Liebele
5.1 box 12/7
Klose & Seid
Bureau für Zeitungsausschnitt
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 2
Zeitung: Tägliche Rundschau
Berlin
Ort:
Datum:d.
Hus dem Kunstleben.
Volksbühne: „Liebelei“.
„Man kehrt immer wieder zu seiner ersten Liebe zurück“
— und so brachte Maximilian Moris im Theater am
Bülowplatz, sommerlich leuchtend, Schnißler=Neumanns
„Liebelei“ wieder heraus. Vor einem Jayrzehnt hatte diese
Konversationsoper unter derselben Regie für das Unternehmen
Gregors (des Kühnen), genannt die Komische Oper, den
traurigen Beschluß gebildet. Auch heute war ihr ein starker
äußerer Erfolg beschieden nach dem alten Gesetz: Sage deut¬
lich, was du scheu verbergen sollst, und sage recht breit und
laut, was leise eigentlich vorbeihuschen muß. — Dem süßen
und dabei doch herben Mädel Christine auf ihrem Schicksals¬
pfade zu folgen, ist auch eine „süße Bitterkeit. Daß in dieser
„Liebelei“ ein glänzender Opernstoff steckt, ist sicher.
Schnitzler ist ein Zwischentönerich als Literat. Neumann,
der Komponist, verfilmt diese Schnitzler=Musik allzu deutlich,
doch ist eine geschmeidig fließende Notenfeder sein Eigentum.
Kleine Neckereien und Schleckereien beim graziösen Um¬
plaudern von verliebten Stimmungen serviert er recht nett,
erschröcklich aber wird er, wenn aus duftenden Blümelein
heraus die Schicksalsfaust sich grimmig reckt. „Kopf ab,
Kopf ab“, schreit tausendmal das Schicksalmotiv. Ja, Fritze
Lobheimer, das kommt davon! — Der Glanz der Jugend
liegt über all dem Geschehen gebreitet. Christine (Mar¬
garete Schlemüller) war aber weniger leicht als
sinnig, eine echte Hochdramatische am Schluß. Doch keine
Christine. Aehnlich stand es mit Theodor Kaiser, Fritzens
leichtlebigem Freund (Desidor Zador). Im untersetzten
Mannesalter wirkte der nette Bursch. Gesanglich waren
die Leistungen recht propper, desgleichen die des Fritz (Hans
Heinz Bollmann), der alle Kraft zum Schluß sich aufsparte,
und der feschen Mirzi (Friedel Schwarz). Im Spiel aber
waren auch diese zu wenig leggiero. Helmuth Berndsens
alter Vater, Ida Holms tratschselige Strumpfwirkersfrau
und Hermann Kant als steinerner Gast in der kurzen
Episode in Don Juan Lobheimers Zimmer waren einwand¬
frei. — Sonderlob verdient der Kapellmeister. Eugen Gott¬
lieb, der die Untermalung so geschickt vornahm, daß man
(o Wunder) sogar den Text meistens verstand. Allerdings
bei Stellen wie „Fräulein Christine, holen Sie mir ein
Streichholz, damit ich die Zigarre mir anzünden kann“, hörte
ich gern vorbei. Das tut man in der Konversation ja auch
und erst recht in der — Konversationsoper. Dr. M. S.
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Ort:
Datum: —
Theater, IIInsik und Kunst
Liebelei.
Volksbühne.
(VSchnitzler=Neumanus gestern in der Volksbühne
erstmätig aufgeführte „Liebelei“ rollt die Frage nach
der Zulässigkeit der Veroperung von bekannten
Wortdramen von Neuem auf. Grundsätzlich kann
man die Frage weder bejahen noch verneinen; es gibt
ebenso viele Beispiele dafür wie dawider. Entschei¬
dend kann nur immer der Eindruck sein, den man in
jedem besonderen Falle empfängt. Das will sagen:
wirkt die aus dem Wortdrama gewonnene Oper echt,
scheinen Text und Musik auseinander gewachsen zu
sein in der Weise, daß man eins vom andern nicht
trennen zu können meint, dann ist das Experiment
gelungen. Ist das nicht der Fall, so war es eben
ein Fehlgriff, den der Komponist begangen hat. Ganz
belanglos ist es, ob das Wortdrama „an sich“ bereits
„nach Musik schreit“, wie man so schön zu sagen
pflegt. In Beaumarchais' „Hochzeit des Figaro“ i
für den Normalmenschen kaum so etwas wie „latente“
Musik vorhanden, und Mozart hat doch eine Meister¬
oper allerersten Ranges daraus gemacht! So lange
kein Gegenbeweis erbracht ist, wird man also ruhig
behaupten dürfen, daß letzten Endes nur der geeig¬
nete Komponist dazu gehört, ein Wortdrama zu einer
guten Oper zu gestalten. Daß die Geeignetheit unter
Umständen gleichbedeutend mit Genie sein kann, ist
allerdings auch ohne weiteres zuzugeben.
Franz Neumann ist ein geschickter Tonsetzer, der
mit leichter Hand gestaltet, der Einfälle hat und die
Erfordernisse des Theaters gut kennt. Aber ein
Genie ist er nicht, jedenfalls ist es ihm nicht gelungen,
den Hörer seiner Oper „Liebelei“ das gleichnamige
Schnitzlersche Stück vergessen zu lassen, so daß nun
Mancher wohl das Gesühl hat, ohne Musik verlaufe
das Ganze ebenso gut, wenn nicht besser. Und da¬
mit ist der Neumannschen Oper im Grunde genom¬
men das Urteil gesprochen. Ich bin weit davon ent¬
fernt, sie an sich schlecht oder mißlungen zu nennen.
Schon die oben genannten Eigenschaften der Musik
würden dem widersprechen. Es kommt dazu, daß
sie immer gut fließt; daß es ihr an dem entsprechen¬
den Ausdruck nie fehlt, und daß sowohl Orchester
wie Singstimmen mit vollster Sachkenntnis behandelt
sind. Etwas schärfer profiliert wünschte man frei¬
lich das, was der Komponist zu sagen hat; es ist
viel Schönrednerei, die er bietet. Auch verwechselt
er Theatralik öfter mit dramatischer Wahrhaftigkeit,
und so kann es kommen, daß ein dick aufgetragener
Effekt plötzlich in feiner empfundene Stellen hinein¬
prasselt und deren Wirkung unangenehm aufbebt.
Ich erinnere an den Auftritt des betrogenen Ehe¬
gatten im ersten Aufzuge, der in der Klotigkeit der
musikalischen Zeichnung ungefähr der Schilderung
eines Erdbebens angemessen sein würde. Ueberhaupt
ist Neumann am wenigsten glücklich bei der Dar¬
stellung pathetischer Stellen. Er malt in solchen
Fällen fast immer zu dick und vergißt ganz, daß das
in Wien spielt. Hubsch gelungen sind
Stück —
meist die heiteren Szenen; auch das wienerisch Sen¬
timentale liegt dem Komponisten nicht übel. Viel¬
leicht wäre er mit einem anderen Stoffe so gut fertig
geworden, daß man's ihm wirklich ehrlich hätte glauben
können. Jetzt erlahmte das Interesse doch mehr und
mehr, und am meisten fiel der dritte Akt ab. Hier
hätte in der Tat ein Genie am Werke sein müssen,
um die volle Einheit zwischen Text und Musik zu¬
wege zu bringen.
Die Aufführung war recht fleißig vorbereitet,
szenisch wie musikalisch — Kapellmeister Gottlieb
hat sich um das Gelingen wirklich verdient gemacht.
Auf der Bühne bemühten sich Hans Heinz Boll¬
mann und Margarete Schlemüller, De¬
sider Zador und Friedel Schwarz nach
Kräften um die Hauptrollen, und wenn man hier
und da Einwände gegen Einzelheiten erheben könnte,
so soll damit die Anerkennung für die Gesamtleistun¬
gen nicht geschmälert werden. Nach außen hin war
es ein guter Erfolg. Für die restlichen Sommer¬
O. T.
monate dürfte er vorhalten.
5.1 box 12/7
Klose & Seid
Bureau für Zeitungsausschnitt
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 2
Zeitung: Tägliche Rundschau
Berlin
Ort:
Datum:d.
Hus dem Kunstleben.
Volksbühne: „Liebelei“.
„Man kehrt immer wieder zu seiner ersten Liebe zurück“
— und so brachte Maximilian Moris im Theater am
Bülowplatz, sommerlich leuchtend, Schnißler=Neumanns
„Liebelei“ wieder heraus. Vor einem Jayrzehnt hatte diese
Konversationsoper unter derselben Regie für das Unternehmen
Gregors (des Kühnen), genannt die Komische Oper, den
traurigen Beschluß gebildet. Auch heute war ihr ein starker
äußerer Erfolg beschieden nach dem alten Gesetz: Sage deut¬
lich, was du scheu verbergen sollst, und sage recht breit und
laut, was leise eigentlich vorbeihuschen muß. — Dem süßen
und dabei doch herben Mädel Christine auf ihrem Schicksals¬
pfade zu folgen, ist auch eine „süße Bitterkeit. Daß in dieser
„Liebelei“ ein glänzender Opernstoff steckt, ist sicher.
Schnitzler ist ein Zwischentönerich als Literat. Neumann,
der Komponist, verfilmt diese Schnitzler=Musik allzu deutlich,
doch ist eine geschmeidig fließende Notenfeder sein Eigentum.
Kleine Neckereien und Schleckereien beim graziösen Um¬
plaudern von verliebten Stimmungen serviert er recht nett,
erschröcklich aber wird er, wenn aus duftenden Blümelein
heraus die Schicksalsfaust sich grimmig reckt. „Kopf ab,
Kopf ab“, schreit tausendmal das Schicksalmotiv. Ja, Fritze
Lobheimer, das kommt davon! — Der Glanz der Jugend
liegt über all dem Geschehen gebreitet. Christine (Mar¬
garete Schlemüller) war aber weniger leicht als
sinnig, eine echte Hochdramatische am Schluß. Doch keine
Christine. Aehnlich stand es mit Theodor Kaiser, Fritzens
leichtlebigem Freund (Desidor Zador). Im untersetzten
Mannesalter wirkte der nette Bursch. Gesanglich waren
die Leistungen recht propper, desgleichen die des Fritz (Hans
Heinz Bollmann), der alle Kraft zum Schluß sich aufsparte,
und der feschen Mirzi (Friedel Schwarz). Im Spiel aber
waren auch diese zu wenig leggiero. Helmuth Berndsens
alter Vater, Ida Holms tratschselige Strumpfwirkersfrau
und Hermann Kant als steinerner Gast in der kurzen
Episode in Don Juan Lobheimers Zimmer waren einwand¬
frei. — Sonderlob verdient der Kapellmeister. Eugen Gott¬
lieb, der die Untermalung so geschickt vornahm, daß man
(o Wunder) sogar den Text meistens verstand. Allerdings
bei Stellen wie „Fräulein Christine, holen Sie mir ein
Streichholz, damit ich die Zigarre mir anzünden kann“, hörte
ich gern vorbei. Das tut man in der Konversation ja auch
und erst recht in der — Konversationsoper. Dr. M. S.
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Ort:
Datum: —
Theater, IIInsik und Kunst
Liebelei.
Volksbühne.
(VSchnitzler=Neumanus gestern in der Volksbühne
erstmätig aufgeführte „Liebelei“ rollt die Frage nach
der Zulässigkeit der Veroperung von bekannten
Wortdramen von Neuem auf. Grundsätzlich kann
man die Frage weder bejahen noch verneinen; es gibt
ebenso viele Beispiele dafür wie dawider. Entschei¬
dend kann nur immer der Eindruck sein, den man in
jedem besonderen Falle empfängt. Das will sagen:
wirkt die aus dem Wortdrama gewonnene Oper echt,
scheinen Text und Musik auseinander gewachsen zu
sein in der Weise, daß man eins vom andern nicht
trennen zu können meint, dann ist das Experiment
gelungen. Ist das nicht der Fall, so war es eben
ein Fehlgriff, den der Komponist begangen hat. Ganz
belanglos ist es, ob das Wortdrama „an sich“ bereits
„nach Musik schreit“, wie man so schön zu sagen
pflegt. In Beaumarchais' „Hochzeit des Figaro“ i
für den Normalmenschen kaum so etwas wie „latente“
Musik vorhanden, und Mozart hat doch eine Meister¬
oper allerersten Ranges daraus gemacht! So lange
kein Gegenbeweis erbracht ist, wird man also ruhig
behaupten dürfen, daß letzten Endes nur der geeig¬
nete Komponist dazu gehört, ein Wortdrama zu einer
guten Oper zu gestalten. Daß die Geeignetheit unter
Umständen gleichbedeutend mit Genie sein kann, ist
allerdings auch ohne weiteres zuzugeben.
Franz Neumann ist ein geschickter Tonsetzer, der
mit leichter Hand gestaltet, der Einfälle hat und die
Erfordernisse des Theaters gut kennt. Aber ein
Genie ist er nicht, jedenfalls ist es ihm nicht gelungen,
den Hörer seiner Oper „Liebelei“ das gleichnamige
Schnitzlersche Stück vergessen zu lassen, so daß nun
Mancher wohl das Gesühl hat, ohne Musik verlaufe
das Ganze ebenso gut, wenn nicht besser. Und da¬
mit ist der Neumannschen Oper im Grunde genom¬
men das Urteil gesprochen. Ich bin weit davon ent¬
fernt, sie an sich schlecht oder mißlungen zu nennen.
Schon die oben genannten Eigenschaften der Musik
würden dem widersprechen. Es kommt dazu, daß
sie immer gut fließt; daß es ihr an dem entsprechen¬
den Ausdruck nie fehlt, und daß sowohl Orchester
wie Singstimmen mit vollster Sachkenntnis behandelt
sind. Etwas schärfer profiliert wünschte man frei¬
lich das, was der Komponist zu sagen hat; es ist
viel Schönrednerei, die er bietet. Auch verwechselt
er Theatralik öfter mit dramatischer Wahrhaftigkeit,
und so kann es kommen, daß ein dick aufgetragener
Effekt plötzlich in feiner empfundene Stellen hinein¬
prasselt und deren Wirkung unangenehm aufbebt.
Ich erinnere an den Auftritt des betrogenen Ehe¬
gatten im ersten Aufzuge, der in der Klotigkeit der
musikalischen Zeichnung ungefähr der Schilderung
eines Erdbebens angemessen sein würde. Ueberhaupt
ist Neumann am wenigsten glücklich bei der Dar¬
stellung pathetischer Stellen. Er malt in solchen
Fällen fast immer zu dick und vergißt ganz, daß das
in Wien spielt. Hubsch gelungen sind
Stück —
meist die heiteren Szenen; auch das wienerisch Sen¬
timentale liegt dem Komponisten nicht übel. Viel¬
leicht wäre er mit einem anderen Stoffe so gut fertig
geworden, daß man's ihm wirklich ehrlich hätte glauben
können. Jetzt erlahmte das Interesse doch mehr und
mehr, und am meisten fiel der dritte Akt ab. Hier
hätte in der Tat ein Genie am Werke sein müssen,
um die volle Einheit zwischen Text und Musik zu¬
wege zu bringen.
Die Aufführung war recht fleißig vorbereitet,
szenisch wie musikalisch — Kapellmeister Gottlieb
hat sich um das Gelingen wirklich verdient gemacht.
Auf der Bühne bemühten sich Hans Heinz Boll¬
mann und Margarete Schlemüller, De¬
sider Zador und Friedel Schwarz nach
Kräften um die Hauptrollen, und wenn man hier
und da Einwände gegen Einzelheiten erheben könnte,
so soll damit die Anerkennung für die Gesamtleistun¬
gen nicht geschmälert werden. Nach außen hin war
es ein guter Erfolg. Für die restlichen Sommer¬
O. T.
monate dürfte er vorhalten.