II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1120

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Ausschnitt aus: Pager Tagblatt, Prag
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vom:
„Letzte Nachrichten.
#Schnitzlers „Liebelei“ als Oper.
n der Wiener Volksoper.
Wien, 14. Oktober. (Priv.) Der Reigen der
winterlichen Opernnovitäten wurde heute von der
Volksoper mit der „Liebelei“ von Franz
Neumann eröffnet. Das Werk des in Frank¬
furt wirkenden Kapellmeisters, eines gebürtigen
Mährers, wagt nichts Geringeres als Schnitzlers
gleichnamiges Drama, wie es liegt und steht, ein
paar Kürzungen abgerechnet, mil Haut und Haacen
in Musik zu setzen. Dies ist denn auch mit unleug¬
barem Geschick geschehen. „Liebelei“ ist also eine
deutsch=veristische Dialogoper, freilich nur ein Be¬
weis mehr für die ästhetische Unhaltbarkeit des Ex¬
perimentes, ein als Tichtung seinen Zweck schon er¬
füllendes Drama noch mit Musik zu bekleiben. Aber
die Art, wie Neumann das Unzweckmäßige ver¬
suchte, verrät Talent, Geschick und künstlerischen
Ernst. Die Aufführung unter Kapellmeister Dietl
wan gut vorbereitet. Die Damen Engel und Röder
nebst den Herren Lußmann, Brand und Klein boten
in ihren Rollen Tüchtiges. Nur der spezisisch wie¬
nerische Ton fehlte de Aufführung, da niemand der
Mitwirkenden ihn re##t beherrscht. Auch in der
Partitur ist er mehr geuollt, als ausgeführt. Das
Publikum nahm die Novität mit lautem und leb¬
haftem Beifall auf und rief nach jedem Aktschluß
den Komponisten und die Mitwirkenden mehrmals
vor die Rampe.
5 10 1973
vom:
erer Jeumal Wien
Volksoper.
„Liebelei", Oper in drei Akten von Franz Neumann.
Es ist wirklich die alte prächtige, unverwüstliche „Liebelei“ von
Artur Schnitzler, die von Herrn Kapellmeister Neumann
mit Stumpf und Stik vertont worden ist. Sogar nicht einmal
viel vom Dialog ist gekürzt worden, der nach berühmtem Beispiel
in der unveränderten Alltagsprosa durchkomponiert ist. Man kann
nicht sagen, daß die dem Originaldrama innewohnende Stimmung,
sein Rhythmus und Tempo, seine innere Musik durch die materiellen
musikalischen Klänge deutlicher und stärker transparent gemacht
wurden. Ein sehr seinfühliger Musiker, wie Charpentier einmal
war, hätte dies vielleicht
zuwege gebracht. Daf
Schnitzler mit
der
Art
Vertonung,
Herr
Kapellmeister Neumann seinem Schauspiel angedeihen ließ
einverstanden war, dürfte sonderbar e#cheinen. Denn das Eigen
tümlicht des Entwurfes, daß nämlich er einfachen Worten und
gewöhnlichen Formen etwas Tragisches sich eeignet, das Unpathetische
der Personen und ihrer Reden ist von dem Komponisten gar nicht ver¬
standen und berücksichtigt worden. Aber das Sentimentale und die
„starken“ Auftritte, eben das, was in dem Schnitzlerschen Original
theatralisches Zugeständnis ist und aus dem Rahmen herausfällt,
all dies ist herausgehoben, verstärkt, vergrößert, vergröbert.
Es besteht keine Aehnlichkeit der Form und der
artistischen Idec zwischen dieser Oper und diesem
Schauspiel. Nur die Fabel wirkt hier ebenso stark wie dort, auf
empfängliche Gemüter wahrscheinlich sogar noch stärker. Um den
Konversationston musikalisch zu stilisieren, hätte die Musik selbst
biegsam und elegant sein müssen. (Siehe Mozart, Verdi.) Der
Komponist der „Liebelei“ läßt die Worte in irgendeinem angeblich
realistischen Rezitativ vortragen (möglichst deutlich, aber lange
nicht so deutlich, wie wenn sie von einem noch so mittel¬
mäßigen Schauspieler gesprochen würden) und rührt einen dicken
orchestralen Brei dazu. Aber er verstand es, an den gehörigen
Stellen kräftige, melodramatische Auftriebe effektvoll anzubringen.
Eine andere, nicht sehr noble, aber unwiderstehliche Wirkung ent¬
stand solcherart. Am wenigsten ist diese Behandlungsart dem ersten:
Akt dienlich, mehr dem zweiten, in dem Gelegenheit zu einer
breiten, in nicht unbekannter Melodik schwelgenden Liebesszeue
ist, und am meisten dem dritten Akt, in dem die große scène
a faire unter musikalischem Blitz und Donner vor sich geht.
Wenn die mit Tremolo, Wirbel und allen übrigen Bläser¬
requisiten angekündigte Erscheinung des fremben Herrn auftritt,
der kommt, um von dem Liebhaber seiner Frau Duellsühne zu
fordern, mag mancher Hörer auch trotz der Musik sich des
Schauers nicht haben erwehren können; und auch die tristani¬
sierenden Begrüßungs= und Abschiedsszenen konnten ihr musikalisches
Publikum zu Tränen rühren. Die Musik ist nämlich höchst an¬
ständig, sie ist sogar gut, korrekt und sehr fleißig gearbeitet. Sie
hat nur den einen Fehler, daß sie nirklich ganz überflüssig ist.
Das Drame Schnitzlers wurde auch als Oper mit Wärme
und inniger Anteilnahme verfolgt. Es zeigte sich, daß dieses
jugendliche, mit warmem Herzen geschriebene Stück noch
immer und immer wieder von neuem uns fesselt. Wenn
die Musik nur nicht gar so viel „Gemüt“ hätte. Diese Charakter¬
beschaffenheit hat man aber in der Volksoper gern und es wird
die „Liebelei“ auch als Oper dort draußen wahrscheinlich viele
entzückte Hörer finden. Die Sänger bemühten sich, möglichst gute
Schauspieler zu sein; eine gewisse unbeholfene Naivität machte sich
gleichwohl in erfrischender Weie geltend. Den Fritz gab Herr
Lußmann mit großem Stimmaufwand, sehr degagiert und unab¬
hängig im Spiel und auch von den in der Partitur vor¬
geschriebenen Notenwerten. Die Christine das anmutige Fräulein
Engel, die bedauerlicherweise jede musikalische und mimische
Pointe zu derb aufträgt. Herr Brand war als guter
Freund sympathisch und vortrefflich Herr Bandler als
Vater Weiring. Ein sehr saures „süßes Mädel“ hat sich die
Volksoper an Fräulein Roeder angeschafft. Vom Graziössein,
Nr. 7176
15. Oklsder 1913
Walzer=tanzen-können und angenehmen Singen hat man ia Wien
andere Begriffe. Nach den Aktschlüssen erschienen auf der Bühne.
von den zal treichen ortsüblichen Lorbeerkränzen reich beworfen,
mit starkem Applaus hervorgerufen, die Darsteller, der Kapell¬
meister Herr Tittl, der die Aufführung in mustergültiger
Weise einstudiert hatte, und der Komponist. Artur Schnitzler
E. B.—
Leigte sich nicht.