II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1123

5
Liebelei bor 12/4

nicht bewerten. Absolut genommen bekommt sie ein
günstigeres Gesicht und hier loot das Werk den Meister,
als einen ernsten Künstler, der mit der Satztechnik wohl
vertraut ist und mit imponierender Sicherheit auf den
verschlungenen Pfaden des Kontrapunktes wandelt. Wie
sehr die Musik zuweilen Selbstzweck ist, bekundet die imi¬
tative Schreibweise oft strengster Art, wie z. B. ein rein
instrumentaler, nicht etwa durch ein Duett begründeter
Canon in der Oktav. Was der mit Dramatik zu tun hat?
Dem technischen Können fehlt aber vielfach die Inspira¬
tion, dem musikalischen Gebilde der göttliche Funke. Die
Themen, wenn man überhaupt die kurzatmigen, viel fach
eintaktigen Motive so nennen darf, kranken durch den
Mangel an Eigenart und persönlicher Note. Rhythmisch
und melodisch allzu indifferent, halten sie auch selten im
Verlauf der Durchführung, was sie am Anfang zu ver¬
spreche schienen.
Das schöne mittelalterliche Lied: „All' mein Ge¬
danken die ich hab', die sind bei Dir!“ fühlt sich höchst un¬
gemütlich in dieser leichtlebigen Gesellschaft zwischen
Champagner und Küssen und wirkt wie ein Fremdkörper,
etwa wie eine reine Jungfrau in Gesellschaft von Straßen¬
dirnen. Das Vorspiel zum zweiten Akt ist etwas konven¬
tionell. Die aus Sechzehntelpassagen konstruierte Fuge
verbessert nichts am Eindruck und könnte ruhig gestrichen
werden. Sie riecht allzu sehr nach der Schulbank. Das Vor¬
spiel zum dritten Akt ist weit ausgeführt und schildert
Fritzens Duell und Ende mit einem Aufwand und einer
Hingebung, als ob ein Gott gestorben wäre und nicht ein
Durchschnittsfritz aus einer leichtlebigen Großstadtgesell¬
schaft. Die Trauermusik ist zudem an dieser Stelle ganz
unmotiviert, da noch kein Mensch wissen kann, daß Fritz
tot ist. Man wird unwillkürlich zu einem Vergleiche mit
der Parallelstelle aus der Götterdämmerung Siegfrieds
Tod gereizt. — Die abgebrauchten theatralischen Höhe¬
punktphrasen, wie die oft wiederkehrende melodische Wen¬
dung über den Worten „O Gott, wie lügen solche Stun¬
den!“ (Ende des zweiten Aktes), sollten einem Musiker wie
Neumann nicht unterlaufen.
Von Geschick und stark entwickeltem Klangsinn zeugt
die Behandlung des Orchesters. Die Instrumentation ist
immer vornehm und sein, klar und durchsichtig.
Sehen wir von den bemängelten Schwächen ab,
bleibt doch noch so viel des Schönen und Interessanten
Stunde. Auf christlichsog
eine erfreulich große Zahl chr
übrig, daß man daran seine Freude haben kann. Der
allen Bezirken. Diese zielb
Sinn des Autors für Theatereffekt und Bühn# wirksam¬
Leitung der Agitation war
keit hat dem Werke von vorneherein den Erfol gesiche
Die Inszenierung verdient Lob. Oberreg sseur Mar=] kolossalen Aufgebote sozial
liberaler Agitatoren
kowsky hat alles getan, um dem Wer eine Sieg leicht
Minen des Terrorismus sprit
zu machen. Desgleichen hat sich Herr Kapellmeister
Tittel mit Liebe und Hingebung es musikalischen] Mitteln der äußersten
Teiles angenommen. Einig. Tempi schienen uns überhetzt
beiteten. Trotz des starken Po
zu sein. Doch wird dies vohl in den Intentionen des in der Leopoldstadt fast leben
Komponisten, bei den Proben anwesend war, gelegen
sein. Fräulein Engel kreierte die Christine schauspiele¬
Der Terror der M
risch und gesanglich gleich vorzüglich. Sie hatie ergreifende
Töne für die hingebende Liebe der aufrichtigen Musiker¬
Dem Gastwirte König,
tochter. Ebenso gut fand sie sich in den leichten Gesell¬
in der Darwingasse wegfuhr,
schaftston. Der Mizi des Fräutein Röder fehlte voll¬
zu holen, versetzten ein p##
ständig die spezifisch wienerische Note. Die angeborene
Stockhiebe über die H
Liebenswürdigkeit und natürliche Anmut und wenn man
strömt war.
will Leichtlebigkeit, kurz der Charme der Wienerin liegt
In der Taborstraße, in
ihr nicht und die Wiener Mizi gestaltet sich unter ihren
christlichsoziale Agitatoren un
Händen zu einer Vorstadtchansonette mit starkem Ein¬
durch rasches Eingreifen der
schlag von Zynismus und Gemeinheit. Das Organ klang
Genossen gerettet werden.
zudem etwas dünn und gepreßt. Herr Lußmann hat
einen in den höheren Lagen ungemein leicht ansprechenden
Agitatoren Humel und Kü
Tenor, der sich durch Tragfähigkeit mehr noch als durch
Nr. 61 in der Taborstraße be
Resonanz und stimmliche Fülle auszeichnet. In Herrn
Wache die nachstürmenden Ge
Brand, der sich des Besitzes eines sympathischen Bari¬
ein Durchhaus war, stürmte ei
tons erfreut, fand Fritzens Kamerad Theodor, einen
Haustor, das in die Pfefferga
glaubhaften Vertreter. Anerkennenswert ist die deutliche
die beiden Christlichsozialen,
Aussprache, ein Vorzug, der auch Herrn Bandler nach¬
als wieder hinauszuflüchten,
gerühmt werden muß, dessen Rolle als Weiring eine respek¬
der Polizei die Straße verlasse
table Leistung bedeutete. Der Violinspieler vom Josef¬
Der Agitator Vreisch
städter Theater ist wohl die am meisten sympathische
Figur des Stückes und diese hat Herr Bandler dem Dichter
Springergasse 3 von Soziald
kongenial nachgestaltet. Bleibt noch das naturechte Spiel
seines Materials beraubt.
des Fräulein Macha als Frau Binder und des Herrn
Schuhmachermeister Kon
Klein als betrogener Ehemann anzuerkennen.
Springergasse 7. Plötzlich fiel
Die Oper hatte wie in deutschen Städten so auch in
und prügelten ihn. Als
Wien einen vollen Erfolg und die beiden Autoren konnten
meister Ripl, seine Hilferufe
mit den Darstellern und Leitern der Aufführung die An¬
hilfe, ellen. Doch die „Genossen
erkennung und den Beifall des Publikums auf der Rampe
entgegennehmen. Gleich nach dem ersten Akt setzte er Wog, einer griff in die Tasch
en Schritt mochst, renn
kräftig ein und entfaltete das Publikum nach und nach
auch!“ Daraufhin holte R
zur hellen Premierenbegeisterung.
Max Sprimger,“ konnte Konrad befreit werden