II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1268

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Liebelei
8. Senn
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lusschnitt aubeutsche Wacht. Cilli
26 JAN 1916
som:
Schaubühne. 7%
Liebelei. Ueber diesem, einst hochgepriesenen
und jetzt noch hochgeschätzten Stücke des Wiener
Hausdichters Artur Schnitzlerliegtdoch ein Hauch
von Verwesungsdufk. Es wirkt nicht mehr lebendig,
es ist schen der Literaturgeschichte anheimgefallen.
Alle Erregungen des Stückes lassen uns mehr oder
weniger kalt. Was einst als Naturalismus gepriesen
wurde und lebenswahr genannt wurde mutet uns
nur als Darstellung reiner Typen an: typisch das
junge hysterische Mädchen, typisch ihre liebeserfahrene
wurstige Freundin — Gott bewahre, daß ein Wie¬
ner Mädel so ist, so sind nur die „süßen“ Mädeln
des Herrn Artur Schnitzler — typisch die beiden
Junggesellen, der lebenslustige und der melancho¬
das ganze Stück. Und lebens¬

lische, typisch
unwahr. Wir haben an Schönherrs Kunst die Be¬
geisterung für Schnitzlers Seelenzertrennung verlo¬
ren und bewahren vor ihm die Achtung eines geschick¬
ten Bühnenschriftstellers, der Vieles leider durch die
Brille seiner Volksauffassung sieht. Darum werden
seine Stücke ebenso rasch fremd, wie die seines Mit¬
genossen Hugo von Hoffmannsthal. Das Beste des
Abends leistete Fritz Goldhaber in der Rolle des
schwankenden jungen Mannes, den Leidenschaften
hin= und herwerfen, der nicht weiß, wo aus und
wo ein, und der sich schließlich den letzten Folgerun¬
gen mit einer gewissen verzweifelten Edelmannsge¬
bärde in die Arme wirft, um sein einzig mögliches
Schicksal zu erfüllen in einem ruhmlosen Untergang.
Derartige kraftlose Kraf menschen sind für Schnitzler
typisch, Grübler über einen Kelch klaren, guten
Weines, den sie schließlich verschütten, anstatt ihn
zu leeren Fritz Goldhaber wurde dem Schwanken¬
den volle gerecht. Die zweite Hauptleistung des
Abends brachte Julius Nasch mit dem alten Violin¬
spieler Hans Weiring, auch einer echten Schnitzler¬
schen Figur, die alles weiß, alles versteht und alles
verzeiht. Wenn ein Schauspieler es versteht diese
Figur durch warme Herzenstöne zu beleben, dann
liegt sie in guten Händen. Und Julius Nasch ver¬
stand dies. In einer kurzen, aber gut durchgeführ¬
ten Rolle bewies Maria Frolda als geschwätzige
Nachbarin, daß man ihr vertrauensvoll Rollen, die
starke Charakterisierung verlangen, anvertrauen darf.
Die Rolle der Christine war Annie Wipperich zuge¬
fallen. Es ist die schwerste, weil unwahrste Rolle
im ganzen Stück. Man glaubt nun einmal an ein
Mädchen nicht, das sich so mit dem Bewußtsein
einer „einzigen“ Liebe an einen jungen Mann klam¬
mert, von dem sie nichts kennt, als seine Wohnung,
und nichts weiß, als daß er reich und fesch ist.
Annie Wipperich hatte daher einen schweren Stand.
Sie schien es auch zu fühlen und mußte sich erst
langsam in ihre Rolle hineinspielen. Es gelang ihr
schließlich im letzten Akte Die Ausbrüche der Leiden¬
schaft sind auch viel dankbarer darzustellen, als die
Liebe eines jungen Mädchens, das dem Mann folgt,
wie ein junger Hund. Ueberdies hat Schnitzler die¬
ser Rolle in den ersten beiden Akten keine Gelegen¬
heit gegeben, sich auszuleben und sich verständlich zu
machen. Sie ist fast stiefmütterlich behandelt. Uns
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nur seufzen und anhimmeln ist eine schwer glaub¬
haft darzustellende Kunst, wenn dies ernst genommen
werden will. Annie Wipperich half sich über diese
schwierigen Stellen, so gut es ging, hinweg Sie
bewies, daß sie für größere Aufgaben gewachsen ist.
Käthe Telenas Modistin war derb bis auf die
Knochen. Ein wenig Mäßigung hätte zwar nicht
dem größeren Teile der Zuseher gefallen, wohl aber
dem Gesamteindruck des Stückes genützt. Bühnen¬
geschick hat sie sicherlich und auch die nötige Beweg¬
lichkeit und Sicherheit. Auch Eonard Loibners Jung¬
geselle war vielleicht etwas zu lustig aufgefaßt. Es
muß Humor und Laune in der Rolle aufsprühen,
Lebendigkeit und Jugendübermut. Daß Loibner ein
guter Schauspieler ist, wissen wir bereits und spre¬
chen ihm sicherlich treffliche Bühnenbegabung und
darstellerisches Können nicht ab In der bösen
Rolle, in doppeltem Sinne, des Stückes warl Karl
Tema beschäftigt. Er machte mit der Rolle was
mit ihr zu machen war. Denn es ist ja immer
bös, wenn man Liebesbriefe eines anderen zurück¬
geben und als ganz unschuldiger Mensch jemanden
fordern muß. Tema wußte sich mit Austand aus
der unangenehmen Lage zu ziehen. — Eine Ueber¬
raschung für Bühnenleiter und Zuseher war die
Beigabe einer Zwischenaktmusik. Sie war plötzlich
da, woher mußte niemand, und wurde mit Deifall
aufgenommen. Gut war es, daß der bauliche Zu¬
stand des Theaters vor einiger Zeit überprüft wurde,
denn die Kapelle arbeitete mit besonderer Leistungs¬
fähigkeit die Fortestellen auf das prächtigste heraus.
Uebrigens spielten die Musiker sehr gut zusammen¬
und brachten die Stücke mit gutem Portrage zu
Gehör.