II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1325

Liebelei
box 12/7
5. J 2
MS 918
Der Morgen Wien
Theater.
Burgtheaterl)
Alexander Gitarti als Mußkel Weyring in Schnitzlers
Mebelei“.
dertehmütiges Lächeln heraus,
daß nun jedes Autrei Gikardis eine Sensation ist, die
leider nur in sehr höringem Maße als eine künstlerische an¬
gesehen werden kank. Denn dieser Künstler braucht als ernst
zu nehmender Schauspieler nicht erst entdeckt zu werden,
und nicht das Publikum trägt die Schuld daran, daß er
seinerzeit aus dem Deutschen Volkstheater wieder in die
Vorstadt geflüchtet ist. Sein Weyring war eine sehr gute
und sehr vornehme Girardi=Leistung. Freilich die eines in
eine höbere Aufgabe hineingepreßten Girardi, der sich
nicht die Ellbogenfreiheit des Wirkens verschaffen darf,
die er gewohnt ist und deren er zur vollen Wirkung bedarf.
Es ehrt ihn natürlich hoch, daß er hier auch keinen Versuch
dazu macht. Aber der pathetische Rührungston, der in der
Vorstadt so hübsch an das Burgtheater erinnerte, klingt im
Burgtheater gar nicht so bodenständig. Und das Allerwert¬
vollste an Girardi geht verloren, wenn man stärkere Wand¬
lungskunst von ihm verlangt. Sein Weyring war ein be¬
scheidener, seelenguter braver Vater. Sonnenthal aber spielte
in diesen anderthalb Szenen eine ganze erschütternde Lebens¬
geschichte. Und, sein Schlußaufschluchzen: „Sie kommt nicht
wieder“ krampfte dem Zuhörer das Herz zusammen.
Herr Gerasch ist ein blasser, armseliger Fritz, der als
Schicksal dieser lieben Christine nur ärgerlich anmutet. Über
Frau Medelskys Kunst ist auch in dieser Rolle nur mit
den Worten der höchsten Bewunderung zu sprechen, aber sie
soll die Christine doch nicht mehr spielen. Sie ist jetzt unsere
Maria Stuart und unsere Medea; hat also das Recht und
die Pflicht, für die Christine zu reif und zu frauenhaft zu
sein. Als Schlagermizzi war Fräulein Kutschera von
Erregung sinnlicher Wärme ist ihr auf der Bühne leider
versagt. Ausgezeichnet war Herr Lackner in der Rolle des
Theodor Kaiser, die er ja schon im Volkstheater gespielt hat;
er scheint noch gewachsen zu sein. Die Regie Devrients
atmete die ganze gutfundierte Kultur des Burgtheaters
und offenbarte den Segen fleißiger und vornehmer Proben¬
arbeit. Dennoch ließ sie vieles ungetan, was für die Wir¬
Aung dieses vielleicht besten Schnitzler=Stückes noch leicht zu
leisten wäre.
II. Leosikr.
4-M219½
wiener Moutngs Journal, Wien
(Hofburgtheater.) Girardi als Hofburgschauspielerl
In SchLiebele ist der große Volksschauspieler in
das Burgtheaterensemble eingestellt worden. Als Raimund¬
darsteller versammelte er eigentlich das Burgtheater um sich.
im modernen Konversationsstücke mußte sich seine Eignung
für die Hofburg entscheiden. Er hat gut bestanden, weil er
sich seine Eigenart bewahrte. Ton und Exterieur burgtheater¬
mäßig, Gemüt und Herzenssprache Eigenbau, Girardi. Das
ist eine gute Mischung, die auch dem Burgtheater und seiner
heiligen Tradition sichtlich gut bekommt. Girardi gefiel dem
Publikum ausgezeichnet und er wirkte auch auf seine Um¬
gebung ein. Lackner war vielleicht nur etwas zu burschilos,
Frl. Kutschera zu wenig Eigenart, aber sie bestanden beide
gut, gbenso= Gerasch als seykimentaler Anatol. D#s Burg¬
theater datte einen guten Volsstbenterabent

Tagesbote aus Mähren und Schlesten
2
Brünn.
S- Laia 1516
ang Abung
Frander Girardi hat als zweite Antrittsrolle den
Muse Weiring in der ihm zu Ehren neu inszenierten „Bie¬
belei“, Artur Schnitzlers gespielt und er paßte auch in diesem
fast echt=wienerischen Schauspiel so gut ins Burgtheaterensemble,
als ob er schon 20 Jahre darin wirkte. Schade, daß Schnitzlers Meisterwerk
leise, leise doch blässer zu werden anfängt. Ohne des Dichters Schuld ist
uns „das süße Mädel“ almählich auch zur exkannten schönen
Lüge geworden, wir fühlen was Unechtes mitklingen, wenn Chri¬

stine sagt: „Angebetet hab' ich ihn!“ 7.Bet' hab i' zu ihm
würde das Vorstadtmädel höchstens sagen), und selbst dem rei¬
chen Jüngling glauben wir nicht mehr recht, wenn er im Augen¬
zblick selbstvergessener Leidenschaft vom umsprühenden Schimmer
Girardi als Weiring hatte nach dem
der Ewigkeit spricht ...
zweiten Akt, wo diese Nebenrolle einzig etwas stärker vortritt,
starken Beifall. Verdienten Beifall; denn sein ganzes Wesen ist
Musik, weiche, wienerische Musik, und so traf er auch den Tons
des gutmütigen, resignierten Orchestermusikers aus der Vorstad¬
mit wundenbarer, überzeugender Innigkeit. Aber Girardi ist ein
großer Musiker, er ist am größten als Tragikomiker, doch ist er
kein Tragiler und wird es auch nie mehr werden! Daß hier
seine Grenze und Gefahr liegt, zeigte sich im dritten Akt, we
der alte Musiker durch das Unglück seines einzigen Kindes zur
rein tragischen Figur wird. Girardi wich der Gefährlichkeit da¬
durch aus, daß er sich möglichst still und zurückhaltend gab. Allein
es ist doch unzweifelhaft, daß Sonnenthal im dritten Akt stärker
rührte ... Das Viergespann der zwei Liebespaare war in der
neuen Inszenierung recht ungleichartig zusammengesetzt. Alle
Kunst der Schminke vermag es nicht, eine Vierzigerin und eine
Zwanzigerin als gleichaltrige, junge Mädchen erscheinen zu las¬
sen; Gesichtszüge, Körperformen und Spieltechnik widerstreben“
zu sehr, und so paßten die rührende, ergreifende Christine der
Frau Medelsky und die frische, flotte Mitzi des Fräuleins
Kutschera gar nicht zu einander. Bodenecht, nur etwas über¬
reif war Lackner als Theodor; dagegen Gerasch als Fritz
ganz unwienerisch und unerfreulich. Die Episode des fremden
Herrn wird durch Devrient, wie seinerzeit durch Mitterwurzer.
ein Mittelpunkt des Stückes. Aus den ungleichen Stilelementen
dieser neuen Inszenierung, die sich erst in den weiteren Auffüh¬
rungen zur Einheitlichkeit zusammenschließen könnten, ragt
als letzte Säule von der einstigen Première noch die lächelns
boshafte Strumpfwirkerin der Frau Walbeck heraus, die nur
etwas undeutlicher spricht, als vor zwanzig Jahren. — Auf die
neue „Liebelei“ folgte als Abklang Schnitzlers einaktige Litera¬
turkomödie „Literatur“, ebenfalls ein klein wenig vergilbt,
weil uns die Dichter des Cafés, die unverstandenen Frauen, die
von Mann zu Mann rennen müssen und diese Art „Literatur“
so fremd geworden sind, daß uns sogar der Spott darüber nicht
mehr recht berührt. Aber in der bekannten, mitreißenden Dar¬
stellung des neuen Burgtheaters (Frl. Marberg, Treßler
und Heine), wo jede Pointe sitzt und zündet, erzielt die Ko¬
mödie noch immer ihren vollen Heiterkeitserfolg. — Ergebnis des
anregenden Abends: es wird, wie schon vorausgesagt wurde,
auf die Dauer nicht leicht sein, für Girardi Burgtheater¬
rollen zu finden!
Dr. v. Wymetal.
##. #mnem Mllegen. Für Donnerstag und Freitag