II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1287

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Liebel
5. J .
Rheinisch Westoh. Zeittee Tars
23.110
Liesete
& Essen, 2. Jm. Stadttheater: Ein Schnitzler=Abend. Sie
flnd eigentlich recht leere Gestatten, diese eleginten=Kavaliere
Artyur Schnitzters, die alles und nichts auf der Welt trewen,
und deren grunblichstes Stwium nuen dem der Pferde und der
neursam Kuureklenmode dees der Frau bildet. Diene Ercc#iter
aus Langerwene, die hier mit einer Ehefrau zarte Beziehungen
pflegen, um dort einem keinen Waner Vorstadtmäden mit ge¬
wissentoser Grazie den Kopf zu verdrehen. Sie lieben nicht,
diese Abenteurer des Heizens, sie lubeln nur, sie kennen nicht die
große Leidenschaft, sie suhen nur die erotische Senjation, den
Reiz, der im Wechsel liegt. Ueverfahrene, mude Steptiker schon
in jungen Jahren, bleiben sie jeder starken Empfindung unfähig:
wenn sie nicht weltmannisch tandeln mit ihrem Gefühl, bungen
sie es allenfalls zu einer Sentimentalität, die sich in der Novelle
noch ertraglich giet, rom der Buhne herab aber unerträglich wirkt.f
In dem Schaspiel „Lietelei“ stießt vor allem der letzte Aufzug
über von billiger Empfndelei, die herhalten muß, ein Stück zum
Dreiakter zu dehnen, das schon nach dem ersten Akt zu Ende sein
könnte, wie de A##o-ehenen. Es ist soviel üder gewisse
Fmuenliteratur gewitzelt wenden gerade von dem Schnitzterkvo.s:
ich muß gestehen, daß dieses aus spieterischer Frivolitat und allzu
billiger Rührsetigkeit gemischte Stück für mich nicht höher steht,
wie so manche Leisunng jener Gartenlauben=Litemtur. Es übte
das Stoffliche damals vielleicht einen Reiz auss, als Schnitzler
seine Erfeige erlebte: heute, wo es uns bis zum Uebendruß in
immer neuen Augüssen vorgesetzt worden ist, schmeckt auch das
recht abgesunden. Nicht minder abgestunden das dem Lustspiel
„Literan zugrunde liegende Motiv vom Weilchen, das dem
Chemann dasonläuft, weil es sich unverstanden fühlt, das in
literarischen Kafsees herumndanabondiert, mit einem Schriftsteller
ein nicht nur ferlisches Verhältnis hat, um schlioßlich in den
Armen eines weltmannischen, aber gä zlich untiterarischen Varons
das — Glück zu finden. Auf wie lange?
Schnitzter ruckt mit einer gewissen anmutigen Frechheit das
sittlich Anstößige in gefällige Beleuchtung, er bewahrt dabei stets
de Haltung des objektiven „Psychalegen: Allein das Spieleriphe
des Literaten ist stärker in ihm, als der ernste Gestaltungswille
des Dichtes: diese Szenen unterhalten uns für einen
Theaterabend, nachhaltige Eindrücke hinterlassen sie nicht.
Dazu kam, daß in Liebelei den Kavalieren (Weitag und
Wörtge die sichere, selbstverständliche Grazie mangelte, die
den Hauptreiz der Schnitzkerschen Männlichkeit ausmacht, und
daß Fräulein Stuckering ihre hübsch angelegte Christine
schließlich in peinliches Theater hineinsteigerte. Der vom Dichter
ehan überladene Schluß kann nur durch schlichteste Darstellung
Ferettet werden. Durchaus richtig im Ton war die Frau Binder
des Främein Westerland.
Die Aufführung von „Literatur“ wurde von dem sein
charakterisierten Clemens des Herrn Hübner getragen, der auch
die Spielleitung hatte. Fräulein von Helling zeichnete die
Umrisse der Margarethe zu dick: Schnitzler ist hier so deutlich,
daß die Darsteltung hämpfen muß, sonst wird dieser Schwank
peinlich. Auch Her„menne tat als Gilbert zuviel: beide Künstler:
sollten sich an Kübner, der die Spielleitung hatte, stilistisch
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a aus Troppader Zeitung
27.356 1977
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Theater, Kunst und Literatur.
„Liebelei.“
Aus der sorglos rosenfarbenen Welt der
Lichelei in der
„Anatol“=Szenen ist Sch
der Dichter zum erster at oßel Ton
des Herzens gefunden hat, hervorgegangen. Zwar
kehren in allen seinen späteren Werken die Ge¬
stalten dieser innigen Lebenstragödie, die erschüt¬
terndes Leid und wuchtigen Ernst aus dem Scheine
unbekümmerter Lebenslust hervorgehen läßt, in
mannigfachen Variationen wieder Dennoch ist
die „Liebelei" Schnitzlers stärkstes Werk geblieben.
Wie ist die Wirkung, die auch heute noch von
diesem Stücke ausgeht, dessen Handlung so ge¬
ringfügig, ja so einfach und alltäglich ist und die
uns dennoch vom ersten Worte an fesselt und in
atemloser Spannung erhält, zu erklären? Ganz
einfach: Weil ein Dichter dieses Spiel der Liebe,,
aus dem für ein junges, in schlichter Selbstlosig
keit hingegebenes Menschenkind das tragische
Schicksal erwächst, ersonnen und gesehen, und
ein Künstler es war, der es gestaltet hat, ein Poet,
der mit sanftem Hauche den Staub von den Din¬
gen des Alltags streift und sie zu feierlichem
Blühen erweckt. Die tiefen Atemzüge der Wirk¬
lichkeit sind in diesem Stücke. Mit scheinbar äu¬
ßerster Kunftlosigkeit ist diese simple Lebensskizze
aufgebaut und kein falscher pathetischer Ton in
der Sprache dieser Menschen, die im leichtsinnigen
Genuß der Stunde oder mit leiser Schwermut
ihrem Schicksal entgegengehen. Aus dem tiefen
Mitleid, das der Dichter in der lautlos hingege¬
benen Gestalt der Christine erweckt, die in ihrer
wunderbaren Schlichtheit einem holden Urbild der
Liebe gleicht, strömt die stärkste Wirkung des
Schauspiels.
Die gestrige Aufführung des Werkes unter
der gediegenen Leitung des Spielleitens Grü¬
nau ließ den Wert der Dichtung vollauf zur
Geltung kommen. Wenn och ein Wunsch uner¬
füllt blieb, so war es der ich einer gleichmäßige¬
ren Beherrschung des Wiener Dialektes. Als
Christine trat uns ein Gast, Fräulein Martha
Kren vom Düsseldorfer Stadttheater entgegen,
die in diese Rolle schlichte Natürlichkeit, sowie
Wärme und Innigkeit des Tons zu legen wußte
und den großen Schmerzensausbruch am Aus¬
gang des Stückes vollkommen wahr zu gestalten
verstand. Fräulein Stein als Mizi Schlager bot
in der feinen Zeichnung frivoler Kälte und naiver
Genußsucht eine sehr gute Leistung. Den leicht¬
sinnig=schwermütigen Fritz Lobheimer spielte Herr
Groß mit ausgezeichnetem Gelingen. Herr
Werner=Eigen erfreute durch sicheres und
gewandtes Spiel, das die Leistungsfähigkeit die¬
sses Darstellers hervortreten ließ. Herr Hart¬
berg fand in der sorgsam durchgearbeiteten Dar¬
stellung der milden Gestalt des Violinspielers
Weiring ergreifende, tragische Töne. Herr Grü¬
nau zn der Rolle des betrogenen Gatten und
Fräukein Conrady in einer anderen illustrie¬
renden Nebenrolle waren gleich vorzüglich.
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