II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1414

Liebele
box 12/8
ADOLF SCHUSTERMANN“
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BURBAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR 22-24.
Zeitung: Berliner Volkszeitung
Morgen-Ausgabe
N 1#
4
Adresse: Berlin
Datum:
S 80K7.12
820
2
Lebendige Schauspieler und tote Stücke.
Schnitzler: „Liebelei“. — Harkleben: „Lore“.
Das Deutsche Künstlertheater hat Käte Dorsch. Also
sucht es Rollen und keine Stücke. Dabei hätte man das von der
„Liebelei“ Arthur Schnitzlers nicht gedacht: daß ihr nun auch
schon blez und verbels das bißchen Wort und Grazie wie ver¬
staubter Plunder i d###robuste Szenengerüst hängt. Hart und
schnell sichtet dieZeit Keute, strenger denn je, die Vorräte der
Kunstscheuern. Was noch heute zum eisernen Fundus gehörte und
von allen Sonnen beglänzt schien, entpuppt sich im Licht der über¬
hellen Stunde als eine farblose Puppenbudenkulisse. Anderes kommt
dafür ans Licht. Die Prosa des letzten Winters dürfte in ihrer
durchsichtigen, seelischen Sauberkeit erst jetzt ganz rein sichtbar
werden, und der Wind der durch den Harfenwald seiner dunklen
Melancholien geht, wird uns stark anrühren. Aber das Lächeln
versinkt und sein Weinen verweht im Abend der Zeit. Und die
„Liebelei“ des Weaner goldenen Herzens Christine, die Liebe ist und
an einem hilflos im Leben verstrickten, im Duell fallenden Bürger¬
söhnchen in Splitter zu Tode zerschellt, sie wirkt als Lebensaus¬
schnitt zu klein. Wir sehen darüber hinw#g oder daran vorbei, sehen
die Tragik und sehen sie doch nicht, weil wir wegen der Brutalität
des Kampfes gegen die ganze Welt abgelöst sind vom Schicksal des
einzelnen Individuums. Das ist häßlich und schön zugleich. Aber
es ist kein Programm, an dem zu deuteln ist, sondern ein historischer
Zustand schlechthin. Gehen wir vorwärts, das ist die einzige
Rettung: gehen wir, wenn auch oft blutenden Herzens, vorüber.
Es werden viel Gräber am Wege sein. Und eine besonders dicke
Kullerträne wird die Wange niederrinnen beim Passieren jenes
kleinen Hügels, auf dessen Kreuz der Name Otto Erich Hartleben
steht. Wir haben ihn immer geliebt, geschätzt. überschätzt ihn
bisweilen für Rotwein gehalten, und dabei war er nur eine Berliner
Weiße. Und auch als solche steht er schon ab. Nach der „Lore“
diesem untalentierten Ragout aus talentierten Novellen (lesen!),
hatte man gestern einen verteufelt schalen Geschmack im Munde.
Aber man hatte ja Rollen gesucht. Für Käte Dorsch. Man
sage nicht, hier habe sie sich nur wiederholt. So etwas Organisches,
Wurzeltiefes, Echtes wächst nicht so leicht in eine neue Steigerung
des Wesens hinein. Des muß man in Kauf nehmen. Eine lichte
Seele, wie sie in diesem fraulichen Körper mit den Kinderaugen wohnt,
muß erst einmal ein ganz bestimmtes Sein voll umsponnen haben,
um sich weiter zu ranken. Da keimt Junges in jedem Blick und jeder
schüchternen Bewegung. Und wenn die Dorsch mit wunden Blicken
in die Seele des Geliebten hinabzutauchen sucht, wenn sie mit dem
reinen Aufgetansein ihrer Seele in jedem Atemzug ihm sich hingibt
und ihre Liebe wie einen leuchtenden Mantel um ihn schlägt, dann
ist eine Frommheit erstanden, vor der der Widerlichste die Augen senkt.
Und sie werden ihm schämen wir uns nicht echter Gefühle, schier
naß, wem. das blöde, dumme „Leben“ dies Geschöpf Gottes stückweis
zersetzt, bis es mit Schreien, die schon irre ins Jenseitige gehen,
davontaumelt. — Nachher, in der „Lore“, ist sie ein süßes Flunker¬
mädel. Aber das können andere auch. Käte Dorschs Weg führt zu
Hauptmann und — noch ganz wo anders hin. Davon, wenn's so¬
weit ist. Geduld!
Neben ihr waren die blassen Schnitzlerschen Gestalten fast völlige
Schatten. Sympatisch, klug verhalten Emil Lind als Vater
Weiring, der Fritz Anton Edthösers nur wenig gestaltet, ein¬
(drucksvoll und mit deutlichen, wirksamen Konturen wie immer Ernst
Pröckl als Freund Theodor.
Manfred Georg.