II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1415

Liebelei
— box 12/3
„sele SenVereshane
(.
1
ZEITUNGS - AUSSCHNITTE
BERLIN SO1S, RUNGESTRASSE 22-24
GRÖSSTPS DEUTSCHES ZEITUNGS-AUSSCHNITT-HURO
Weser=Zeiung Dremen
Das führende Blatt Nordwestdeutschlands
mit täglich 3 Ausgaben
Morgen¬
Ausschnitt aus der Mintag= Ausgabe Nr. g####
Abend¬
NOV
vom
D
Die Kunst im Reiche.
(Mitteilungen unserer ständigen Sonderberichterstatter.)
Berlin. Regie und Schauspielkunst. Von den
Dichtern war in diesen Berliner Theaterwoche nicht viel
die Rede. Des Abend im Staatstheater gehörte dem Re¬
gisseur Fürges Fehling, der sich an der neuen Stätte seiner
Wirksamkeit Rit zwei Molière=Inszenierungen einzuführen
wünschte. Zuerst spielte er den „George Dandin“ diese
bitterböse Komödie des Bürgurs, der eine Adlige gehei¬
ratet hat und nun von der vornehmen Sippe verhöhnt und
betrogen wird. Die ganze Revolution des dritten Standes
ist schon in diesem Stück! (Was den erstaunlichen Karl
Sternheim nicht hinderte, unlängst der andächtigen Mit¬
welt zu enthüllen, Molière habe seine Komödien aus Zorn
über die die reine Adelskultur zerstörende Bourgeosie ge¬
schrieben!) Fehling jagte die drei Akte im rasenden Tempo
herunter und stellte in die Mitte der ganz karikaturistisch
behandelten Adelstypen Karl Ettlinger als Dandin in¬
Maske und Haltung eines tragischen Bajazzo. Ettlinger
ist ein gescheiter, witziger und herzhafter Schauspieler, aber
von einer harmloseren Wiener Lustigkeit und Weichheit.
Er hatte weder Schwere noch Schärfe genug für diesenl
Stil, und so blieb die entscheidende Wirkung aus. — Darauf
folgte „Der Arzt wider Willen“, den Fehling ganz als
Comedia del arte inszeniert hatte. Vor einem grauen Vorhang
bewegten sich Figuren mit Masken und langen Nasen in
taktfestem Marionettenstil. Das Ganze war planmäßig und
witzig durchgeführt, aber bei der geringen geistigen Er¬
giebigkeit dieser Satire auf den Aerztestand auf die Dauer
etwas langweilig. Und man fand schließlich, daß das
Staatstheater nach zwei Monaten Spielzeit doch Wichtigeres
zu tun hätte, als einen noch so begabten Regisseur mit
seinem Talent herumexperimentieren zu lassen. Die Regie
nämlich ist doch niemals eine selbständig produktive Kunst,
und der Wert auch ihrer stärksten Leistung hängt mit
seltenen Ausnahmen ganz von der Qualität des dichterischen
Textes ab. Anders steht es mit der Schauspielkunst, die
auch an gleichgültiger Partitur wahre Wundertaten voll¬
bringen kann. Schnitzlers „Liebelei“ hat freilich bei all
chwächen immer noch einen
ihren heute so
Stimmungston, dem man sich nicht leicht entzieht. Aber
das Erlebnis ei der Wieeraufnahme des Stückes im
Lessingtheater war doch ganz allein die Schauspielkunst
1
der Käthe Dorsch, die dies Wienerische Gretchen mit einer
Schlichtheit der Hingabe, mit einer Angst des Herzens,
mit einer Kraft des Schreis und einem Erlöschen der Le¬
benskraft spielte, so hinreißend echt in jedem körperlichen
Detail, wie nur die tiefste seelische Erfassung es hervor¬
bringen kann. Eine Schauspielerin, wie unsere und wohl
jede Generation nur ganz ganz wenige besitzt!
In den Kammerspielen gab man wieder einmal einen
französischen Schwank, „Timotheus in flagranti“
ein vollkommen mechanischer Klischee=Abzug der Pariser Ehe¬
bruchsposse, hergestellt von der Firma Henequin und Veber.
Timotheus ist natürlich der unschuldige Biedermann aus
der Bretagne, der die Ohrfeigen für seinen lebemännischen
Pariser Freund einzustecken hat. Er wurde von dem aus¬
gezeichneten feinen und liebenswürdigen Komiker Max Gül¬
storf so weit dem Menschlichen angenähert, daß man wenig,
stens momentweise den Aerger über diese überflüssigen
Handwerkerei vergessen konnte.
Julius Bab
898