Liebele
5. box 12/7
Dr. Max ungkr.
M Bochumer Stadttheater: „Liebelei" von Arthur
Scuißler (Erstaufführung.) Fünfundzwanzig Jahre ist das
Stück, itzlers Ruhm begründete, nun auch schon alt
„ denn ein wenig verstaubt, ein
und hält sich noch. Noch
Lißchen verblaßt muten diese Bilder aus dem „jungen Wien",
diese graziösen Geschichten von leichtsinnigen jungen Leuten und
sußen Mideln uns Heutige doch an. Zuviel Neues und Ge¬
waltiges ist auf uns eingestürmt; die felne Kultur des alten Wien
ist verfunken, und die Atmosphäre, der Duft, der in seiner so
ganz auf Stimnung eingestellten, rein impressionistischen Kunst
das Hauptmoment war, hat einen Stich ins Wehmütige, einen
IWeigeschmack von Lavendel, schmerzlichem Verzicht und Nur¬
S
Erinnerung bekommen. Soll sie stärkere Empfindungen in uns
8250
wecken, so muß das Milien, müssen die Zeit= und Lokalfarben ge¬
dämpft werden, das Veiwerk, das Einmalige und Zufällige un¬
betont bleiben und das Allgemeingültige. Typische in den Vorder¬
8
grund treten: hier in der „Liebelei“ das alltägliche tragische
2
Schicksal des nais und wahrhaft liebenden Madchens, das sich nicht
einzustellen vermag, das Liebelei mit Liebe verwechselt und
*
vorum zugrunde gehl. In diesem Sinne schien auch die Spiel¬
22
leitung Dr. Saladin Schmitts zu arbeiten; sie legte das
—
Hauptgewicht auf die Heraushebung der eigentlichen Trugödis
und wurde dalei unterstützt durch die über zeugungsstarke, reife
Kunst der Hauptdarstellerin Magda Reichardt. Ihr
*
2
Christine stammte aus dem Gefild, auf dem Goethes Guutchen
und Klärchen wuchsen; sie streifte die Geltung einer Einzelper¬
sönlichkeit ab und wurde zu einem halbumdämmerten, herb¬
*
süßen, schlicht=holden Urbild, einer deutschen Volksgestalt
schlechthin, echt und ergreifend in ihrer lantlosen Hingegebenseit
wie im verzehrenden Hangen und Bungen und dem erschütternden
25
Ausbruch des Schmerzes. Gewachsen in ihrer Kunst ist auch
Maria Krahn. Ihre Mizzi war das „Veryälinis“, ipie es —
na, sagen wir, im Buche steht, übersprudelnd munter, skrupello#
fesch und entzückend ordinär.
+ Musiknachrichten. Am 19 und 20. Juni wird in der
städtischen Tonhalle zu Duisburg unter Leitung von ##f
Walther. Josephson ein zweitägiges Bach=Beethoven¬ 2
Brahms=Fest stattsinden. In dem 1. Konzeri gelangt u a
die Nrunte Sinfome zur Aufführung. Das 2. Konzert (Sonntag
vormittags) bringt vom Rosé Quartett gespielte Quarteite von
Re#oven und Brahms und Lieder von Emmi Leisner.
Schnitzler in Krasnojarsk.
Theater bei Pekkoleumbeleuchtung.
Heimkehrer erzählen von dem Theater, das unsre
Offiziere in ihrem Kriegsgefangenenlager des sibirischen
Krasnojarsk erbaut, eingerichtet und selbst betrieben haben.
Das Gebäude war selbstverständlich aus Holz. Die Beleuchtung
geschah mit Petroleumlampen, die, mit Rundbrennern aus¬
gestattet, für den festlich erhellten Schauplatz sorgten. Plakate,
Zettel und Eintrittskarten. hatten die Offiziere in ihrer
eigenen Druckerei hergestellt. Das Publikum kam in ganzen
Wagenkolonnen aus der Stadt Krasnojarsk. Oft sah man
den Gouverneur und höhere rüssische Offiziere mit ihren
Damen. Das Ewig=Weibliche war aber nur im Zuschauer¬
raum vertreten. Auf die Bühne durfte kein Mädchen, keine
Frau. Und so mußten unsre Offiziere, die auch die
Darsteller waren, die weiblichen wie die männlichen
Rollen selbst spielen. Kostüme, Perücken usw. wurden
mms
Kr
12. Desember 192(Neues Wiener Tagblatt. Wien
soweit man sie nicht im Lager improvisierte, vom Theater
in Krasnofarsk entlehmt.
Im Repertoire war Schnitzler allen voran. Es traf
sich, daß seine Stücke in der Lagerbibliothek aufgestellt waren,
sie befanden sich nämlich unter den — vorschriftsmäßig ohne
meinzelne Internierte gelangten
Deckel und Umschlag —
Liebesgaben. Schnitzler deutsch und Schnitzler (so „Anatol“)
ungarisch fanden das besondere Gefallen des Publikums, das
in der Hauptmasse aus den Kriegsgefangenen selbst bestand.
Es gab auch sehr animierte Aufführungen von „Liebelei“.
„Grüner Kakadu“ „Literatur“ Die Akteure, die wie gesagt,
auch für die Schauspielerinnen aufzukommen hatten, waren
teils Berufsschauspieler, wie die Oesterreicher Neumann¬
Nördlingen und Danny Brüll, teils Dilettanten, die ihre Sache
ganz famos machten. So der Damendarsteller Wirkner, ein
Pharmazeut aus Wien, der die Heimat nicht wieder sehen
sollte; im Februar 1920 ist er das Opfer einer jener
Epidemien geworden, die zeitweise so furchtbare Verheerungen
in den Reihen unsrer Kriegsgefangenen anrichteten.
Die Verrechnung der Einnahmen und Ausgaben war eine
peinlich genaue. Der Reinertrag war der Unterstützung kranker
und armer Kameraden gewidmet. Und damit dieser Reinertrag
ein möglichst großer werde, scheuten die Offizierskameraden —
nach dem demokratischen Grundsatze, daß jeder für jeden
arbeiten muß —, nicht davor zurück, als Zettel=, Zuckerl= und
Limonadenverkäufer im Theater Dienst zu machen.
Sanlor Aanhas
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Dr. Max ungkr.
M Bochumer Stadttheater: „Liebelei" von Arthur
Scuißler (Erstaufführung.) Fünfundzwanzig Jahre ist das
Stück, itzlers Ruhm begründete, nun auch schon alt
„ denn ein wenig verstaubt, ein
und hält sich noch. Noch
Lißchen verblaßt muten diese Bilder aus dem „jungen Wien",
diese graziösen Geschichten von leichtsinnigen jungen Leuten und
sußen Mideln uns Heutige doch an. Zuviel Neues und Ge¬
waltiges ist auf uns eingestürmt; die felne Kultur des alten Wien
ist verfunken, und die Atmosphäre, der Duft, der in seiner so
ganz auf Stimnung eingestellten, rein impressionistischen Kunst
das Hauptmoment war, hat einen Stich ins Wehmütige, einen
IWeigeschmack von Lavendel, schmerzlichem Verzicht und Nur¬
S
Erinnerung bekommen. Soll sie stärkere Empfindungen in uns
8250
wecken, so muß das Milien, müssen die Zeit= und Lokalfarben ge¬
dämpft werden, das Veiwerk, das Einmalige und Zufällige un¬
betont bleiben und das Allgemeingültige. Typische in den Vorder¬
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grund treten: hier in der „Liebelei“ das alltägliche tragische
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Schicksal des nais und wahrhaft liebenden Madchens, das sich nicht
einzustellen vermag, das Liebelei mit Liebe verwechselt und
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vorum zugrunde gehl. In diesem Sinne schien auch die Spiel¬
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leitung Dr. Saladin Schmitts zu arbeiten; sie legte das
—
Hauptgewicht auf die Heraushebung der eigentlichen Trugödis
und wurde dalei unterstützt durch die über zeugungsstarke, reife
Kunst der Hauptdarstellerin Magda Reichardt. Ihr
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Christine stammte aus dem Gefild, auf dem Goethes Guutchen
und Klärchen wuchsen; sie streifte die Geltung einer Einzelper¬
sönlichkeit ab und wurde zu einem halbumdämmerten, herb¬
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süßen, schlicht=holden Urbild, einer deutschen Volksgestalt
schlechthin, echt und ergreifend in ihrer lantlosen Hingegebenseit
wie im verzehrenden Hangen und Bungen und dem erschütternden
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Ausbruch des Schmerzes. Gewachsen in ihrer Kunst ist auch
Maria Krahn. Ihre Mizzi war das „Veryälinis“, ipie es —
na, sagen wir, im Buche steht, übersprudelnd munter, skrupello#
fesch und entzückend ordinär.
+ Musiknachrichten. Am 19 und 20. Juni wird in der
städtischen Tonhalle zu Duisburg unter Leitung von ##f
Walther. Josephson ein zweitägiges Bach=Beethoven¬ 2
Brahms=Fest stattsinden. In dem 1. Konzeri gelangt u a
die Nrunte Sinfome zur Aufführung. Das 2. Konzert (Sonntag
vormittags) bringt vom Rosé Quartett gespielte Quarteite von
Re#oven und Brahms und Lieder von Emmi Leisner.
Schnitzler in Krasnojarsk.
Theater bei Pekkoleumbeleuchtung.
Heimkehrer erzählen von dem Theater, das unsre
Offiziere in ihrem Kriegsgefangenenlager des sibirischen
Krasnojarsk erbaut, eingerichtet und selbst betrieben haben.
Das Gebäude war selbstverständlich aus Holz. Die Beleuchtung
geschah mit Petroleumlampen, die, mit Rundbrennern aus¬
gestattet, für den festlich erhellten Schauplatz sorgten. Plakate,
Zettel und Eintrittskarten. hatten die Offiziere in ihrer
eigenen Druckerei hergestellt. Das Publikum kam in ganzen
Wagenkolonnen aus der Stadt Krasnojarsk. Oft sah man
den Gouverneur und höhere rüssische Offiziere mit ihren
Damen. Das Ewig=Weibliche war aber nur im Zuschauer¬
raum vertreten. Auf die Bühne durfte kein Mädchen, keine
Frau. Und so mußten unsre Offiziere, die auch die
Darsteller waren, die weiblichen wie die männlichen
Rollen selbst spielen. Kostüme, Perücken usw. wurden
mms
Kr
12. Desember 192(Neues Wiener Tagblatt. Wien
soweit man sie nicht im Lager improvisierte, vom Theater
in Krasnofarsk entlehmt.
Im Repertoire war Schnitzler allen voran. Es traf
sich, daß seine Stücke in der Lagerbibliothek aufgestellt waren,
sie befanden sich nämlich unter den — vorschriftsmäßig ohne
meinzelne Internierte gelangten
Deckel und Umschlag —
Liebesgaben. Schnitzler deutsch und Schnitzler (so „Anatol“)
ungarisch fanden das besondere Gefallen des Publikums, das
in der Hauptmasse aus den Kriegsgefangenen selbst bestand.
Es gab auch sehr animierte Aufführungen von „Liebelei“.
„Grüner Kakadu“ „Literatur“ Die Akteure, die wie gesagt,
auch für die Schauspielerinnen aufzukommen hatten, waren
teils Berufsschauspieler, wie die Oesterreicher Neumann¬
Nördlingen und Danny Brüll, teils Dilettanten, die ihre Sache
ganz famos machten. So der Damendarsteller Wirkner, ein
Pharmazeut aus Wien, der die Heimat nicht wieder sehen
sollte; im Februar 1920 ist er das Opfer einer jener
Epidemien geworden, die zeitweise so furchtbare Verheerungen
in den Reihen unsrer Kriegsgefangenen anrichteten.
Die Verrechnung der Einnahmen und Ausgaben war eine
peinlich genaue. Der Reinertrag war der Unterstützung kranker
und armer Kameraden gewidmet. Und damit dieser Reinertrag
ein möglichst großer werde, scheuten die Offizierskameraden —
nach dem demokratischen Grundsatze, daß jeder für jeden
arbeiten muß —, nicht davor zurück, als Zettel=, Zuckerl= und
Limonadenverkäufer im Theater Dienst zu machen.
Sanlor Aanhas