Liebelei
box 12/8
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Berliner Morgenpost
P NeREmr
Adresse: Berlin
Datum:
K. 192
L
„Schnitler und Hartleben im
Künstler-Theater.
„Liebelei" und „Lore“.
Es war ein Abend der Käte Dorsch. Auf
sie hin angelegt und zusammengestellt, von ihr
tgetragen und zum Erfolg gehoben. Die neue
Bühnenproduktion ist ohnehin so spröde und spär¬
lich, daß die Direktoren unausgesetzt Umschau in
den Vorratssammern halten — wieviel mehr
muß das geschehen, um das erdgewachsene Wesen
dieser Frau, dies nachgeborene Talent des
Naturatksmus zur Geltung zu bringen!
Für das süße Mädel in Schnitzlers „Liebelei“
das seine ganze junge Inbrunst an einen
Studenten verschwendet, der sich um einer¬
anderen willen totschießen läßt, ist die Dorsch
wie geschaffen. Sie hat von Hause aus das süd¬
deutsch warme Blut und die keusche, von einem
Schleier banger Ahnungen umflorte Leidenschaft.
Sie ist ein Volkskind und braucht sich nicht erst
dazu zu machen. Sie brauchte aber auch nicht
so scheu zurückzuhalten, wie sie es in den ersten
beiden Akten tat. Ich glaubte fast, sie wolle ihre
ganze Kraft für den Gefühlsausbruch des
Schlusses aufsparen, der dann allerdings in
seinem verzweifelten Jammerschrei und in der
Versteinerung des fassungslosen Schmerzes über
alle Begriffe hinreißend und erschütternd gelang.
Wir haben heute keine auf der deutschen Bühne,
die ein einfaches Weib von Blut und Sinnen
und ihr Menschenschicksal mit so wundervoller
Ursprünglichkeit zu gestalten vermag. Ringsum
tüchtige Helfer, unter desen Zusammenspiel das
alte Stück mit seiner schwebenden wienerischen
Melancholie in beinahe unverblaßtem Glanz
aufleuchtete. Emil Lind gab den alten
Musikanten, des süßen Mädels Vater, mit der
gleichen diskreten Zartheit, mit der er als
Regisseur die Figuren ordnete. Edthofer in
lässiger, umschatteter Eleganz den Helden der
kleinen bürgerlichen Tragödie, die so tief rührt.
Pröckl seinen lustigen Freund, der in einem
mir noch nicht bekannten Fräulein Adrienne
Geßner eine fidele wienerische Gefährtin von
der leichtblütioeren Sorte zur Seite hatte.
Eins aber sei vermerkt: ein ganz klein wenig
machte sich, vielleicht unbewußt, eine Neigung
geltend, die Dorsch als so etwas wie Star oder
Primadonna vorzuschieben, sich um sie zu grup¬
pieren. Ich meine nicht, soweit sich das durch
die Szene ergibt, sonbern um einen Grad darüber
hinaus. Mir scheint, man sollte dergleichen im
Beginn ersticken. Auch in Otto Erich Hart¬
lebens Lore“ ward ein bißchen davon be¬
merkbar. Hier freilich ist der ganze drollige Ein¬
akter mit seinem Siudentenhumor aus den Zei¬
ten des versunkenen Regimes um die originelle
Gestalt der kessen berlinischen Range herum¬
gedichtet, auf deren Erfindung Hartleben so stolz
war, daß er sie aus verschiedenen Novellen durch¬
aus auch noch auf die Bühne bringen wollte.
Für diese norddeutschen Spezies ist Käte Dorsch
nicht gerade geboren, aber ihre dralle Frische
stellt auch hier einen ganzen Kerl auf die Füße.
Sie bringt den gealterten Schwank zu neuem
Blühen. Witzig in Erscheinung und Gehabe gab
Herr Steinbeck den überkorrekten Referendar
mit Zwicker, zugeknöpftem Rock und durchgezoge¬
nem Scheitel, der zu unserer Belustigung die
„Geschichte vom abgerissenen Knopf“ seines Lieb¬
Max Osborn.
chens nicht verwinden kann.
sces Sannbangmnsdng
esdasres ssuraches tetrenos-Aussenirr-ache
BERLIN SO 16. RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
Lietert Listen über geplante Bauten aller Art. Geschäftseröffnungen.
Festlichkeiten usw.
Deutsche Tages=Zeitung
Morgenausgabe — Berlin SW. 11
Ausschnitt aus der Nummer, vom:
OKT 102.
„Liebelei" und „Lore“. Was Käte Dorsch gestern
in Schnitzlers
ünstler=Theater
im —e
„Liebelei“ als Christine und in Hartlebens „Lore“ gezeigt
hat, war herzerquickend. Sie half den Stücken und den Dichtern,
die das sehr nötsg haben, auf die Beine. Die Christine der Dorsch
war wirklich ein ließesnettes Mädel, einfach und natürlich im
Rausch der Liehe wiedi Schmerz; ohne Uebertreibung versteht sie
Leiden und Feuden #s harmlosen unerfahrenen Kindes wieder¬
jugeben. Ihre Lore riß mit frischem ungekünstelten Humor das
Publikum zu fröhlichem Lachen und lautem Beifall hin. Tüchtige
Partner standen ihr zur Seite: Adrienne Geßner als Mizi
Anton Edthofer als
eine muntere Gefährtin
er.
Schnitzlers Fritz, ein natürlicher Liebhaber.
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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Berliner Morgenpost
P NeREmr
Adresse: Berlin
Datum:
K. 192
L
„Schnitler und Hartleben im
Künstler-Theater.
„Liebelei" und „Lore“.
Es war ein Abend der Käte Dorsch. Auf
sie hin angelegt und zusammengestellt, von ihr
tgetragen und zum Erfolg gehoben. Die neue
Bühnenproduktion ist ohnehin so spröde und spär¬
lich, daß die Direktoren unausgesetzt Umschau in
den Vorratssammern halten — wieviel mehr
muß das geschehen, um das erdgewachsene Wesen
dieser Frau, dies nachgeborene Talent des
Naturatksmus zur Geltung zu bringen!
Für das süße Mädel in Schnitzlers „Liebelei“
das seine ganze junge Inbrunst an einen
Studenten verschwendet, der sich um einer¬
anderen willen totschießen läßt, ist die Dorsch
wie geschaffen. Sie hat von Hause aus das süd¬
deutsch warme Blut und die keusche, von einem
Schleier banger Ahnungen umflorte Leidenschaft.
Sie ist ein Volkskind und braucht sich nicht erst
dazu zu machen. Sie brauchte aber auch nicht
so scheu zurückzuhalten, wie sie es in den ersten
beiden Akten tat. Ich glaubte fast, sie wolle ihre
ganze Kraft für den Gefühlsausbruch des
Schlusses aufsparen, der dann allerdings in
seinem verzweifelten Jammerschrei und in der
Versteinerung des fassungslosen Schmerzes über
alle Begriffe hinreißend und erschütternd gelang.
Wir haben heute keine auf der deutschen Bühne,
die ein einfaches Weib von Blut und Sinnen
und ihr Menschenschicksal mit so wundervoller
Ursprünglichkeit zu gestalten vermag. Ringsum
tüchtige Helfer, unter desen Zusammenspiel das
alte Stück mit seiner schwebenden wienerischen
Melancholie in beinahe unverblaßtem Glanz
aufleuchtete. Emil Lind gab den alten
Musikanten, des süßen Mädels Vater, mit der
gleichen diskreten Zartheit, mit der er als
Regisseur die Figuren ordnete. Edthofer in
lässiger, umschatteter Eleganz den Helden der
kleinen bürgerlichen Tragödie, die so tief rührt.
Pröckl seinen lustigen Freund, der in einem
mir noch nicht bekannten Fräulein Adrienne
Geßner eine fidele wienerische Gefährtin von
der leichtblütioeren Sorte zur Seite hatte.
Eins aber sei vermerkt: ein ganz klein wenig
machte sich, vielleicht unbewußt, eine Neigung
geltend, die Dorsch als so etwas wie Star oder
Primadonna vorzuschieben, sich um sie zu grup¬
pieren. Ich meine nicht, soweit sich das durch
die Szene ergibt, sonbern um einen Grad darüber
hinaus. Mir scheint, man sollte dergleichen im
Beginn ersticken. Auch in Otto Erich Hart¬
lebens Lore“ ward ein bißchen davon be¬
merkbar. Hier freilich ist der ganze drollige Ein¬
akter mit seinem Siudentenhumor aus den Zei¬
ten des versunkenen Regimes um die originelle
Gestalt der kessen berlinischen Range herum¬
gedichtet, auf deren Erfindung Hartleben so stolz
war, daß er sie aus verschiedenen Novellen durch¬
aus auch noch auf die Bühne bringen wollte.
Für diese norddeutschen Spezies ist Käte Dorsch
nicht gerade geboren, aber ihre dralle Frische
stellt auch hier einen ganzen Kerl auf die Füße.
Sie bringt den gealterten Schwank zu neuem
Blühen. Witzig in Erscheinung und Gehabe gab
Herr Steinbeck den überkorrekten Referendar
mit Zwicker, zugeknöpftem Rock und durchgezoge¬
nem Scheitel, der zu unserer Belustigung die
„Geschichte vom abgerissenen Knopf“ seines Lieb¬
Max Osborn.
chens nicht verwinden kann.
sces Sannbangmnsdng
esdasres ssuraches tetrenos-Aussenirr-ache
BERLIN SO 16. RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
Lietert Listen über geplante Bauten aller Art. Geschäftseröffnungen.
Festlichkeiten usw.
Deutsche Tages=Zeitung
Morgenausgabe — Berlin SW. 11
Ausschnitt aus der Nummer, vom:
OKT 102.
„Liebelei" und „Lore“. Was Käte Dorsch gestern
in Schnitzlers
ünstler=Theater
im —e
„Liebelei“ als Christine und in Hartlebens „Lore“ gezeigt
hat, war herzerquickend. Sie half den Stücken und den Dichtern,
die das sehr nötsg haben, auf die Beine. Die Christine der Dorsch
war wirklich ein ließesnettes Mädel, einfach und natürlich im
Rausch der Liehe wiedi Schmerz; ohne Uebertreibung versteht sie
Leiden und Feuden #s harmlosen unerfahrenen Kindes wieder¬
jugeben. Ihre Lore riß mit frischem ungekünstelten Humor das
Publikum zu fröhlichem Lachen und lautem Beifall hin. Tüchtige
Partner standen ihr zur Seite: Adrienne Geßner als Mizi
Anton Edthofer als
eine muntere Gefährtin
er.
Schnitzlers Fritz, ein natürlicher Liebhaber.