Liebelei
n. box 12/8
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin RO. 43, Georgenkirchplatz 21
22
Zeitung Kölnische Volkszeitung
Köln
Ort:
Selun. — □· HOFR 1991—
Erstrefl.
Theater und Konzerte.
# GD Im Theater am Friesenplatz in Köln,
das sich als Theater für das werktätige Volk bezeichnet — ich
muß dabei immer an die Sowjet-Funksprüche „An alie!“ denken.
Sind wir nicht alle „werktätiges Volk“? — kommt jetzt dus
Arthur Schnitzbersche Schauspiel Liebelei zu Ehren,
der abgestandene Schmarren aus dem sentimental verluderten
Lebemänner-Wien der Vorkriegszeit. Hätte das Schauspielhaus
ihn wieder hervorgesucht, seine „Rückständigkeit“ wäre ihm
mit den Lürmstangen der dicksten Ausrufungszeichen angepran¬
gert worden. Am Friesenplatz aufgeführt, schaut man die Sache
mit verkehrt gehaltenem Opernglase an, und aus der rührseli¬
gen Altheidelbergerei wird eine „Tat“. Denn wir sind hier, wie
man’s ja in den bevorzugten Organen der Kölner Kunst- und
Kulturpacht lesen konnte, im echten „Kulturtheater“, dem „ein¬
zig zensurfreien“ notabene! Aber auch hier wurden, als Christi¬
nes „enttäuschtes Mädchenherz“ sich betrogen sah und erfuhr,
daß ihr Fritz noch eine andere Liebelei mit einer Frau hatte, für
die er sich im Duell totschießen ließ, so und so viele Tuschen¬
tücher naß — just wie im Schauspielhause, wenn Alt-Heidelbirg
oder —— Maria Stuart gegeben wird. Das in solchen Fällen so
„literarisch“— überlegen bespöttelte „Gemütsmenschentum“ wird
also auch dem Publikum am Friesenplatz noch ausgetrieben wer¬
den müssen. Keine leichte Aufgabe bei den vielen Buckfisch¬
herzen, die im Korallenkettlin fiebern wie ein Kind, in der Lie¬
belei mitliebeln, als gelte es ein erstes Romanerlebnis. Sie ver¬
spüren auch einen wunderlichen Lachkitzel, wenn die alte Bin¬
derin einmal das Kreuzzeichen macht und haben sich vohl gur
nicht den Gedanken kommen lassen, daß diese ganze Schnitz¬
lersche Gesellschaft von Wiener Lebemännern und ihren „lieben,
süßen Mädeln“ reif war für den Untergung. Nicht Christine
allein geht in den Tod ... Und darum könnte die Fortsetzung
von Liebelei recht wohl heißen: Metanoeite. Diesen Titel der
Denk- und Erkenntnisumstellung führt aber kein Schnitzlersches
Schauspiel, sondern das R. T. Sorgesche Mystermm. Mit ihm und
aus der Nacht zum Lichte zu führen, wird Aufgabe und Ziel der
christlichen Theatergemeinde Kölns sein, der
wir freudig entgegenhurren.
Die Aufführung verflachte manches, was, aus der Wiener
7
Luft gesehen, charakteristisch ist. Frl. Kiesau sah als „Mizi“
nicht frisch genug aus, fund auch nicht den rechten Ton.
Charlotte Landen gab als Christine öfter Sentimentalität und
Routine statt Gefühl und überließ sich am Schlusse der Kon¬
vention. Echter als Getalt war Hr. Gembs als Vater
Christines. Die Herren Hans Brockmann („Fritz“) und Heinz
Burkart („Theodor“), sowie Alice Wenglor („Frau Binder“)
spielten nicht gerade schlecht, aber sie interessierten nicht.
Und das Ganze hatte Joh. Tralow auf einen Ton gestimmt,
dem das Wienerisch-Leichte und Graziöse fehlte. Zuviel
Sentimentalität, zu wenig Wienerische Dialektfürbung. Denn
Frau Binder“, die einzige, die dieser zustrebte, spruch
Anton Stehle.
Münchnerisch.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 21
Zeitung:
Ort:
Datum: —
—
kein Schnitzler mehr.
hierdurch vielleicht stä
Deutsches Nationaltheater Weimar.
wehmütigen Mitleid¬
Liebelei.
aufgerüttelt wird. A
Umstellung das Geger
Ein Schauspiel in drei Akten von Artur Schnitzler.
des Augenblicks. Miz
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen wer¬
würdigen Leichtsinns
fen. Und die deutsche seelische Valuta hat gar keine
„Wer wird denn we
Ursache, auf die österreichische Kollegin herabzusehen —
wenn an der nächsten
aber der Gedanke taucht doch auf, ob nicht die allzu
Das norddautsche Res
bereitwillige Vermünzung „goldiger Ideen“, etwa des
doch wie ein Ei dem #
goldigen Weaner G'müats, des goldigen Weaner Her¬
ist die Ilm so tief wi
zens, des goldigen Weaner Madls ihr gut Teil zu dem
das Publikum gestern
Niederbruch des Donaustaates beigetragen hat. Die
Milien, wenn nicht
angenehme Schlamperei hieß das schon zu Metternichs
Der Spielleiter Eug
Zett, die liebenswürdige Oberflächlichkeit sagten wir
die leisen Versuche E#
von gestern, wenn wir so einem Stück wie dieser „Lie¬
zu geben, ganz ener
belei" begegneten. In einem Aufsatz über den „Reigen¬
nötig und fallen nur
in der „Frankfurter Zeitung“ spricht Artur
Prozeß“
vortrefflich abgerunde
Eloesser von dem „außerordentlichen Reiz des Buches,
deren szenischer Nahr
das als kleines Jnwel in die Schatzkammer der deut¬
Wohnzimmer zeigte.
schen Literatur gehört“ spricht von der hohen Kultur
und beweist damit, trug sehr geschickt der
eines filigranseinen Dialogs —
wie leicht selbst kluge Köpfe der Suggestionskraft fal=solche Szenen vor
muß, weil sonst die
scher Einstellung unterliegen. Weil sich der „Reigen¬
dagegen aufkommen.
Prozeß“ um ganz was anderes drehte, als um die Ge¬
Strich vertragen:
dankenstriche Artur Schnitzlers, nämlich um Geistes¬
derholt sich und stum
freiheit gegen republikanisch aufgeputztes Munkertum,
glatte Hilfe für die 2
kommt als Komplementäreindruck eine Verherrlichung
des freundlichen Wiener Literaten heraus, über die in[Radel, die wirklich
die notwendige nord
ruhiger Stunde Eloesser selbst lächeln wird. Denn
unser steigernd an Wedekind, Wilde, Shaw geschulter rührenden Ausdruck
Witz liest doch aus solchen dem Alltag nachstenogra= Herzens gegen das
phierten Sätzen nur die Phrascologie eines geschickten,fragen“, sich nie um 2
den man liebt — d
gmüsanten Plauderers heraus. Und hören wir die
Das Temperament in
zweisellos bestgemachte Arbeit dieses Hauptvertreters
nimmer zugetraut.
der ästhetischen Literatenkaffee=Epoche, eben den süßen
den Kritiker, Und
Mädlwalzer in Moll „Liebelei“, schütteln wir höchstens
r
der Charge
den Kopf über die Anspruchslosigkeit der anspruchs
vollen Kritjé von 1896, die sowas „geistreich“ nannte, barin. Die Gestalt
Die „geistreichen“ Autoren einer Modeströmung kleben Nußdorfer Straße 2
später gewöhnlich als Fußnoien am Literaturbild ihrer und steht. Es
Tage. — Was seinerzeit der Ruhm des Stückes war,Kraft oft so brach lie
einen Dienst, wenn
ist heute seine letzte Entschuldigung: es ist durchaus
Erland mit die beste
wienerisch. Die Fassung gatürlich, denn das Thema
die ich je gesehen haf
kommt immer wieder und überall vor und weil auf die
bei Leitungswechsel
Art etwas Typisches gelungen scheint, eben die Ges
schichte vom Mädl, dem der erste Mann Lebensinhalt auf der geraden Lin
so manche Beletzungs
bedeutet, während sie nur die dußendste Epifode ist —
kann man sich sa wohl einen Abend damit befreunden. spielte die „Mizi“.
etwas mehr Humor
Wenn die Darstellung das Wienerische restlos aus¬
leicht gibt ihr der
schöpft oder — darüber glatt wegkommt! Das ist die
Klippe: von Wienern gespielt oder ins Norddeutschen Wilhelm Holt!
übersetzt. Schwerer. als man denkt. Die österreichische Laune nicht allzusehr
dankt. er bewies den
Sentimentalität schlägt bei uns kühlen Skeptikern in
Verlogenheit um. Da rettet nur ein ordentlicher Ein=Inie zugunsten einer
if diese
schlag herber Kenschheit, inniger Ehrlichkeit; dabei vergißt.
wandelt sich das Mädl zum Mädchen und dann ists[Rudolf Rieth je
n. box 12/8
Klose & Seidel
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Berlin RO. 43, Georgenkirchplatz 21
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Zeitung Kölnische Volkszeitung
Köln
Ort:
Selun. — □· HOFR 1991—
Erstrefl.
Theater und Konzerte.
# GD Im Theater am Friesenplatz in Köln,
das sich als Theater für das werktätige Volk bezeichnet — ich
muß dabei immer an die Sowjet-Funksprüche „An alie!“ denken.
Sind wir nicht alle „werktätiges Volk“? — kommt jetzt dus
Arthur Schnitzbersche Schauspiel Liebelei zu Ehren,
der abgestandene Schmarren aus dem sentimental verluderten
Lebemänner-Wien der Vorkriegszeit. Hätte das Schauspielhaus
ihn wieder hervorgesucht, seine „Rückständigkeit“ wäre ihm
mit den Lürmstangen der dicksten Ausrufungszeichen angepran¬
gert worden. Am Friesenplatz aufgeführt, schaut man die Sache
mit verkehrt gehaltenem Opernglase an, und aus der rührseli¬
gen Altheidelbergerei wird eine „Tat“. Denn wir sind hier, wie
man’s ja in den bevorzugten Organen der Kölner Kunst- und
Kulturpacht lesen konnte, im echten „Kulturtheater“, dem „ein¬
zig zensurfreien“ notabene! Aber auch hier wurden, als Christi¬
nes „enttäuschtes Mädchenherz“ sich betrogen sah und erfuhr,
daß ihr Fritz noch eine andere Liebelei mit einer Frau hatte, für
die er sich im Duell totschießen ließ, so und so viele Tuschen¬
tücher naß — just wie im Schauspielhause, wenn Alt-Heidelbirg
oder —— Maria Stuart gegeben wird. Das in solchen Fällen so
„literarisch“— überlegen bespöttelte „Gemütsmenschentum“ wird
also auch dem Publikum am Friesenplatz noch ausgetrieben wer¬
den müssen. Keine leichte Aufgabe bei den vielen Buckfisch¬
herzen, die im Korallenkettlin fiebern wie ein Kind, in der Lie¬
belei mitliebeln, als gelte es ein erstes Romanerlebnis. Sie ver¬
spüren auch einen wunderlichen Lachkitzel, wenn die alte Bin¬
derin einmal das Kreuzzeichen macht und haben sich vohl gur
nicht den Gedanken kommen lassen, daß diese ganze Schnitz¬
lersche Gesellschaft von Wiener Lebemännern und ihren „lieben,
süßen Mädeln“ reif war für den Untergung. Nicht Christine
allein geht in den Tod ... Und darum könnte die Fortsetzung
von Liebelei recht wohl heißen: Metanoeite. Diesen Titel der
Denk- und Erkenntnisumstellung führt aber kein Schnitzlersches
Schauspiel, sondern das R. T. Sorgesche Mystermm. Mit ihm und
aus der Nacht zum Lichte zu führen, wird Aufgabe und Ziel der
christlichen Theatergemeinde Kölns sein, der
wir freudig entgegenhurren.
Die Aufführung verflachte manches, was, aus der Wiener
7
Luft gesehen, charakteristisch ist. Frl. Kiesau sah als „Mizi“
nicht frisch genug aus, fund auch nicht den rechten Ton.
Charlotte Landen gab als Christine öfter Sentimentalität und
Routine statt Gefühl und überließ sich am Schlusse der Kon¬
vention. Echter als Getalt war Hr. Gembs als Vater
Christines. Die Herren Hans Brockmann („Fritz“) und Heinz
Burkart („Theodor“), sowie Alice Wenglor („Frau Binder“)
spielten nicht gerade schlecht, aber sie interessierten nicht.
Und das Ganze hatte Joh. Tralow auf einen Ton gestimmt,
dem das Wienerisch-Leichte und Graziöse fehlte. Zuviel
Sentimentalität, zu wenig Wienerische Dialektfürbung. Denn
Frau Binder“, die einzige, die dieser zustrebte, spruch
Anton Stehle.
Münchnerisch.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 21
Zeitung:
Ort:
Datum: —
—
kein Schnitzler mehr.
hierdurch vielleicht stä
Deutsches Nationaltheater Weimar.
wehmütigen Mitleid¬
Liebelei.
aufgerüttelt wird. A
Umstellung das Geger
Ein Schauspiel in drei Akten von Artur Schnitzler.
des Augenblicks. Miz
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen wer¬
würdigen Leichtsinns
fen. Und die deutsche seelische Valuta hat gar keine
„Wer wird denn we
Ursache, auf die österreichische Kollegin herabzusehen —
wenn an der nächsten
aber der Gedanke taucht doch auf, ob nicht die allzu
Das norddautsche Res
bereitwillige Vermünzung „goldiger Ideen“, etwa des
doch wie ein Ei dem #
goldigen Weaner G'müats, des goldigen Weaner Her¬
ist die Ilm so tief wi
zens, des goldigen Weaner Madls ihr gut Teil zu dem
das Publikum gestern
Niederbruch des Donaustaates beigetragen hat. Die
Milien, wenn nicht
angenehme Schlamperei hieß das schon zu Metternichs
Der Spielleiter Eug
Zett, die liebenswürdige Oberflächlichkeit sagten wir
die leisen Versuche E#
von gestern, wenn wir so einem Stück wie dieser „Lie¬
zu geben, ganz ener
belei" begegneten. In einem Aufsatz über den „Reigen¬
nötig und fallen nur
in der „Frankfurter Zeitung“ spricht Artur
Prozeß“
vortrefflich abgerunde
Eloesser von dem „außerordentlichen Reiz des Buches,
deren szenischer Nahr
das als kleines Jnwel in die Schatzkammer der deut¬
Wohnzimmer zeigte.
schen Literatur gehört“ spricht von der hohen Kultur
und beweist damit, trug sehr geschickt der
eines filigranseinen Dialogs —
wie leicht selbst kluge Köpfe der Suggestionskraft fal=solche Szenen vor
muß, weil sonst die
scher Einstellung unterliegen. Weil sich der „Reigen¬
dagegen aufkommen.
Prozeß“ um ganz was anderes drehte, als um die Ge¬
Strich vertragen:
dankenstriche Artur Schnitzlers, nämlich um Geistes¬
derholt sich und stum
freiheit gegen republikanisch aufgeputztes Munkertum,
glatte Hilfe für die 2
kommt als Komplementäreindruck eine Verherrlichung
des freundlichen Wiener Literaten heraus, über die in[Radel, die wirklich
die notwendige nord
ruhiger Stunde Eloesser selbst lächeln wird. Denn
unser steigernd an Wedekind, Wilde, Shaw geschulter rührenden Ausdruck
Witz liest doch aus solchen dem Alltag nachstenogra= Herzens gegen das
phierten Sätzen nur die Phrascologie eines geschickten,fragen“, sich nie um 2
den man liebt — d
gmüsanten Plauderers heraus. Und hören wir die
Das Temperament in
zweisellos bestgemachte Arbeit dieses Hauptvertreters
nimmer zugetraut.
der ästhetischen Literatenkaffee=Epoche, eben den süßen
den Kritiker, Und
Mädlwalzer in Moll „Liebelei“, schütteln wir höchstens
r
der Charge
den Kopf über die Anspruchslosigkeit der anspruchs
vollen Kritjé von 1896, die sowas „geistreich“ nannte, barin. Die Gestalt
Die „geistreichen“ Autoren einer Modeströmung kleben Nußdorfer Straße 2
später gewöhnlich als Fußnoien am Literaturbild ihrer und steht. Es
Tage. — Was seinerzeit der Ruhm des Stückes war,Kraft oft so brach lie
einen Dienst, wenn
ist heute seine letzte Entschuldigung: es ist durchaus
Erland mit die beste
wienerisch. Die Fassung gatürlich, denn das Thema
die ich je gesehen haf
kommt immer wieder und überall vor und weil auf die
bei Leitungswechsel
Art etwas Typisches gelungen scheint, eben die Ges
schichte vom Mädl, dem der erste Mann Lebensinhalt auf der geraden Lin
so manche Beletzungs
bedeutet, während sie nur die dußendste Epifode ist —
kann man sich sa wohl einen Abend damit befreunden. spielte die „Mizi“.
etwas mehr Humor
Wenn die Darstellung das Wienerische restlos aus¬
leicht gibt ihr der
schöpft oder — darüber glatt wegkommt! Das ist die
Klippe: von Wienern gespielt oder ins Norddeutschen Wilhelm Holt!
übersetzt. Schwerer. als man denkt. Die österreichische Laune nicht allzusehr
dankt. er bewies den
Sentimentalität schlägt bei uns kühlen Skeptikern in
Verlogenheit um. Da rettet nur ein ordentlicher Ein=Inie zugunsten einer
if diese
schlag herber Kenschheit, inniger Ehrlichkeit; dabei vergißt.
wandelt sich das Mädl zum Mädchen und dann ists[Rudolf Rieth je