II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1265

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Liebelei
5. S
(Quellenangabe ohne Gewähf).
Serenene en eee
Hamburg
ZLOELI915
vom:
Cheater und usin.

Vo.ksover
Liebelei.
Oper in 8 Akten von Franz Neumann.
Liebelei, Franz Neumanns dreiaktige Oper, die im Jahre 1910 ir
Fkanifurt a. M. aus der Taufe gehoben wurde, erlebte nun auch ir
der Hamburger Volksoper ihre Erstaufführung
„Liebelei“ ist hinreichend bekannt und gegeben, was bein
Schauspiel ein Vorzug ist, gereicht der Oper zum Nachteil. Es ist
immer ein Wagnis, ein Schauspiel fast ohne jegliche Aenderung zu
vertonen. Franz Neumann ist gewiß ein starkes Talent, und schicker
wir es voraus, „Liebelei“ eine der besten, vielleicht die beste Oper, die
uns in den letzten Jahren beschert ist, aber der Schwierigkeiten diesen
endlosen Rezitative, namentlich im ersten Akt, vermochte auch er nich
Herr zu werden. Die erste Hälfte des ersten Aktes gemahnt musikalisch
PPOIS
ert an Charpenliers „Luse , jenem vor einem Dezennium vielumstrit¬
nen Werke. Neumann gestaltet den orchestralen Teil der Rezita¬
ie immer interessant, entzückt immer wieder durch geistreiche und
elodiöse Wendungen und Themen, weil auch er fühlte, daß die
ezitative durch das Orchester belebt werden müßten. Wir halten die
ste Hälfte des ersten Aktes nicht sonderlich glücklich; mit
m Text des Schauspiels ist hier eben nicht viel anzufangen.
in kräftiger Strich wäre nur wohltuend. Im Schauspiel nimmt
chnitzler zur Steigerung des gesprochenen Wortes die Musik
Hilfe und erreicht mit Christines Lied am Klavier eine bedeutend
rtiefte Stimmung. In der Oper ist jedoch das Gegenteil der Fall.
n den vorhergehenden Szenen entfaltet der Komponist den ganzen
zohllaut der modernen Instrumentation, dem zur Begleitung des
jedes nur das (stilechte) Tafelklavier gegenübersteht. Sehr oft läßt
sich nun nicht vermeiden, die Begleitung hinter der Szene wieder¬
eben zu müssen, wodurch notgedrungen die Wirkung noch mehr abge¬
schmächt wird. Wir entsinnen uns, die Klavierbegleitung dieser Szene
vom Orchester unterstützt gebört zu haben, was eine bessere Wirkung
auslöste. Geradezu prachtvoll, aus einem Guß, ist der Auftritt und
die Szene des „Herrn“. Sie gehört zu den besten Szenen des Werkes
überhaupt und wirkte nicht zum mindesten auch durch die Darstellung
und Auffassung der handelnden Personen. Bedeutsam ist ferner der
Schluß des Aktes. Das zweite Bild bringt im Vorspiel eine Fuge
der Klaschbasen an der das eigentümlich freie und modern gestaltete
Thema auffällt. Das große Zwischenspiel des zweiten und dritten Aktes
bringt abermals eine Steigerung, hier und vollends vor dem Eintritt
des Vaters im letzten Akt (Christine am Fenster) erreicht die Musik
eine selten erreichte Kraft und Ueberzeugung des Ausdrucks. Nament¬
lich das Thema der Streicher in letzterer Szene ist hinreißend und
faszinierend. Das Orchester malt, wie meistens in der modernen Oper
jede Seelenregung und ist der eigentliche Träger der
Handlung, so daß man häufig des gesungenen Wortes nur¬
als einer Erläuterung bedarf. Das thematische Material ist reich
an lyrischen und markanten Gedanken, die Instrumentation entzückend
fein und durchsichtig, so daß das gesungene Wort fast niemals gedeckt
wird. Als moderner Tondichter verwendet Neumann fast immer den
Trugschluß und erzielt durch das gelegentliche Schließen in der Tonika
und dem unisono der Singstimme und des Orchesterthemas gerade
durch die dadurch zutage tretende Einfachheit eine bedeutende Wir¬
kung. „Liebelei“ ist endlich wieder einmal ein Werk voll natürlicher
frischer musikalischer Erfindung, Neumann ein Tondichter, der fühlt,
was er schreibt und nicht ein Auchkomponist, der sich durch Stellung
oder Beruf gezwungen fühlt auch schöpferisch tätig zu sein. Die Auf¬
führung stand auf respektabler Höhe. Herr Waschmann war glänzend
bei Stimme. Die Partie des Fritz liegt ihm vorzüglich. Auch dar¬
stellerisch darf er die Partie zu seinen besten zählen. Fräulein Schle¬
müller war ihm eine ebenbürtige Partnerin. Herr Kant als „Herr“
bot eine vollendete Leistung. Zu erwähnen sind ferner Fräulein
Scheulen als Mizzi und Herr Challis als Theodor. Herrn Pfeiffer,
dem musikalischen Leiter, gebührt das Hauptverdienst des Abends.
Der Tondichter kann sich keinen besseren Interpreten wünschen. Das
Orchester war unter seiner Stabführung ausgezeichnet, klangschön
und überwand die zahllosen Schwierigkeiten spielend, Direktor Moris
hatte das Werk sorgfältig wie immer in Szene gesetzt.
Die Aufführung ist eine künstlerische Tat und sollte vom Publikum
nicht als solche dadurch gewertet werden, daß das Haus derartige
Lücken aufweist, wie es am Sonnabend der Fall war. Man kann dem
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Leiter einer Bühne dann nicht einen Vorwurf daraus machen, wenn
er entmutigt sein Heil in leichterer Ware sucht. Auch die heutige
ernste Zeit scheint es nicht zu vermögen, die größere Menge der ersten
Kunst wieder zuzuführen. Die ernste Musik ist nicht immer so unver¬
ständlich, wie mancher Laie glaubt, nur muß man den Willer haben
sie zu verstehen, dann wird man in ihr größere Erbaufng und rößeren
Genuß finden als an einem Erzeugnis des Marktes

240111915
Bresianer Zeitung
Reichsgerichts vom 21. Dezemver 1915.)
Breslauer Theater.
Wa. Thalia=Theater. „Lisebelei.“ Die Wiener Atmo=t
sphäre, die in früheren Zeiten dank der damaligen, für der¬
artige Aufgaben günstigen Zusammensetzung unserer Schauspiel= d
sruppe, Schnitzlers Drama umhüllte, hat sich bei uns im Laufe der
Jahre leider verflüchtigt. Nun ist freilich Schnitzlers Schöpfung,
die das „süße Mädel“ zur tragischen Heldin verrtärk, in ihrem
wesentlichen Gehalt von einer die lokale Bedingtheit über¬
windenden Allgemeingültigkeit. Aber es läßt sich nicht leugnen,
daßssie mit der Loslösung vom Mutterboden einen besonderen
Beiz, die eigentümliche Farbe, den zarten Duft einbüßt. Das
(Liebesdrama der Musikertochter und des jugendlichen Lebe¬
mannes, der ein leichtfertiges Genießerleben mit frühem Tode
büßt, kann wohl für sich bestehen, aber seine Umwelt ist nun
einmal so stark auf den Wiener Ton gestimmt, daß sie ohne ihn
an Lebenswärme und damit theatralischer Eindrucksmacht er¬
heblich einbüßt. Bei den Gestalten aus der Sphäre des Volkes
wird uns dieser Mangel besonders fühlbar; und so konnten
weder die Modistin Mizi Schlager, die Fräulein Leny
Engelhard fesch und beweglich gab, ohne doch den vom
Dichter geschaffenen Typ in feinem sinnlichen Reiz und seinem
Wesen erschöpfend wiederzugeben, noch die Strutapfwirkerfrau
des Fräulein Valeska Stock befriedigen. Auch Herr Lenoir,
der für die Spielleitung verantwortlich zeichnete, hatte, obwohl
er im Gegensatz zu den anderen um eine dialektliche Färbung
der Sprache sich mühte, als Musiker Weiving nichts überzeugend
Wienerisches und blieb zudem in einer theatralischen Aeußer¬
lichkeit stecken, die von den Gemütstiefen des sorgenden Vaters
nichts ahnen ließ. Echtes Wienertum gab einzig, ohne irgendwie
mit seiner Beherrschung des Dialekts zu prunken, Herr
Halpern, der als Theodor Kaiser eine echte Gestalt aus dem
Anatol=Kreise auf die Bühne stellte. Herr Rotmund konnte
es ihm in dieser Hinsicht nicht gleich tun; und sein Fritz Lob¬
heimer war von vornherein von einer melancholischen Be¬
schwertheit, unter der man den gewissenlosen, verführerischen
Lebejüngling nicht zu erkennen vermochte. Herr Boßhard
wiederum übernahm sich als „Herr“ in Ton und Geste derart,
daß die Grenze unfreiwilliger Komik hart gestreift wurde.
Gerettet wurde das Drama durch Fräulein Wall, die als
Christine am Anfange von gewinnender Schlichtheit und Natür¬
lichkeit, am Schlusse von leidenschaftlicher Kraft einer fassungs##
losen, anklagefeurigen Verzweiflung war, aber freilich auch da¬
zwischen tote Stellen hatte und in der Entfesselung des Temperass#
ments die Kunst des Haushaltens und Steigerns noch nicht besse
herrscht. Jedenfalls galt ihr vornehmlich der Beifall, der, neben
gelegentlichem verständnislosem Lachen, aus der menschenleeren
Oede des Zirkusrunds zur Bühne hinaufscholl.