II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1218

box 12/6
Liebelei
6
5.
sschnitt auslessigche Teitung. Barise
12. APhil 1313
m:
Cheater und Mulik.
Theater am Nollendorfplatz.
Zugunsten des Roten Kreuzes: Schnitzlers „Liebelei.“
Man hatte zunächst die Freude, agnes Sorma wieder als
Christine zu sehen, mit der sie uns vor siebzehn Jahren, als das
Stück wie eine holde Ueberruschung auftauchte, in sanftes Entzück“
verietzt hat. Sie sprach damals nicht Wienerisch, spricht auch hockte
nicht Wienerisch, aber die Figur hat das Melodiose behalten, den
Zauber der so musikalischen wie melancholischen Stadt. Wir
wollen zwischen damals und heute nicht vergleichen, manches an der
berühmten Leistung scheint heute mehr wiederholende Erinnerung
als Hervorbringung im Moment, aber es gibt eben Leistungen, die
sakrosankt sind, und die eine dankbare Anhänglichkeit von der Ver¬
jährung ausnimmt. Unterscheide wer will, ich sah genug von der
früheren Sorma, um ihr auch heute nicht widerstehen zu können.
Ihre Umgebung war zum Teil merkwürdig durch ihren Ur¬
sprung; der Vater und die Freundin stammten aus der Opexette,
die sich in diesem vielgeprüften Hause erfolgreich niedergelassen
hat. Herr Pallenberg ist als Komiker eingeschrieben, aber man
weiß, daß er mehr ist; der Beweis liegt in der Melancholie, die
aus seinem Wesen wie aus jeder edlen Komik hervorschimmert.
Die Rolle des alten Musikus drängt auf Einfachheit, Pallenberg hat
sie noch einfacher gemacht als alle seine Vorgänger. Außerordent¬
lich sein geriet die selbstverständliche animalische Zugehörigkeit zu
seinem einzigen Sprößling, die stumme Art, der weinenden Tochtor
den Arm zu küssen, sich mit kindlicher Unbehilflichkeit an ihr fest¬
zusaugen, wenn die Worte versagen. Der Vater war die stille
und die Mizzi der Massary die laute Freude des Abends. Eine
leckere Grazie, eine graziösere Keckyeit wird sich nicht finden lassen,
und man wird es dem Stern der Operette besonders anrechnen
Rüssen, daß er nicht für sich selbst zu strahlen suchte, daß er die
Gesamtheit einer von vornherein zu düsteren und schleppenden
Aufführung erleichterte und erheiterte.
Eine gelegentliche Wohltätigkeitsvorstellung darf auf zu lann
Vorbereitung keinen Anspeuch machen, aber warum verlegte man
das Stück in so ungeheure Räume, daß die Menschlein kaum zu¬
sammenzukommen schienen, und in so pedantisch symmetrische Ein¬
richtungen? Links das Klavier, rechts das Sofa — in der Mitte
Zwischenräume. Es war nicht die Schuld der Herren Stieler
und Pfann, daß sie von den kleinen Mädchen nicht nur durch
soziale Abstände getrennt schienen. Der melancholische Fritz erhielt
eine sehr feine Form, der gutmütige Theodor eine ungewöhnlich an¬
sprechende Jovialität, aber es fehlte die Einheit und Innigkeit,
wahrscheinlich weil die Vorstellung nicht von dem verbindenden
Ton junger Genußfreude ausging. Die zu früh und zu deutlich
bezeichnete Tragik wurde auch von Herrn Franz Blei, den
es zuweilen dilettiert, noch besonders betont. Der beleidigte Gatte
hielt sich bei dem Liebhaber seiner Frau, den er totschießen will,

zu lange auf, er darf sich natürlich nicht setzen, aber Herr Blei
ließ sich Zeit, um den Gegner zuerst mit Blicken zu erstechen und
mit hohlen Augen ein dämonisches Spiel zu treiben. Manchen mag
es bei dieser Gründlichkeit gegruselt haben, aber Sekunden sind
auf der Bühne kostbar. A. E.

usschnitt lausmner Allgemeine- Zeitun.
Berlin
12 K
m:
A
„Liebelei“ im Theater
am Nollendorsplatz.
Vorstellung für das Rote Kreuz.
Gestern abend ist der „Extrazug nach Nizza“
ausgeschaltet und aufs Nebengleis geführt
worden. Das geschah, um die Bühne für
Schnitzlers junggebliebenes Schauspiel „Liebelei“
frer zu machen, das zugunsten des „Deutschen
Frauenvereins vom Roten Kreuz“ in einer nicht
eben alltäglichen Besetzung aufgeführt wurde.
Ein auf Festtagsstimmung disponiertes Publi¬
kum füllte das Theater bis auf den letzten Platz.
Galt es doch, Agnes Sorma wieder zu be¬
grüßen, die wir in Berlin seit Jahren nicht mehr¬
auf der Bühne gesehen. Sie spielte die Heldin,
das süße Wiener Mädel, die Christine, eine Rolle,
in der sie bereits vor nun beinahe zwei Jahr¬
zehnten ergriffen — damaks bei der ersten Ber
liner Auffuhrung des Schauspiels. Frau Sorma
hat sich ihren zarten, rührenden, innigen Ton
wahrt und sie gab das sentime
mädel mit der gedämpften Leidenscha
Betonts vielleicht
echt wie ehemals.
so
die Tragik der Gestalt gleich von Anbeginn gar
zu heftig, so daß sie sich um die Steigerungen
brachte; und das um so eher, als sie, in dem
Bestreben, diskret zu gestalten, sich jeder kräftigen
Akzente enthielt.
Von der höheren dramatischen Schauspiel¬
kunst waren außer der Sorma nun noch zwei
Darsteller vertreten: Kurt
Rola Valetti. Stieler, der seinen armen
Fritz reichlich wehleidig sprach und mit einem
den Schleier von Melancholie umhüllte, so daß
Frische der Jugend, die nun doch einmal da
nirgende durchblitzte. Frau Valett
spießige Nachbarin mit dem schiessitzenden Stroh¬
deckel, ergötzlich in ihrer naiven Geschwätzigkeit
und echt in jedem Spiel der Mine.
Die anderen aber die in dem Drama mit¬
taten und der Vorstellung das vikante Gepräge
gaben, das waren die Kollegen von der leicht¬
geschürzten Muse, die Helden der Operette, die
Fritzi Massarn, Carl Pfann, Maz
Pallenberg. Am einfachsten bei dieser
schauspielerischen Umwandlung hatte es noch
Massary, die ihre lebenslustige Modistin
Mizi Schlager auf ben gewohnten munteren
Soubrettenton einstellen konnte und mit ihrer
unbekümmerten, draufgängerischen Grazis einen
molligen Erfolg einheimste. Herr Pfann gab
den lebenslustigen Freund; er zog sich ganz acht¬
bar aus der Affäre, wenn er auch in dem Be¬
streben nach Natürlichkeit die Deutlichkeit dran¬
gab. Am stärksten hatte Max Pallenberg als
Vater Weiring gegen die Erinnerung an sein
groteskes Operettenspiel zu kämpfen. Aber die
Lachlust, die sich bei seinem Erscheinen Afänglich
regte, wich bald ernster Aufmerksamkolt, die sein
innerliches, eindrucksvolles Spiel „hollauf ver¬
diente. Er bewies, daß sein Kunsk viel weitere
Grenzen verträgt, als gemeinhin zu erwarten
J. Kn.
war.