
Noch eins aber muß wieder einmal ganz allgemein moniert
werden: Enthält denn unser reicher Fundus keinen Raum, in
dem sich ein Kulturmensch vom Schlag Fritz Lobheimers halb¬
wegs wohl fühlen kann, kein Zimmer, das nur ein ganz kleines
bißchen zu einer Christine Weiring paßt? Muß immer irgend
ein charakterloser, uninteressanter Raum von mindestens 16 Ecken
mit Klapptüren und Pappöfen a priori jede Möglichkeit einer
Milieuwirkung ausschließen — gerade in Darmstadt, wo seit
mehr als einem Jahrzehnt die fähigsten Köpfe sich abmühen,
den Sinn für Wohnkunst und Lebensstil zu wecken und zu
heben, und wo im Theater selbst ein Stimmungskünstler wie
Kurt Kempin seine Werkstatt aufgeschlagen hat. — Und wenn
sich trotzdem die Inszenierung nicht von heute auf morgen ändern
läßt, so mache man wenigstens eine andere ganz kleine Kon¬
zession an den guten Geschmack und wähle als Walzer im
1. Akt nicht mehr den schrecklichen „Grafen von Luxemburg“.
Schließlich läßt sich doch auch auf „Wiener Blut“, „Fledermaus“
oder „Blaue Donau, ganz leidlich tanzen.
Darmstadt, 29. Februar.
P.S.
Brandenburger Zeitung
A. 3. 1912
Stadt-Theater.
„Liebelei“, — „Abschiedssouper“.
* Die Vorstellung, die der Bildungsausschuß gestern im
sadttheater veranstaltete, hat durch den Dichter
Arthur Sch##### den Hörern tief zu Herzen gesprochen.
Wir häben hier bereits vor einigen Tagen das Wesentliche
des Schauspiels skizziert, das so schlicht und einfach die lebens¬
warme Liebe des armen Musikermädels Christine zu einem
Studenten schildert der um einer andern Frau willen im
Duell fällt. Ihm sollte diese Liebelei, wie so oft bei jungen
Leuten, nur Zeitvertreib und Erholung sein, ihr aber war sie
als Lebensinhalt ein und alles. So folgt sie dem Geliebten in
den Tod. „Sie kommt ja nicht wieder!“ seufzt ihr zurück¬
bleibender alter Vater, als er sie in namenlosem Weh hinaus¬
eilen sieht. Alles Tragische ist in diesem abgetönten Drama
nöglichst hinter die Szene verlegt, wie auch die Menschen ihr
Letztes in sich verschlossen bergen. Auf der Bühne spielen
ich mehr die heiteren Kontraste ab, in die freilich schon von
Beginn düstere Schatten fallen. Nur zum Schluß findet das
nenschliche Leid einen gesteigerten Ausdruck, wenngleich in
der Darstellung auch hier noch die Töne etwas gedämpft sein
müßten. Frl. Hohenfels brachte alle schwerblütige Liebe
und namentlich am Ende die zerschmetternde Wucht des
Schmerzens aufs glaubhafteste zum Ausdruck. Die Leistung
war um so bewundernswerter, als die Künstlerin sichtlich mit
einer Erkältung zu kämpfen hatte, die sie tapfer niederzwang.
Von den übrigen Mitwirkenden verdienen Herr Orlop als
herzensguter Vater, Herr Lehmann als jugendlicher Lieb¬
haber, Frl. Marx als giftige Klatschbase und Herr Ihle
nebst Frl. Rau als leichtfertiges, aber im Grunde doch
liebenswürdiges Pärchen volle Anerkennung. Auf die weiche
Wienerische Atmosphäre des Schnitzlerschen Stückes mußte
man freilich so gut wie ganz verzichten. Dieser nicht leicht
definierbare Schmelz fehlte auch dem (des gleichen Dichters
„Anatolzyklus“, entnommenen) Einakter Abschiedssouper“
der von Frl. Hohenfels sowie den Herren Ihle und Lehmann
flott heruntergespielt immerhin den in künstlerischen Grenzen
denkbar heitersten Beschluß des Abends bildete. E. B.
box 12/3
9. S
Aus -aitt 4us —
Darmstädier Zeitung
27
EEES
Liebelei — Hbschiedslouper
Von Arthur Schnitzler
Die Schauspielaufführungen der letzten=Zeithurten als
Niederschlag die pessimistische Ueberzeugung hinterlassen, daß
in der modernen Theaterproduktion die Begriffe literarischer
Wert und Bühnenwirksamkeit einander auszuschließen scheinen:
Wertvolle wirkte nicht, das Wertlose wirkte (zwar auch
cht immer, aber doch manchmal). Da kam der gestrige
Schnitzler=Abend im Hoftheater zur rechten Zeit. Man
stürte wieder einmal das Walten des dichterischen Genius, man
gand im Bann einer wundervollen, echten Kunst, bei der In¬
halt und Form mit intuitiver Sicherheit zu jenem untrenn¬
daren Ganzen zusammengeschmolzen sind, das als höchstes und
freinstes Kunsterlebnis empfunden wird. Arthur Schnitzler
vollendet demnächst sein 50. Lebensjahr. Unsere Hofbühne wird
die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, dem großen Wiener
Dramatiker auch in Darmstadt eine dauernde Pflegestätte zu
schäffen. Der Boden ist dazu vorbereitet.
Allerdings, ein klein wenig müssen unsere Schauspieler doch
noch erzogen werden, ehe man sich an eine solche Aufgabe wagen
dakf. Alles gab sich ja redliche Mühe gestern, aber von Stil
wür nicht viel zu spüren. Der wundersame Reiz, der zarte
Fuft, der die kleine Liebesgeschichte zwischen Christine Weiring
und Fritz Lobheimer umgibt, wurde durch die Darstellung zum
Teil arg verwischt. Der ganze erste Akt war zu laut, zu lär¬
mend, zu sehr nach dem Schwank hinübergeraten. Gleichwohl
darf man mehreren Einzelleistungen mit aufrichtigem Loh be¬
gegnen. Frl. Meißner hat seit ihrer Tasso=Leonore keine
Rolle so ergreifend und wahr, so schlicht in der Auffassung, so
echt in jedem kleinen Zug gespielt, wie dieses kleine Wiener
Mädel mit seiner hingebenden großen Liebe. Nur über den
dritten Akt ließe sich streiten. Da ginge es vielleicht mit etwas
weniger Reflexion und dramatischem Aufwand mehr von
innen heraus; erst nach und nach, dafür mit mächtiger Steiger¬
ung, gerät das naive Kind, das zunächst die rauhe Welt der
Wirklichkeiten gar nicht versteht, in Wallung und Empörung.
Neben Frl. Meißner darf Herr Westermann als ebenbür¬
tiger Partner genannt werden, als Künstler, der die Gabe des
Gestaltens hat; und auch Frl. Gothe und Herr Wagner
füllten ihren Platz aus. Herr Schneider dagegen war fehl
am Ort; lediglich mit einem Uebermaß an fahrigen Beweg
ungen und einem gewaltigen Stimmenaufwand stellt man noch
keinen lebendigen Menschen auf die Bühne, und so blieb alles
hohl und äußerlich. Auch Frau Rudolph und Herr Heinz
kamen in ihren kleinen Episoden über das Komödiespielen!
nicht hinaus. — Dem Schauspiel folgte das Lustspiel „Das
Abschiedssouper“ einzig gehalten durch Frl. Gothes
entzückende „Annie". Herr Jürgas als Anatol versagte und
Herr Schneider nicht minder. Ich wenigstens mache mir
von den beiden Wiener Lebemännern eine etwas andere Vor¬
und mehr Geist.
stellung. Mehr Schliff, mehr Grazie
Schlecht gerechnet die Hälfte all der feinen Pointen Schnitzlers
fiel unter den Tisch. Es war kein schöner Abschluß nach der
offensichtlich sehr tiefen Wirkung der „Liebelei“
Noch eins aber muß wieder einmal ganz allgemein moniert
werden: Enthält denn unser reicher Fundus keinen Raum, in
dem sich ein Kulturmensch vom Schlag Fritz Lobheimers halb¬
wegs wohl fühlen kann, kein Zimmer, das nur ein ganz kleines
bißchen zu einer Christine Weiring paßt? Muß immer irgend
ein charakterloser, uninteressanter Raum von mindestens 16 Ecken
mit Klapptüren und Pappöfen a priori jede Möglichkeit einer
Milieuwirkung ausschließen — gerade in Darmstadt, wo seit
mehr als einem Jahrzehnt die fähigsten Köpfe sich abmühen,
den Sinn für Wohnkunst und Lebensstil zu wecken und zu
heben, und wo im Theater selbst ein Stimmungskünstler wie
Kurt Kempin seine Werkstatt aufgeschlagen hat. — Und wenn
sich trotzdem die Inszenierung nicht von heute auf morgen ändern
läßt, so mache man wenigstens eine andere ganz kleine Kon¬
zession an den guten Geschmack und wähle als Walzer im
1. Akt nicht mehr den schrecklichen „Grafen von Luxemburg“.
Schließlich läßt sich doch auch auf „Wiener Blut“, „Fledermaus“
oder „Blaue Donau, ganz leidlich tanzen.
Darmstadt, 29. Februar.
P.S.
Brandenburger Zeitung
A. 3. 1912
Stadt-Theater.
„Liebelei“, — „Abschiedssouper“.
* Die Vorstellung, die der Bildungsausschuß gestern im
sadttheater veranstaltete, hat durch den Dichter
Arthur Sch##### den Hörern tief zu Herzen gesprochen.
Wir häben hier bereits vor einigen Tagen das Wesentliche
des Schauspiels skizziert, das so schlicht und einfach die lebens¬
warme Liebe des armen Musikermädels Christine zu einem
Studenten schildert der um einer andern Frau willen im
Duell fällt. Ihm sollte diese Liebelei, wie so oft bei jungen
Leuten, nur Zeitvertreib und Erholung sein, ihr aber war sie
als Lebensinhalt ein und alles. So folgt sie dem Geliebten in
den Tod. „Sie kommt ja nicht wieder!“ seufzt ihr zurück¬
bleibender alter Vater, als er sie in namenlosem Weh hinaus¬
eilen sieht. Alles Tragische ist in diesem abgetönten Drama
nöglichst hinter die Szene verlegt, wie auch die Menschen ihr
Letztes in sich verschlossen bergen. Auf der Bühne spielen
ich mehr die heiteren Kontraste ab, in die freilich schon von
Beginn düstere Schatten fallen. Nur zum Schluß findet das
nenschliche Leid einen gesteigerten Ausdruck, wenngleich in
der Darstellung auch hier noch die Töne etwas gedämpft sein
müßten. Frl. Hohenfels brachte alle schwerblütige Liebe
und namentlich am Ende die zerschmetternde Wucht des
Schmerzens aufs glaubhafteste zum Ausdruck. Die Leistung
war um so bewundernswerter, als die Künstlerin sichtlich mit
einer Erkältung zu kämpfen hatte, die sie tapfer niederzwang.
Von den übrigen Mitwirkenden verdienen Herr Orlop als
herzensguter Vater, Herr Lehmann als jugendlicher Lieb¬
haber, Frl. Marx als giftige Klatschbase und Herr Ihle
nebst Frl. Rau als leichtfertiges, aber im Grunde doch
liebenswürdiges Pärchen volle Anerkennung. Auf die weiche
Wienerische Atmosphäre des Schnitzlerschen Stückes mußte
man freilich so gut wie ganz verzichten. Dieser nicht leicht
definierbare Schmelz fehlte auch dem (des gleichen Dichters
„Anatolzyklus“, entnommenen) Einakter Abschiedssouper“
der von Frl. Hohenfels sowie den Herren Ihle und Lehmann
flott heruntergespielt immerhin den in künstlerischen Grenzen
denkbar heitersten Beschluß des Abends bildete. E. B.