II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1222

Liebelej
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Tanehds1äner Morgen Zeitung.
u. Sst).
Allerlei Neues.
W Liebelei.
Man schreibt uns aus Berlin: Die Damen vom Roten Kreuzig
kaben zugunsten ihres Vereins im Theater am Nollendorf¬
latz eine Aufführung von Schnitzlers „Liebelei“ veranstaltet, die 9
man dadurch pikanter zu machen suchte, daß Agnes Sorma die e
famosen Operettenstats Pallenberg,x
Christine und die
Massary und Pfann den alten Weiring, die Mizi und den
ie ganz Raffinierten war der
Theodor Kaiser spielten. F
Münchener Literat und Schauspielerdilettant Franz Blei herbeiele
geholt worden, um den „Heern“ zu verkörpern. Nun, es wäre ebenso un¬
billig wie ungerecht zu heischen, daß die Sorma, die sich heute wohl
schon den —zigern nahern mag, in der Rolle eines jungen, früh=t
lingsgefühlvollen Mädels glaubwürdig erscheinen und Teile eines
Operettenensembles, das allabendlich daran gewöhnt ist, um 8 Uhr
den „Luxuszug nach Nizza“ abgehen zu lassen, über Nacht zu
Schnitzlerschauspielern von Bedeutung emporwachsen sollten.
Minderte man also klugerweise seine Anforderungen und paßte man
seine Ansprüche den Privilegien einer Wohltätigkeitsvorstellung an,
dann durfte man über eine immerhin annehmbare Aufführung
quittieren. Daß ich nichts unterschlage: in der letzten Szene des
Schausptels, die ja bereits durch den Dichter eine ungemein starke Aus¬
gestaltung erfahren hat, strebten alle Darsteller über das während
des Stückes innegehaltene Mittelmaß hinaus. Hier gaben Pallen¬
berg und die Sorma große Momente, hier wurde die Spezialitäten¬
bühne zum Theater, der humanitären Zwecken dienende Dilettantis¬
mus zur Kunst. Es war auch schade, daß dieses wunderbare, ur¬
wienerisch gedachte Stück so ganz unter dem Eindruck des zerstörenden
—.—
Unwienerisch stand. Ich kann gar nicht sagen, wie stark die Leistung
der Sorma darunter gelitten hat, daß die Darstellerin den Wiener
Dialekt, von dem sie nun einma, nicht lassen wollte, in der entsehz¬
lichsten Weise radebrechte. Und die Herren Pallenberg, Pfann,
Damen Massary und
Stieler (Fritz Lobheimer) und die
Valetti (Frau Binder), die doch insgesamt wahrlich nicht mit
Spreewasser getauft sind, haben sich während der Zeit ihrer Berliner
Erfolge, wahrscheinlich aus Dankbarkeit für die Lorbeeren, die man
ionen hier reicht, derart angepaßt, daß auch sie nur einen recht
schwachen Hauch echt Wienerischer Atnosphäre zu verbreiten ver
mochten. Wie gesagt: es war mit Abrechnung der letzten Szape
eine Sosolala=Vorstellung, die in einem mittleren Stadtthealer o#
5
mäßigem Erfolg begleite: gewesen wäre.
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Ausschnitt aus:
Gasnen-Ketensen icltag dece
12
vom
15.3
„Liebelei“ am
Nollendorfplatz.
Mit Agnes Sorma, Fritzi Massary und
Pallenberg.
Eine Art gelungener Improvisation ist diese
Auffürung des Schnitzlerischen Stückes im Theater
am Nollendorfplätz. Eise Pändeville=Bühne, drei
hals
Operettenspieler, ein Literat, der
Mime versucht, zwei entliehene Schauspieler und
Agnes Sorma a. D. Das Glück der Vorstellung,
die den Kassen des Frauenvereins vom Roten
Kreuz galt, lag dort, wo man die Gefahr ver¬
mutete: bei den Operettenspielern, die grell,
laut, unschnitzlerisch hätten sein dürfen. Sie
waren nett, natürlich, unvordringlich, ge¬
lassen, amüsant in einer temperierten Lustigkeit.
Es gibt schon zu viele und zu gute Vorlagen,
um eine der Figuren zu verzeichnen, aber
Pallenberg, der den alten Orchestergeiger,
den verständigen Vater der sentimentalen
Christine gibt, kommt sogar zu einer ganz selbst¬
ständigen Gestaltung. Dieser wienerische Mu¬
sikus Miller, der nur Herz ist, der keinen
Knochen im Leibe, nur Weichteile besitzt, ist in
Pallenbeigs Darstellung gütig, mild, ein lieber,
alter Kindskopf, dem die Träne rasch sickert, eine
volksstückhaft rührende Figur. Und Pallenberg
nimmt die seltene Gelegenheit, sich auf der Bühne
einmal recht von Herzen auszuheulen, tüchtig
beim Schopf.
Ein bißchen geht von seiner Weichheit auch
auf das lustige Paar, auf die Gegenspieler des
schwerblütigeren Fritz und der melancholischen
Christine über. Aber Carl Pfann, sonst aus¬
schließlich Tenor, ist doch ein recht komödienhafter
Theodor, dem man die Liebesphilosophie glaubt,
daß die Weiber ausschließlich nur „zum Erholen
da sind“. Auch Fritzi Massary, die Mizzi
Schlager, ist flott, allerliebst lodderig und
drängt ganz die Soubrette zurück, die sich sonst
in den Vordergrund spielen würde. Dies die
Operettenspieler; alle drei kommen sie Schnitzler
am nächsten. Mit Agnes Sorma, deren süßere
Wehmut und tirfinnerste Durchseeltheit vor
rund siebzehn Jahren der Gestalt und dem Stück
zum Siege verhalfen.
Siebzehn Jahre sind eine lange Zeit, und wenn
sie den zwei letzten Akten des Stückes manchen
Schaden zugetügt haben, so haben sie umgekehrt
der Sorma=Christine der ersten Hälfte des
Stückes Abtrag getan. Hier vermag auch der 1
gleichgebliebene Klang der Stimme, die ihren
süßen Schleier behalten hat, die Illusion der
Achtzehnjährigkeit lieber Wiener Vorstadtmädel
nicht zu wecken. Der starke Schmerz, die Ver¬
zweiflung der letzten Szenen, so sehr sie auch dem
reinen Theatereffekt zugetrieben werden, die sind
eine durchweg glaubhafte und starke Kundgebung
der Sorma von heute. Sie wird sich nun wohl
nicht mehr so lange im Verborgenen halten und
die Provinzen beglücken. Wannsee ist von Berlin
nicht weit und wir brauchen Schauspielerinnen
ihrer Art; wenngleich sie nicht justament die
Christine spielen müssen.
Der vom Lessingtheater entliehene Kurt
Stleler war Fritz. Anatol, der sich nach
einer Zärtlichkeit ohne Pathos sehnt und aus
einer süßen Liebelei weggeschossen wird. Säuber¬
lich, adrett, steif. Als der Mann, der ihn finster
zu den Schatten holt, versuchte sich Herr Franz
Blei. Das Experiment, das innerhalb einer
von Franz Zavrel geschickt abgerundeten, nur
im Tempo zu gedehnten Vorstellung unnötig
eine Szene gefährdete, mißlang. Wie die andern
schauspielerischen Versuche, die einige Literaten
in den letzten Jahren anstellten. Legen wir's
zum übrigen.
Norbert Falk.