Liebelei
box 12/6
5. Jhennnnnns
-6TEB 1916
Reichenberger deutsche Volkszeitung
Reichenberg, Böhmen
—
Theater.
Jüngst Ibsen — jetzt Schnitzler.
Der stets unburmherzige Kritiker desnrmner
Tagblatt“, der bekanntlich unlängst Ibsen ganz
sich
totschrieb, wütet weiter. Diesmal borgt er
Arthur Schnitzler und dessen „Liebelei“ sol¬
gend aus: „Am gestrigen Abend ging eine hyper¬
sentimentale Komödie „Liebelei“ in Szene. Tie¬
E W
ses von dem — bekannten A. Schnitzler auf
drei Akte hinausgedehnte Gejammer einer ver¬
schmähren Gliebten ist bekann lich ein neueres
Zugstück des lterarisch herabgekommenen Wiener
Burgtheaters, es ist also wieder ein berühmtes
Muster, das den geduldigen Klagenfurtern nicht
vorenthalten werden darf. Schon im ersten Akt
merkt man ihm an, wie überdrüssig er ihrer ist.
Im zweiten Akt quälen sie sich gegenseitig und
die P. T. Zuhörerschaft mit der endlosen Fort¬
setzung ihres Zwiegesprächs. Bei demselben wirft
sie sich ihm noch ein parmal an den Hals,
und er will nicht verraten, wer und was er
eigentlich ist; am wenigsten, daß er vor dem
Duell steht
wegen einer anderen! Erst der
dritte Akt, wo er von dem betrogenen Gatten
der letzteren schon erschossen ist, bietet einige
Abwechslung, denn es tritt außer einer biederen
Frau Nachbarin der wo möglich noch sen imen¬
talere Vater der Unglücklichen auf. Er will sie
trösten, das gelingt ihm aber nicht; denn nach
der großen Rührszene geht sie ins Wasser. Ein
anderes lebenslustiges Pärchen bildet gleichsam
das Gegenstück; und sie vermitteln einigermaßen
den Gang der für die Nichtbeteiligten ganz be¬
langlosen „Handlung des Stückes“. Es ist wirk¬
lich merkwürdig, daß derlei Dichter nicht merlen,
auf welche Stufe von Wertlosigkeit ihr ver¬
dorbener Geschmack schon hezabgesunken ist.
Schade um unsere ganz trefflichen Sch uspiele¬
rinnen und Schauspieler, die ihr zu Besserem
geborenes Talent an solche grundsatzlo,e Nich¬
tigkeiten vergeuden müssen.“ — Was würde der
gestrenge Richter erst zu Saßmann und seinem
„Retter“ sagen?!
(Quellenangabe ohne Gewähr.) 12TIR 19“6
Ausschnittriisso Stimmen, Klagonfurt
vom: „
Aal
Runft und Titeratur.
Jubiläums=Stadttheater.
„Liebelei“ Komödie in 3 Akten von
Artur Schnitzler.
Nach ziemlich langer Pause wurdergestern-wie¬
der einmal Schnitzlers „Liebelei“ aufgeführt.
In keinem seiner vielen Bühnenwerke ist der
uns im Fühlen und Denken sonst so wesensfremde
Dichter=Aesthet dem wirklichen Leben so nahe ge¬
kommen, als in dieser schlicht=ergreifenden Tra¬
gödie des Wiener „süßen Mädels“, welche im —
Verlaufe zweier Jahrzehnte von ihrer starken
Theaterwirkung nichts eingebüßt hat. Wenn
diese Wirkung gestern sich etwas weniger tief
äußerte, so lag dies nur an der Fehlbesetzung
der Rolle der Christine, welche der reifen Weib¬
lichkeit des Fräuleins Norden so ganz und
gar nicht liegt. Das liebe, halbflügge, unerfah¬
rene Kind aus dem Dachstübchen, das den ersten
scheuen Flug in der Liebe Wunderland so un¬
säglich hart und bitter büßen muß, verträgt
von Aeußerlichkeiten und der mangelnden Be¬
herrschung des Wiener Dialektes ganz abgesehen
keine tragödienhafte Aufmachung, je einfacher
und natürlicher, je weniger „heldinnenhaft“ diese
arme, herzensreine kleine Dulderin dargestellt
wird, desto unbeabsichtigt=rührender, desto mensch¬
lichergreifender wird die anmutige Gestalt auch
im Spiegel der Bühne erscheinen. Grellere Far¬
ben — um mich bildlich auszudrücken — verträgt
die Christine nun einmal nicht, diese können aber bei
Oderen Gegenstücke, der leichtfertig=munteren Mizzi
Schlager, aufgetragen werden, was Frl. Markl
denn auch mit viel Geschick zu besorgen wußte.
Als Gegensätze in der schweren und leichten Auf¬
fassung des Lebens sind — gleich wie die beiden
Wiener „süßen Mädeln“, auch die zwei jun¬
gen Lebemänner Fritz und Theodor gedacht, was
von den Herren Grieg und Keilholz gut
auseinandergehalten und überaus glücklich zum
Ausdruck gebracht wurde. Mit dem gütigen Mu¬
sikus und unglücklichen Vater Weiring, der so
„Herne ein bißchen Sonnenschein ins Herz seines
vereinsamten, freudlosen Kindes fallen sehen
möchte, schuf Herr Schneider wieder eine Type
von packender Wahrhaftigkeit und auch Frau Fa¬
bro (Frau Binder) und die Spielleitung ver¬
dienen lobend erwähnt zu werden.
box 12/6
5. Jhennnnnns
-6TEB 1916
Reichenberger deutsche Volkszeitung
Reichenberg, Böhmen
—
Theater.
Jüngst Ibsen — jetzt Schnitzler.
Der stets unburmherzige Kritiker desnrmner
Tagblatt“, der bekanntlich unlängst Ibsen ganz
sich
totschrieb, wütet weiter. Diesmal borgt er
Arthur Schnitzler und dessen „Liebelei“ sol¬
gend aus: „Am gestrigen Abend ging eine hyper¬
sentimentale Komödie „Liebelei“ in Szene. Tie¬
E W
ses von dem — bekannten A. Schnitzler auf
drei Akte hinausgedehnte Gejammer einer ver¬
schmähren Gliebten ist bekann lich ein neueres
Zugstück des lterarisch herabgekommenen Wiener
Burgtheaters, es ist also wieder ein berühmtes
Muster, das den geduldigen Klagenfurtern nicht
vorenthalten werden darf. Schon im ersten Akt
merkt man ihm an, wie überdrüssig er ihrer ist.
Im zweiten Akt quälen sie sich gegenseitig und
die P. T. Zuhörerschaft mit der endlosen Fort¬
setzung ihres Zwiegesprächs. Bei demselben wirft
sie sich ihm noch ein parmal an den Hals,
und er will nicht verraten, wer und was er
eigentlich ist; am wenigsten, daß er vor dem
Duell steht
wegen einer anderen! Erst der
dritte Akt, wo er von dem betrogenen Gatten
der letzteren schon erschossen ist, bietet einige
Abwechslung, denn es tritt außer einer biederen
Frau Nachbarin der wo möglich noch sen imen¬
talere Vater der Unglücklichen auf. Er will sie
trösten, das gelingt ihm aber nicht; denn nach
der großen Rührszene geht sie ins Wasser. Ein
anderes lebenslustiges Pärchen bildet gleichsam
das Gegenstück; und sie vermitteln einigermaßen
den Gang der für die Nichtbeteiligten ganz be¬
langlosen „Handlung des Stückes“. Es ist wirk¬
lich merkwürdig, daß derlei Dichter nicht merlen,
auf welche Stufe von Wertlosigkeit ihr ver¬
dorbener Geschmack schon hezabgesunken ist.
Schade um unsere ganz trefflichen Sch uspiele¬
rinnen und Schauspieler, die ihr zu Besserem
geborenes Talent an solche grundsatzlo,e Nich¬
tigkeiten vergeuden müssen.“ — Was würde der
gestrenge Richter erst zu Saßmann und seinem
„Retter“ sagen?!
(Quellenangabe ohne Gewähr.) 12TIR 19“6
Ausschnittriisso Stimmen, Klagonfurt
vom: „
Aal
Runft und Titeratur.
Jubiläums=Stadttheater.
„Liebelei“ Komödie in 3 Akten von
Artur Schnitzler.
Nach ziemlich langer Pause wurdergestern-wie¬
der einmal Schnitzlers „Liebelei“ aufgeführt.
In keinem seiner vielen Bühnenwerke ist der
uns im Fühlen und Denken sonst so wesensfremde
Dichter=Aesthet dem wirklichen Leben so nahe ge¬
kommen, als in dieser schlicht=ergreifenden Tra¬
gödie des Wiener „süßen Mädels“, welche im —
Verlaufe zweier Jahrzehnte von ihrer starken
Theaterwirkung nichts eingebüßt hat. Wenn
diese Wirkung gestern sich etwas weniger tief
äußerte, so lag dies nur an der Fehlbesetzung
der Rolle der Christine, welche der reifen Weib¬
lichkeit des Fräuleins Norden so ganz und
gar nicht liegt. Das liebe, halbflügge, unerfah¬
rene Kind aus dem Dachstübchen, das den ersten
scheuen Flug in der Liebe Wunderland so un¬
säglich hart und bitter büßen muß, verträgt
von Aeußerlichkeiten und der mangelnden Be¬
herrschung des Wiener Dialektes ganz abgesehen
keine tragödienhafte Aufmachung, je einfacher
und natürlicher, je weniger „heldinnenhaft“ diese
arme, herzensreine kleine Dulderin dargestellt
wird, desto unbeabsichtigt=rührender, desto mensch¬
lichergreifender wird die anmutige Gestalt auch
im Spiegel der Bühne erscheinen. Grellere Far¬
ben — um mich bildlich auszudrücken — verträgt
die Christine nun einmal nicht, diese können aber bei
Oderen Gegenstücke, der leichtfertig=munteren Mizzi
Schlager, aufgetragen werden, was Frl. Markl
denn auch mit viel Geschick zu besorgen wußte.
Als Gegensätze in der schweren und leichten Auf¬
fassung des Lebens sind — gleich wie die beiden
Wiener „süßen Mädeln“, auch die zwei jun¬
gen Lebemänner Fritz und Theodor gedacht, was
von den Herren Grieg und Keilholz gut
auseinandergehalten und überaus glücklich zum
Ausdruck gebracht wurde. Mit dem gütigen Mu¬
sikus und unglücklichen Vater Weiring, der so
„Herne ein bißchen Sonnenschein ins Herz seines
vereinsamten, freudlosen Kindes fallen sehen
möchte, schuf Herr Schneider wieder eine Type
von packender Wahrhaftigkeit und auch Frau Fa¬
bro (Frau Binder) und die Spielleitung ver¬
dienen lobend erwähnt zu werden.