Liebelei
box 12/4
3. M
enangabe ohne Gewähr.)
Sönn- u. Montags Zeitung, Wien
Ausschnitt aus:
20071913
vom:
(olboper) „Liebelei“, Oper von 8. Neumann. —
Emmy Destinn. — Kein Zweifel, daß Artur Schnitzlers „Liebelei“
sich vortrefflich für ein Opernbuch eignet. Das ganze Prosastück
aber — ohne es vorher mit Rücksicht auf musikalische Gesichtspunkte
entsprechend umzugestalten — sozusagen mit Haut und Haar durch¬
zukomponieren, wie es Franz Neumann getan, war ein verfehltes
Experiment. Die Dichtung ragt, auch unter Musik gesetzt, als drama¬
tisches Meisterwerk hervor und büßt kaum etwas von ihrer tief¬
gehenden Wirkung ein. Diese Wirkung noch zu erhöhen, dazu hätte
es wohl einen Komponisten von eigenartigerer und größerer
schöpferischer Begabung gebraucht als es Neumann ist. Er folgt dem
Dichter nur wie aus weiter Ferne, von einer psychologischen Ver¬
tiefung ist bei seiner Art der musikalischen Illustration keine Spur.
Seine Motive charakterisieren Lustigkeit, Traurigkeit und Sentimentalität,
doch das Unaussprechbare, das, was jenseits des Wortes sich andeutet,
kommt nicht zum Ausdruck. Wie im Kaleidoskop wechseln die Bilder
im Orchester, das auch zur Alltagsprosa, die in Musik nicht lösbar
ist, erklingt; ängstlich ist es fortwährend hinter der Rede her. Ein
Sklave des Wortes, spänelt es uns die Musik zu, fasert Toncharpie.
Der Häckerling der Motive will sich fast nie zu zusammenhängenden
Sätzen, zu stärkerer Entfaltung des Melodischen verdichten. Eine
jewisse dramatische Technik und Geschicklichkeit in der Behandlung
des Orchesters muß dem Komponisten, der sich als tüchtiger Musiker
okumentiert, nachgerühmt werden, doch fehlt das Zwingende, aus
Tiefen Schöpfende, das dieser Musik erst das Weltbürgerrecht der
künstlerschaft verleihen würde und das von dem Vertoner gerade
ieses Schauspieles verlangt werden müßte. Der Novität
ourde in der Volksoper eine sehr gute und temperamentvolle Auf¬
ührung zuteil. Eine besonders glänzende Leistung, sowohl gesanglich
die schauspielerisch, bot Fräulein Engel (Christine), von der man
noch Großes zu erwarten hat. Famos waren auch die Herren Lu߬
mann und Brand, und Fräulein Macha, sowie die Herren
Bandler und Klein trugen gleichfalls zum Gelingen der von
Kapellmeister Tittel mit vielem Schwung geleiteten Vorstellung bei.
An zwei Abenden der verflossenen Woche trat Emmy Destinn
als Aida und Senta auf. Die Künstlerin scheint gegenwärtig gegen
eine gewisse Müdigkeit ankämpfen zu müssen — ihr rassiges Tempera¬
ment kam nur an einigen Höhepunkten zur Geltung — aber immerhin
konnte man sich an ihrer hervorragenden Gesangskunst und an ihrer
Stimme erfreuen, diesem prächtigen Instrument, in allen Registern
geschmeidig und biegsam, über das zündendste Forte wie über das
rbt.
delikateste Mezzavoce verfügend.
— wIatdrs I Mn
Wuchenangabe ohne Gewähr.)
usschnitt aus:
Wontads. Pott rondl. Mät.), Wien
vom:
B
parkett und Lühne.
Der jüngste deutsche Opernkomponist — ein Tscheche.
„Herr Franz Neum ann ist ein Glückspilz. Als er uns die
Musik zu Schnitzl### „Liebelei“ präsentierte, wurde er geradezu ver¬
zärtelt und verhätschelt. Ein heimischer Komponist! Das Schlag¬
wort verfehlte nicht seine Wirkung und das gespendete Lob fiel
an keinen Unwürdigen. Franz Neumann ist, wie man weiß, Ka¬
pellmeister an der Frankfurter Oper, und es geht die Sage von ihm,
daß er mit ernstem künstlerischem Bemühen daran ist, die deutsche
Oper in Frankfurt zu neuer Blüte zu bringen,
Eines allerdings fiel auf: Die Musik stimmte manchmal nicht
ganz zum Charakter des Urbildes des Wiener „Süßen Mädels“. Es
fehlte ihr die Bodenständigkeit, der Duft des Wiener Waldes,
die Wienerische Urwüchsigkeit.
Das mag nun seine guten Gründe haben. Herr Neumann —
hat in seiner Jugend kein Wienerisch gehört. Im Gegenteil. Seine
Muttersprache ist das Tschechische. Er mußte Tschechisch sprechen,
ob er wollte oder nicht, denn sein Vater, damals ein ehrsamer Fleisch¬
hauer, ist Gemeinderat und wehe dem Proßnitzer Gemeinderat, dessen
Kinder so entartet sein sollten, Deutsch zu reden.
Herr Neumann senior ist noch immer tschechischer Gemeinderat
von Proßnitz, und es ist riestg erfreulich, daß das seinem Sehne
Sohne — nicht weiter geschadet hat.
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3. M
enangabe ohne Gewähr.)
Sönn- u. Montags Zeitung, Wien
Ausschnitt aus:
20071913
vom:
(olboper) „Liebelei“, Oper von 8. Neumann. —
Emmy Destinn. — Kein Zweifel, daß Artur Schnitzlers „Liebelei“
sich vortrefflich für ein Opernbuch eignet. Das ganze Prosastück
aber — ohne es vorher mit Rücksicht auf musikalische Gesichtspunkte
entsprechend umzugestalten — sozusagen mit Haut und Haar durch¬
zukomponieren, wie es Franz Neumann getan, war ein verfehltes
Experiment. Die Dichtung ragt, auch unter Musik gesetzt, als drama¬
tisches Meisterwerk hervor und büßt kaum etwas von ihrer tief¬
gehenden Wirkung ein. Diese Wirkung noch zu erhöhen, dazu hätte
es wohl einen Komponisten von eigenartigerer und größerer
schöpferischer Begabung gebraucht als es Neumann ist. Er folgt dem
Dichter nur wie aus weiter Ferne, von einer psychologischen Ver¬
tiefung ist bei seiner Art der musikalischen Illustration keine Spur.
Seine Motive charakterisieren Lustigkeit, Traurigkeit und Sentimentalität,
doch das Unaussprechbare, das, was jenseits des Wortes sich andeutet,
kommt nicht zum Ausdruck. Wie im Kaleidoskop wechseln die Bilder
im Orchester, das auch zur Alltagsprosa, die in Musik nicht lösbar
ist, erklingt; ängstlich ist es fortwährend hinter der Rede her. Ein
Sklave des Wortes, spänelt es uns die Musik zu, fasert Toncharpie.
Der Häckerling der Motive will sich fast nie zu zusammenhängenden
Sätzen, zu stärkerer Entfaltung des Melodischen verdichten. Eine
jewisse dramatische Technik und Geschicklichkeit in der Behandlung
des Orchesters muß dem Komponisten, der sich als tüchtiger Musiker
okumentiert, nachgerühmt werden, doch fehlt das Zwingende, aus
Tiefen Schöpfende, das dieser Musik erst das Weltbürgerrecht der
künstlerschaft verleihen würde und das von dem Vertoner gerade
ieses Schauspieles verlangt werden müßte. Der Novität
ourde in der Volksoper eine sehr gute und temperamentvolle Auf¬
ührung zuteil. Eine besonders glänzende Leistung, sowohl gesanglich
die schauspielerisch, bot Fräulein Engel (Christine), von der man
noch Großes zu erwarten hat. Famos waren auch die Herren Lu߬
mann und Brand, und Fräulein Macha, sowie die Herren
Bandler und Klein trugen gleichfalls zum Gelingen der von
Kapellmeister Tittel mit vielem Schwung geleiteten Vorstellung bei.
An zwei Abenden der verflossenen Woche trat Emmy Destinn
als Aida und Senta auf. Die Künstlerin scheint gegenwärtig gegen
eine gewisse Müdigkeit ankämpfen zu müssen — ihr rassiges Tempera¬
ment kam nur an einigen Höhepunkten zur Geltung — aber immerhin
konnte man sich an ihrer hervorragenden Gesangskunst und an ihrer
Stimme erfreuen, diesem prächtigen Instrument, in allen Registern
geschmeidig und biegsam, über das zündendste Forte wie über das
rbt.
delikateste Mezzavoce verfügend.
— wIatdrs I Mn
Wuchenangabe ohne Gewähr.)
usschnitt aus:
Wontads. Pott rondl. Mät.), Wien
vom:
B
parkett und Lühne.
Der jüngste deutsche Opernkomponist — ein Tscheche.
„Herr Franz Neum ann ist ein Glückspilz. Als er uns die
Musik zu Schnitzl### „Liebelei“ präsentierte, wurde er geradezu ver¬
zärtelt und verhätschelt. Ein heimischer Komponist! Das Schlag¬
wort verfehlte nicht seine Wirkung und das gespendete Lob fiel
an keinen Unwürdigen. Franz Neumann ist, wie man weiß, Ka¬
pellmeister an der Frankfurter Oper, und es geht die Sage von ihm,
daß er mit ernstem künstlerischem Bemühen daran ist, die deutsche
Oper in Frankfurt zu neuer Blüte zu bringen,
Eines allerdings fiel auf: Die Musik stimmte manchmal nicht
ganz zum Charakter des Urbildes des Wiener „Süßen Mädels“. Es
fehlte ihr die Bodenständigkeit, der Duft des Wiener Waldes,
die Wienerische Urwüchsigkeit.
Das mag nun seine guten Gründe haben. Herr Neumann —
hat in seiner Jugend kein Wienerisch gehört. Im Gegenteil. Seine
Muttersprache ist das Tschechische. Er mußte Tschechisch sprechen,
ob er wollte oder nicht, denn sein Vater, damals ein ehrsamer Fleisch¬
hauer, ist Gemeinderat und wehe dem Proßnitzer Gemeinderat, dessen
Kinder so entartet sein sollten, Deutsch zu reden.
Herr Neumann senior ist noch immer tschechischer Gemeinderat
von Proßnitz, und es ist riestg erfreulich, daß das seinem Sehne
Sohne — nicht weiter geschadet hat.