II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1402

Liebelei

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Berliner Zeitung am Mittag
Berlin SW. 66
Ausschnitt aus der Mmnfer vom(1
„Liebelel und „Lore
Schnitzler und Hartleben im Deutschei
Künstlertheater.
Mag auch die Welt der beruflosen Arthur¬
Schnitzler=Männer, deren Leben ausschließlick
aus Weibergeschichten besteht, längst weggeblafen
sein, es ist gerade in der schmerzlich=süßen Lie¬
belei ein Klangrest geblieben, der noch immer ein
wenig mitschwingen macht. Etwa wenn Fritz
lächelnden Abschied vom wahrhaft geliebten Mäd¬
chen nimmt und sich für eine andere duellieren
gehen muß. Liebe, die im ersten Knospen zer¬
treten wird. Und wenn dann Christine erkennt.
daß sie ihr unverbrauchtes Herz ganz hingegeben
hat und selbst nur Episode war.
Um dieser beiden Szeren willen sind die drei
Akte noch immer nicht vertrocknet: trotzdem
Christine, falls sie sich nach Schluß des letzten
Aktes doch nicht das Leben genommen haben
sollte, längst Mutter neuer Christinen ist, die
ihre eigene Liebelei bereits hinter sich haben.
Und Mizzi Schlager, Christinens lockere Freun¬
din, hat ihre Vorliebe für das K. K. Offizier¬
korps bestimmt auf ihre (vielleicht gar nicht
legitime) Tochter vererbt; in der mag sich nur
die mütterliche Schwäche für Dragoner in Nei¬
gung zu valutastarken Ausländern umgesetzt
haben. Es können aber auch einheimische Dol¬
lar=Schieber sein. Entwicklung.
Emil Lind; der Spielleiter der Liebelel,
inszeniert das Stück naturalistisch in der Brahm¬
Tradition und spielt selbst mit der erforderlichen
Schlichtheit den Vater Weiring. Die Aufführung
stützt er auf Käthe Dorsch, die als Christine
die Erbschaft der Sorma, Sandrock, Niese an¬
tritt. Sie bringt alle Vorbedingungen für das
herzige Wiener Vorstadtmädel mit. Sie ist in
den ersten Akten im Trieb zur abgetöntesten Ein¬
fachheit ein wenig matt; die erste Durchblutung
dieser Blässe erfolgt erst beim bedrückten Ab¬
schied. Aber dann, im letzten Akt, enthüllt sie das
brave heiße Herz der ganz in Liebe Verströmten
und löst das beklommen zurückgedrängte Gefühl
in ergreifendem Schrei. Er ist so stark, so wahr¬
haft Gemütsenadung, daß seine Wiederholung
und Steigerung gar nicht nötig ist, weil er dann
leicht aus Lebenston in Theater übergeht. Wun¬
dersam weich rorher das Erbeben in der Er¬
kenntnis des Ungeheuren, dac Augenschließen
und Ersterben unter dem Zusammenbruch einer
Illusion.
Diese Illusion ist Fritz, und Fritz ist Anton
Edthofer. Wienerich gelassen, ganz kultivier¬
ter Liebhaber, liebenswürdig und glatt, sein im
verwunderten Erkennen eines neuen, ihm bisher
unbekannt gewesenen Tiefgefühls. Das sorglose
Paar sind Pröckl und Adrienne Geßner,
wienerisch flott, ohne übertreibende Kontrast¬
absicht.
Hartlebens „Lore“, mit der dieser Abeno
verlängert wird, besteht die Nachprüfung weniger
gut als die Liebelei. Der Spaß ist in der Luft von
1890 erstarrt, ein gepreßtes Blatt aus dem Her¬
barium der jungdeutschen Literatur. Lores Ma¬
trosenbluse wirkt tatsächlich als Anachronismus
in den Tagen des Jumpers. Kärhe Dorsch als
Mädchen mit dem abgerissenen Knopf ist auch
hier sehr lieb und sehr lustig, aber die Lore darf
nicht mit Soubrettenschmi angepackt werden. Die
will schon einfacher, berlinisch uncharvierter ge¬
nommen sein. Sehr komisch Walter Steinbeck
mit Popo=Scheitel, enger Hose Kneiser und Röll¬
chen: einsach „Puppe“. aus der bald der Schmet¬
terling des wilhelminischen Assessorismus ent¬
flattern wird. Monument versunkener Epoche.
Noruert Falk.