II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1292

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vom 7.1


Bremer Tagblatt
Bremer Stadttheater.
Liebelei und Literatur von Arthux Schulgler.
Der charokteristische Zug nicht nur des Schnitzlerschen, sonl¬
dern eigentlich des Wiener Salon= und Konversationsstückes
überhaupt ist etwas Eizigartiges und in seiner Art durchaus
Vollendetes, das ich das „Feuilletonistische“, nennen möchte.
Das ist die Kunst, eine funkelnde Fülle von Geist, Beobachtung,
durch spielerische Eleganz gedämpfte Satire, Empfindsamkeit,
Lebensweisheit und tändelnde Frivolität in die sorgfältig aus¬
geschlifsene Form eines ganz knappen, nervös beweglichen Büh¬
nengeschehens einzusangen. Da soll jeder Satz, eigentlich jede
Bewegung, jedes Handlungsteilchen überraschen, glitzern, neue
Peize zeigen, wie ein rasch hin= und hergewandter Edelstein im
Licht Rillexe vom flüchtigen Aufglänzen bis zum strahlenden
Feuer sattbunter Farben wirft. Da sind in den beiden Paaren,
die in „Liebelei“ die Träger der Handlung sind, die Vertreter
dessen, was man den Wiener Geist nennt; nicht den „öster¬
reichischen“ Geist, denn der wienerische ist etwas Spezifisches:
Auf der einen Seite der junge, elegante Lebemann, der das
liebe Dasein mit künstlerischem Genießertalent lebt und dar¬
über gelegentlich mit ironischer Grazie ein wenig philosophiert,
ohne sich sein inneres Gleichgewicht stören zu lassen; ihm ent¬
spricht das süße „Weaner Madel“ mit der Schmetterlingsseele
und der naiven Freude am bunten Leben, in dem auch ein
wenig Sentimentalität nicht fehlen darf. Angenehm prickelnde
Auf der anderen
Gefühlchen, Sektstimmung und Musik — —
Seite der melancholisch angehauchte, schwerblütigere Wiener,
der alles vom Standpunkt starken Erlebens — sehen möchte,
in allendiesen Dingen aber die unglückliche Hand des Dilet¬
tanten hat und aus einer selbstgeschaffenen unhaltbaren Lage
die gesellschaftlich notwendigen Folgerungen zieht, um mit der
tadeliosen Haltung des formgerechten Kavaliers in den Tod zu
gehen. Ihm wieder entspricht das schwermütig veranlagte,
gleichzeitig gefühlsstark und romantisch empfindende Bürger¬
mädel. Die Ergänzungen zu diesen typischen Gestalten: der
alte Musiker, der so herzbewegend mahnt, das liebe Leben nicht
ungenossen zu lassen, und die im Philisterium versunkene
Kleinbürgerin, die auch einst ein süßes Mädel gewesen ist, und
bei der sich die Wiener Sprachgewandtheit in die böse Zungen¬
fertigkeit der anen Klatschettel verwandelt hat. — —
In „Literatur“ das zur Abrundung des Bildes notwendige
Gegenspiel des weiblichen Charakters: die Salondame mit der
interessanten halbdunklen Vergangenheit, geistreich, „kompli¬
ziert“, sprunghaft, mit großen erotischen Bedürfnissen (man
hann's halt net anders ausdrüchen!! — Ramane und Gedichte
schreibend. Ihr (vorläufiger) Bezwinger ist der gepflegte Sa¬
lon= und Svortsmann, dem die aristokratischen Allüren wie
angegossen sitzen, und um den die spöttisch=überlegene Korrekt¬
heit eine durch nichts zu erschütternde Mauer gezogen hat.
Letzken Endes ein Blender. Und dann haben wir ein leben¬
diges Stück Wien — —
Clara Goericke gab die Höhevunkte ihrer vornehmen
Kunst im zweiten Stück. In „Liebelei“ war sie viellelcht n
wenig zu deutsch=gefühlsoll, anstatt wienerisch=sentimental zu
sein. Nun hat ja allerdinas das Stück nach dem von konzen¬
trierter Stimmung erfüllten ersten Akt ein paar Breiten und
Schwächen, die besonders dadurch in Erscheinung traten, daß
Walter Thomaß und Emma Schulhof=Frühling in
ihren Rollen nicht ganz in ihrem eigentlichen Gebiete waren.
Und der tragische Schluß im Sinne des „bürgerlichen Trauer¬
spiels“ hinterläßt,so meine ich wenigstens, keinen reinen und
starzen Eindruck. Die Verkörperung der Margarete in „Lite¬
ratur“ aber war so überzeugend und echt, daß mon den Ver¬
lust, den Clara Goerickes Fortgang für unser Theater bedeutet.
sehr empfand. Das kam auch in dem Beifall des Publikums
und in den Blumenspenden zum Ausdruck. Gerti Selles
Mizi Schlager war in ihrer sprudelnden Lebendigkeit eine ganz
hervorragende Leistung. Ernst Dernburg gab den Wiener
Lebemann schon im ersten Stück so, wie er sein soll; auch ihm
gab besonders der vornehme Aristokrat und Sportsmann im
L. Stück Gelegenheit zur Entfaltung einer trefflichen Charakte¬
risierungskung Carl Gerhard=Schröder dagegen ge¬
siel mir besser in „Liebelei“, da er in „Literatur“ das „Schla¬
winerhofte“ denn doch ein wenig ins Burleske zog und da¬
mit die Gedämpftheit des Tones durchbrach. Max Brock fand
sich mit der Episodenrolle des „Horrn“ in guter Haltung ab.
Dr. Alwin Kronachers Bühnenbilder waren geschickt gestellt.
K. 1.