II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1125

5. Liebelei
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er
Verfahren auch auf Schnitziers „Liebele anwenden
zu dürfen. Wenn aber drei das Gleiche tun, so ist
es noch seltener dasselbe, als wenn es nur zwei
tun, und gründlicher hätte der Ausspruch Richard
Wagners, im Musikdrama werde sich ewig neu
erfinden lassen, kaum verkannt werden können, als es
durch Franz Neumann geschehen ist. Man weiß, daß
Richard Wagner aus der Gegenwart nur darum sich
in die Vergangenheit flüchtete, um in der Darstellung
und Beseelung des Rein=Menschlichen nicht durch den
Zwang zur Schilderung der konventionellen Begleit¬
erscheinungen gehemmt zu sein. Sowohl „Salome“
und „Elektra wie auch „Pelleas und Melisande“
sind der Gegenwart entrückt und in ihrer stilisierten
Sprache war von vornherein Musik gebunden. Anders
bei Schnitzlers „Liebelei“. Sie spielt in der Alltags¬
prosa der Gegenwart, und hat der Komponist im
Einverständnis mit dem Verfasser auch einige Striche
im Text vorgenommen, so blieb noch genug des Kon¬
ventionellen übrig, dessen Schilderung dem Geist der
Musik widerspricht.
Mit dieser Feststellung ist auch schon das Wesentliche
ausgesprochen, das das Werk Neumanns zu einem
groben künstlerischen Irrtum stempelt, und es hat
daneben nichts zu besagen, daß der Komponist, dank
seiner zehnjährigen Praxis als Operndirigent, mit be¬
merkenswerter Geschicklichkeit sein unkünstlerisches
Verfahren verschleiert. Die tiefe Kluft zwischen dem
musikalischen Pathos in der Ausmalung der tragischen
Stimmungen und den kleinen Tonscherzen, die dem
Realismus des Alltags gerecht werden wollen, bleibt
dennoch bestehen, und was in der Operette als
parodistischer Stil Berechtigung hat, berührt hier wie
ein Fremdkörper, wie ein unlauterer Wettbewerb mit
Ziehrers Bierkonzerteffekten im „Traum des Reser¬
visten“, ob nun Theodor, einen Kellner spielend,
Wein eingießt und das Orchester dazu das
Glucksen imitiert oder ob Fritz auf dem Klavier den
Doppeladlermarsch mit Feylgriffen und Gedächtnis¬
schwächen improvisiert. Wo die Situation nach lyri¬
schem Erguß schreit, werden flüchtige Ansätze um eines
falsch verstandenen Realismus willen durch die Ver¬
tonung der belanglosesten und banalsten Zwischen¬
reden im Keime erstickt, und wo endlich die tragische
Grundstimmung zum Durchbruch gelangt, da tritt die
alte sentimentale Oper in ihre Rechte, freilich ohne
die unmittelbar zwingende Wirkung einer hin¬
reißenden Melodik. Leicht und seicht und in
allen
Zungen redend, nur nicht wienerisch, fließt die Musik
zwischen Wagner und Puccini dahin, da einen Brocken
Massenet mit sich führend, hier ein altes deutsches
Volkslied, und wie drohend und dröhnend beim Er¬
scheinen des „Herrn“ das Nahen des rächenden Schick¬
sals im Orchester mit Pauken und Posaunen ange¬
kündigt wird, der stumme Auftritt Mitterwurzers bei
den Aufführungen des Schauspieles im Burgtheater
hatte dennoch ungleich schnurriger gewirkt.
Die Volksoper war redlich bemüht, das Werk
zum Erfolg zu führen, und nach dem Beifall zu
schließen, der gestern die Darsteller und den Kom¬
ponisten nach den Aktschlüssen umjubelte, schien die
Sentimentalität der Vorgänge auch in der Veroperung
ihre Schuldigkeit zu tun. Die Damen En
Roeder als Christine
und
Mizzi deckten
sich in Erscheinung und Spiel wohl nicht ganz
mit den landläufigen Vorstellungen vom süßen
Wiener Mädel. Allein
dem Werke ist—
wenig mehr wienerisch, daß man diesen
Mangel gar nicht empfand. Für den unglücklichen
Fritz setzte sich Herr Lußmann mit seinem warm
quellenden Tenor ein und den lustigen Theodor gab
Herr Brand in guter Haltung. Nur Herr Bandler
wußte mit dem Musikus Miller — Verzeihung! —
Weiring nichts Rechtes anzufangen und hing mit
ängstlichen Blicken am Souffleurkasten. Die zwei Ge¬
mächer, die Jung= und Alt=Wien zu charakterisieren
hatten. waren von Direktor Rainer Simons, dem

Leiter des Spieles, geschmackooll gestellt und Kapell¬
meister Tittel waltete mit Umsicht und Schwung
seines Amtes. Großen Anteil am Erfolg hatten auch
die im Schweiße ihres Angesichts klatschenden Lands¬
leute des Herrn Neumann aus — Proßnitz.
Deutsches Volkstheater. Gestern erschien 9