5. Liebelei
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Dit
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EN
Wrt
des
7
Cagesbote
8
Nähren und Schlesien.
63. Jahrgang.
Freitag den 31. Oktober 1913.
S
trauensperson der Goldgräber, entwaffnet ihn. Er stiehlt Sorgen dazu benutzt, künstlerisch wertvolle Werke vorzu¬
nichts, nur das Herz Minnes, mit ##r er ein Rendezvous Fführen.
Daran, daß sie Franz Neumanns dreiaktige Oper
verabredet. Dieses Stelldichein findet im zweiten Akt in
Minnies Wohnung statt. Erst ist's ein Trinmph der Tu=]„Liebelei" (Klavierauszug im Musikverlag von B.
[Schotts Söhnen in Mainz, Textbuch bei S. Fischer,
gend, weil der liebesglühende Räuber in einem Eck des
Verlag, Berlin) nicht erworben und dieses fragwürdige
Zimmers schläft und die tugendsame Minnie im andeten.
Werk der Volksoper überlassen hat, hat die Hofoper recht
Dann kommen die Goldgräber und enthüllen, während sich
getan. Neumanns „Liebelei“ ist ein klassischer Beweis
Ramerrez verbirgt, ihrer Regimentstochter, daß ihr Ver¬
für das alte Sprichwort „Wenn zwei dasselbe tun, ist es
ehrer der berüchtigte Räuber sei, der sogar eine Geliebte
habe. Die Goldgräber ziehen ab. Empört weist Minnie nicht dasselbe“. Puccini hat das Talent, auch die banalste
Frage der realistischsten Alltagskonversation mit stim¬
ihrem Anbeter die Tür, obwohl er ihr auseinandersetzt, er
sei erst seit sechs Monaten Räuber und sei eigentlich Ränbermungsvoller Musik zu umkleiden und zu vergolden. Franz
wider Willen, weil er Geschäft und Truppe von seinem (Neumann besitzt diese Fähigkeit nicht. Gleichwohl ist
Puccini so vorsichtig, sich doch Textbücher zurechtmachen
Vater geerbt habe. Der Räuber geht vor die Tür und fällt
zu lassen. Neumann aber hat den Mut gehabt, dem Bei¬
auch schon, von einem Schuß des lauernden Nebenbuhlers
spiel zu folgen, das Richard Strauß in „Salome“ und
Rance getroffen, schwerverwundet nieder. Sofort lodert
Minnies Liebe wieder auf, sie schleppt ihn herein und ver=„Elektra“ gab: er hat Schnitlers Schauspiel „Liebelei“
#t ihn auf einem Söller. Dicht hinterher kommt der hergenommen und bis Kürzungen rundweg
##it sucht zunächst vergeblich nach dem angeschossenen durchkomponiert. Neumann kann alles, was ein geschmack¬
nben will dann Minnie en passant vergewaltigen und voller und gebildeter moderner Komponist können muß,
##t als er in beiden Beziehungen keinen Erfolg hat, schon Aber es fehlt ihm, wenigstens vorläufig noch, die sonder¬
im Begriff, sich zu trollen, als ihm plötzlich Blutstropfen betonte Individualität. Ein Wiener Puccini hätte vielleicht
vom Söller auf die Hand fallen. Ramerrez ist entdeckt, die schwebende Tragik des Schnitzlerschen Stimmungs¬
muß herunterkriechen und steht, halbohnmächtig, dem Todl bildes musikalisch nachgeschaffen. Neumann hat den Ton
gegenüber. Während er ganz in Ohnmacht fällt, schlägt Schnitzlers nicht getroffen und ist zu schwer, zu pathetisch,
Minnie dem verliebten Sberiff. einem berüchtigten Spieler, zu hochtragisch geworden. So ist ein auffallendes Mißver¬
ein verwegenes Spiel vor. Sie werden drei Partien Pockershältnis zwischen Text und Musik entstanden. Wenn Fritz
spielen. Wer zwei gewinnt, hat überhaupt gewonnen. Ge= Lobheimer singt: „Gestern habe ich mit ihnen soupiert —
winnt der Sheriff, so gehören der Räuber und Minniel mit ihm und ihr — und es war so gemütlich, sag ich
ihm; verliert er aber, so muß er Gentleman sein und darfl dir!“ so klingt das, als ob sich Wotan und Erda über die
niemandem des Räubers Aufenthalt verraten. Minnie ist bevorstehende Götterdämmerung unterhielten! Und nie¬
nabe am Verlieren; da korrigiert sie das Glück mit falschen mals hätte es sich der gute Fritz träumen lassen, daß ihm
Karten, die sie sich gleich zu Beginn des Spiels in den einmal zwischen zweitem und drittem Akt ein pompöser
Strumpf gesteckt hatte. Der Sheriff zieht ab und der Aktj Trauermarsch gespielt werden würde, wie er auch für einen
schließt damit, daß Minnie „mit gellem Auflachen den ohn¬ Siegfried oder einen Weltuntergang nicht wuchtiger und
mächtigen Ramerrez umschlingt". Der letzte Akt steht mit weitausladender erklingen könnte! Die Volksoper hat sich
den beiden vorhergehenden nur in losem Zusammenhang. mit ihrer ersten Novität alle Mühe gegeben. Diese Mühe
Er spielt im Urwald, wo die Goldgräber auf Ramerrez wird auch durch eine Anzahl Aufführungen belohnt wer¬
Jagd machen. Sie fangen ihn und sind eben daran, ihn den, schon deshalb, weil Schnitzlers populärstes Stück in
vor unseren Augen auf einen Baumast aufzuknüpfen. Inljeder Bearbeitung seines Publikums sicher ist. Das Or¬
chester unter Tittels Leitung und die Regie Mar¬
letzter Minute kommt Minnie auf schäumendem Renner
kowskys boten Tüchtiges; nur hätte der Regisseur noch
dahergesprengt und bittet den zum Tade Verurteilten frei.
darauf Einfluß nehmen müssen, daß sich die zwei „süßen
Unter unendlicher Rührung ziehen die Liebenden mit
Duettgesang ab. „Die Menge ist, niedergebrochen. Einige Mädel“ nicht so ganz unmöglich und stilwidrig angezogen
kauern am Beden und schluchzen, andere stützen sich auf hätten! Bei Fräulein Engel ging die Toilette noch an,
ihre Pferde, wieder andere lehnen sich an die Bäume anund sie, deren Domäne sonst die rabiaten Spanierinnen
und geben sich ihrem Schmerze hin, noch andere winken und Italienerinnen sind, fand sich in das stille, liebe Wesen
der sich entfernenden Minnie traurig Lebewohl nach.“ So der Christine völlig hinein. Gar nicht am Platze war aber
also verläuft die Schauergeschichte vom „Mädchen aus dem der neue Stern aus Mitteldeutschland, Fräulein Carlotta
[Röder, als Schlager=Mizzi; nicht nur im Kostüm, sondern
goldenen Westen" „ein Drama der Liebe und seelischen
auch in allem übrigen! Der Tenor Lußmann und der
Errettung, ein Drama fühlender Menschen inmitten der
Schrecken einer wilden Natur und fast noch wilderer] Bariton Brand waren die rechten Wiener jungen Leute.
Berine
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Nähren und Schlesien.
63. Jahrgang.
Freitag den 31. Oktober 1913.
S
trauensperson der Goldgräber, entwaffnet ihn. Er stiehlt Sorgen dazu benutzt, künstlerisch wertvolle Werke vorzu¬
nichts, nur das Herz Minnes, mit ##r er ein Rendezvous Fführen.
Daran, daß sie Franz Neumanns dreiaktige Oper
verabredet. Dieses Stelldichein findet im zweiten Akt in
Minnies Wohnung statt. Erst ist's ein Trinmph der Tu=]„Liebelei" (Klavierauszug im Musikverlag von B.
[Schotts Söhnen in Mainz, Textbuch bei S. Fischer,
gend, weil der liebesglühende Räuber in einem Eck des
Verlag, Berlin) nicht erworben und dieses fragwürdige
Zimmers schläft und die tugendsame Minnie im andeten.
Werk der Volksoper überlassen hat, hat die Hofoper recht
Dann kommen die Goldgräber und enthüllen, während sich
getan. Neumanns „Liebelei“ ist ein klassischer Beweis
Ramerrez verbirgt, ihrer Regimentstochter, daß ihr Ver¬
für das alte Sprichwort „Wenn zwei dasselbe tun, ist es
ehrer der berüchtigte Räuber sei, der sogar eine Geliebte
habe. Die Goldgräber ziehen ab. Empört weist Minnie nicht dasselbe“. Puccini hat das Talent, auch die banalste
Frage der realistischsten Alltagskonversation mit stim¬
ihrem Anbeter die Tür, obwohl er ihr auseinandersetzt, er
sei erst seit sechs Monaten Räuber und sei eigentlich Ränbermungsvoller Musik zu umkleiden und zu vergolden. Franz
wider Willen, weil er Geschäft und Truppe von seinem (Neumann besitzt diese Fähigkeit nicht. Gleichwohl ist
Puccini so vorsichtig, sich doch Textbücher zurechtmachen
Vater geerbt habe. Der Räuber geht vor die Tür und fällt
zu lassen. Neumann aber hat den Mut gehabt, dem Bei¬
auch schon, von einem Schuß des lauernden Nebenbuhlers
spiel zu folgen, das Richard Strauß in „Salome“ und
Rance getroffen, schwerverwundet nieder. Sofort lodert
Minnies Liebe wieder auf, sie schleppt ihn herein und ver=„Elektra“ gab: er hat Schnitlers Schauspiel „Liebelei“
#t ihn auf einem Söller. Dicht hinterher kommt der hergenommen und bis Kürzungen rundweg
##it sucht zunächst vergeblich nach dem angeschossenen durchkomponiert. Neumann kann alles, was ein geschmack¬
nben will dann Minnie en passant vergewaltigen und voller und gebildeter moderner Komponist können muß,
##t als er in beiden Beziehungen keinen Erfolg hat, schon Aber es fehlt ihm, wenigstens vorläufig noch, die sonder¬
im Begriff, sich zu trollen, als ihm plötzlich Blutstropfen betonte Individualität. Ein Wiener Puccini hätte vielleicht
vom Söller auf die Hand fallen. Ramerrez ist entdeckt, die schwebende Tragik des Schnitzlerschen Stimmungs¬
muß herunterkriechen und steht, halbohnmächtig, dem Todl bildes musikalisch nachgeschaffen. Neumann hat den Ton
gegenüber. Während er ganz in Ohnmacht fällt, schlägt Schnitzlers nicht getroffen und ist zu schwer, zu pathetisch,
Minnie dem verliebten Sberiff. einem berüchtigten Spieler, zu hochtragisch geworden. So ist ein auffallendes Mißver¬
ein verwegenes Spiel vor. Sie werden drei Partien Pockershältnis zwischen Text und Musik entstanden. Wenn Fritz
spielen. Wer zwei gewinnt, hat überhaupt gewonnen. Ge= Lobheimer singt: „Gestern habe ich mit ihnen soupiert —
winnt der Sheriff, so gehören der Räuber und Minniel mit ihm und ihr — und es war so gemütlich, sag ich
ihm; verliert er aber, so muß er Gentleman sein und darfl dir!“ so klingt das, als ob sich Wotan und Erda über die
niemandem des Räubers Aufenthalt verraten. Minnie ist bevorstehende Götterdämmerung unterhielten! Und nie¬
nabe am Verlieren; da korrigiert sie das Glück mit falschen mals hätte es sich der gute Fritz träumen lassen, daß ihm
Karten, die sie sich gleich zu Beginn des Spiels in den einmal zwischen zweitem und drittem Akt ein pompöser
Strumpf gesteckt hatte. Der Sheriff zieht ab und der Aktj Trauermarsch gespielt werden würde, wie er auch für einen
schließt damit, daß Minnie „mit gellem Auflachen den ohn¬ Siegfried oder einen Weltuntergang nicht wuchtiger und
mächtigen Ramerrez umschlingt". Der letzte Akt steht mit weitausladender erklingen könnte! Die Volksoper hat sich
den beiden vorhergehenden nur in losem Zusammenhang. mit ihrer ersten Novität alle Mühe gegeben. Diese Mühe
Er spielt im Urwald, wo die Goldgräber auf Ramerrez wird auch durch eine Anzahl Aufführungen belohnt wer¬
Jagd machen. Sie fangen ihn und sind eben daran, ihn den, schon deshalb, weil Schnitzlers populärstes Stück in
vor unseren Augen auf einen Baumast aufzuknüpfen. Inljeder Bearbeitung seines Publikums sicher ist. Das Or¬
chester unter Tittels Leitung und die Regie Mar¬
letzter Minute kommt Minnie auf schäumendem Renner
kowskys boten Tüchtiges; nur hätte der Regisseur noch
dahergesprengt und bittet den zum Tade Verurteilten frei.
darauf Einfluß nehmen müssen, daß sich die zwei „süßen
Unter unendlicher Rührung ziehen die Liebenden mit
Duettgesang ab. „Die Menge ist, niedergebrochen. Einige Mädel“ nicht so ganz unmöglich und stilwidrig angezogen
kauern am Beden und schluchzen, andere stützen sich auf hätten! Bei Fräulein Engel ging die Toilette noch an,
ihre Pferde, wieder andere lehnen sich an die Bäume anund sie, deren Domäne sonst die rabiaten Spanierinnen
und geben sich ihrem Schmerze hin, noch andere winken und Italienerinnen sind, fand sich in das stille, liebe Wesen
der sich entfernenden Minnie traurig Lebewohl nach.“ So der Christine völlig hinein. Gar nicht am Platze war aber
also verläuft die Schauergeschichte vom „Mädchen aus dem der neue Stern aus Mitteldeutschland, Fräulein Carlotta
[Röder, als Schlager=Mizzi; nicht nur im Kostüm, sondern
goldenen Westen" „ein Drama der Liebe und seelischen
auch in allem übrigen! Der Tenor Lußmann und der
Errettung, ein Drama fühlender Menschen inmitten der
Schrecken einer wilden Natur und fast noch wilderer] Bariton Brand waren die rechten Wiener jungen Leute.
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