II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1338

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Stadttheater.
Komödie in 3 Akten von Arthur
smersholm“ Schauspiel in
Henrik Ibsen.)
trinkt und liebelt. Bessere Mädchen haben doch ein stark
ausgeprägtes Schamgefühl, eine große Scheu vor der
Gefahr. Allerdings — die Liebe! Gewiß sie entschul¬
digt oder erklärt viel, aber doch nicht alles. In dem
Charakter der Christine ist ein unlösbarer Widerspruch.
Sie knüpft mit dem Leichtfuß ein Verhältnis an und
sagt sich selbst, daß es nicht von langer Dauer sein wird,
trotzdem aber ist sie eifersüchtig bis zum Exzeß, fragt ihren
Fritz auf Kündigung, ja ohne Kündigung nach all seinen
Beziehungen, ist selbst, nachdem sie erfahren, daß er der
verheirateten Frau wegen im Duell fiel, empört über die
andern Liebeleien desselben, über seine Geringschätzung
ihrer Person u. s. w. Da könnte man doch unwillkürlich
ausrufen: entweder — oder! Entweder ist sie ein an¬
ständiges oder ein leichtfertiges Mädchen. Man könnte,
aber: wer ergründet ganz die Natur eines Weibes, die
oft aus Widersprüchen zusammengesetzt ist?! Wer wollte
das stärkste Gefühl, die Liebe, so einseitig, schablonenhaft
einschätzen? Die Tragik ist nun einmal da und das
Mitleid ergibt sich von selbst. Es wird in gleichem Maße
allerdings nicht jenen Tausenden gezollt, die — ob Mann
oder Frau — sich mehr bezähmten, obwohl auch sie
warmes Blut und nicht kaltes Wasser in den Adern
hatten. Im Kampf ist nicht immer der Tapferste Gegen¬
stand des allgemeinen Interesses, sondern der Verwundete
und Gefallene. — Die Schnitzler'sche Komödie fesselt das
Interesse bis zum Schluß. Die Aufführung war gut und
insofern von persönlichem Interesse, als sie Gelegenheit
bot, neugewonnene Kräfte in neuen Rollen kennen zu
lernen. Die sentimentale Liebhaberin Frl. Nunner
spielte die Rolle der Christine in der äußeren Erscheinung
gefälliger sowie in den Gefühlsäußerungen lebhafter und
linniger als ihre Klärchen=Rolle im „Egmont“. Die
Christine lag ihr wirklich gut, auch sprachlich. Im leicht¬
fertigen Gegensatz, in der Rolle der Mizi zeigte sich Frl.
Mertens ebenfalls von einer ganz vorteilhaften Seite
und hübschen Komik. Herr Neufeld als Fritz verdient
Anerkennung für das richtige Erfassen seiner Rolle und
die vorteilhafte Durchführung. Als leichtfertiger Theodor
brachte Herr Schramm die witzigen Schlager der Plau¬
dereien schön zur Geltung. Auch in der traurigen Schlu߬
szene war sein Spiel von guter Wirkung. Die kleine
Rolle des betrogenen Ehemannes wurde mit Ausdruck von
Herrn Kirsch gegeben. Durch die beiden älteren Per¬
sonen, den Violinspieler und die Strumpfwirkerin, gewann
das ganze Stück insofern, als auch sie über die Jugend
und das Alter philosophieren — und zwar im Sinne des
bekannten Ausspruches: Im Alter bereut man, was man
getan hat oder aber, was man nicht getan hat. Die
alte Binder und Heiratsmacherin, von Frau Hedwig
May recht drastisch gespielt, hat ihre eigene Jugend mit
allen Verirrungen vergessen und ist in ihrem Urteil über
die Jugend moralisch wie ein Scharfrichter. Der alte
Weiring, von Herrn Sodek warmherzig gegeben, ist voll
Nachsicht und Liebe. Was hat so ein junges Menschen¬
kind von aller Entsagung, wenn es ins Alter nicht einmal
eine liebe Erinnerung hinüber retten kann?! So täuscht
sich selbst das besorgte und reflektierende Alter über das
merkwürdige Leben! Denn die „Erinnerungen“ werden
gewöhnlich nur von der bitteren Reue über ein verfehltes
Leben begleitet, wenn nicht auch im Alter noch der
Leichtsinn vorherrschet. Das Haus war zahlreich
besetzt.
so
Wie in den „Gespenstern“ und anderen Werken,
wird auch in dem Schauspiel (Trauerspiel) „Rosmersholm“
von Henrik Ibsen eine Gesellschaft behandelt, die nicht
mehr gesund ist. Es sind Zeichen der Degenerierung, die
sich in den Hauptpersonen bemerkbar machen. Dazu ge¬
hört auch die Ueberempfindlichkeit und Willensschwäche bei
Johannes Rosmer. Auf Romersholm liegt etwas in der
Luft, was den Menschen das freie Aufatmen benimmt,
einte schleichende Krankheit. Die Kinder schreien nicht und
die Erwachsenen können nicht lachen, erzählt Madame
Helseth. Selbst eine gesunde und willensstarke Natur wie
bekka unterliegt schließlich der geistigen Ansteckungs¬
atmosphäre— Wie sich in den Wänden alter Herrensitze
im Laufe der Zeit gern allerlei Giftpilzchen und andere
gesundheitsschädliche Dinge festsetzen, so auch in alten
Familien allerlei Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten, die
sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben und schließlich
schädlich wirken. Vorurteile verhindern die rechte Zucht¬
noch herzhaft lachen können. Das Schreien wie das Lachen
wirken befreiend und gleicht der frischen Luft wie dem hellen
Sonnenschein. Was würde aus uns armen Menschen¬
kindern ohne diese Ventile einer höheren Macht auch
werden! Irren und Sündigen ist menschlich. Wie der
Leib, so ist auch die Seele den Krankheitserzeugern aus¬
gesetzt. Aber wie ein noch nicht im Mark angekrän¬
kelter Körper, so kann auch eine starke Seele immer
wieder gesunden — durch Erkenntnis, Reue und den
starken Willen zum gesunden Leben. Unser großer
Dichter Goethe, den man so oft einen „Heiden“ nennt,
ohne ihn recht zu kennen, war selbst ein großer Lebens¬
künstler und gab folgende goldene Lebensregel uns Allen:
„Wir sollen täglich Gott bitten um hohe Gedanken und
ein reines Herz“. Dann findet sich nach einem menschen¬
würdigen Leben auch ein natürlicher, menschenwürdiger
Tod. Der Selbstmord ist doch nichts anderes, als ein
furchtsames Anskneifen. Wenn auch Einzelfälle vor¬
kommen, wo der selbst herbeigeführte Tod als Erlösung
aus großer Qual entschuldigt wird, so ist es doch nicht
minder wahr, daß viele Nichtselbstmörder noch viel mehr
gelitten haben. Nicht die Größe des äußeren Verhäng¬
nisses, sondern die innere Stärke oder Schwäche sind ma߬
gebend für die Bejahung oder totale Verneinung des Lebens.
Die von Herrn Sußmannn geleitete Aufführung
des Schauspiels verlief glatt und die Charaktere traten
durch die geeignete Rollenbesetzung scharf hervor. In dem
Eigentümer von Rosmersholm und ehemaligen Oberpfarrer
Johannes Rosmer, den Herr Otto Kirsch gab, trat
uns in Maske, Spiel und Haltung die verkörperte Passi¬
vität entgegen. Selbst die kleinen Ansätze zur Energie
und der kühne Plan, aus der Masse eine Gesellschaft von
„Adelsmenschen“ zu bilden, vermögen über die wahre Art
dieses Helden nicht zu täuschen. Der lebensmüde Zug ist
vorherrschend. Die bloße Andeutung des geriebenen Peder
Martinsgard (welcher von Herrn Alfred Sturm recht
originell charakterisiert wurde), daß die öffentliche Meinung
an dem fleckenlosen Lebenswandel des angesehenen, reichen
und frommen Mannes irre werden könnte, genügt, um
Rosmers Tatkraft zu lähmen. Die Phantasie erzeugt Ge¬
spenster. Das weiße Unglücksroß, das in andern Ländern
als „weiße Frau“ vorkommt, jagt heran. Der Mühl¬
graben, in dem die Gattin Beate selbstmörderisch versank,
überflutet das Empfindungsleben der in Angst Nach¬
lebenden. Johannes ist weder Held, noch Märtyrer. Die
„Blässe des Gedankens“ ist noch ärger, als bei Hamlet.
Herr Kirsch hat diesen Charakter auch im Ausdrucke der
West trat die bekannte Tragödin des letzten Thecerjahres
Frl. Frieda Steiger zum erstenmale wieder auf und —
gestaltete jene interessante Figur lebenswahr und lebens¬
warm. Es dauert lange, ehe sie in ihrer wahren Gestalt,
mit ihren Vorzügen und Mängeln ganz erkennbar ist.
Ihre Vergangenheit wie ihre Zukunftspläne blieben selbst¬
ihrem Freunde Rosmer ein Rätsel, das sie selbst erst er¬
klären muß. Der Schiffbruch ist unvermeidbar, da diesem.
Zeitkinde, das, wie so manches Weib der Gegenwart, über.
sich selbst und den weiblichen Beruf hinaus reifen will,
die Stütze an dem geliebten Manne fehlt, der kein rechter
Mann ist. Der alte Moral=Schnüffler Kroll (eine gute
Leistung des Herrn Sodek) bringt sie durch seine Ver¬
mutung, daß sie unehelich geboren sei, schon ganz aus¬
dem Konzept. Frl. Steiper stand in den wechselnden
Situationen völlig auf der Höhe. Eine etwas willkürlich
eingestreute und überflüssige Person der Handlung ist
Ulrik Brendel, den Herr Sußmann so originell aus¬
stattete, daß man bedauern muß, daß so wenig, eigentlich
gar nichts dahinter steckte. Der große Zukunftsdichter hat
die Waffen vor dem Genie Peder Martinsgard, des
großen Zeitungslichtes, gestreckt, der als Rächer der Sünden
erscheint, die die Stützen der Gesellschaft an Letzterer be¬
gangen hat. Er rächt auch das ihm selbst widerfahrene
Unrecht, von dem Madame Helseth (Frau de Poluny)¬
zu erzählen weiß. Ja, diese Sünden: „Der Uebel größtes
ist die Schuld.“ — Das Haus spendete dem trefflichen
Spiel Beifall. Die fallenden Aeußerungen über das
waren wechsel= und widerspruchsreich.
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