Liebelei
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AN
Hamsurger Eane
Hamburg
1 8 KATEE
„Kammerspiele. „Liebelei“, Schauspiel von Arthur
Schhte
war ein Glück, „daß man nicht die 150. (oder 3002) Auf¬
führung des „Reigens benutzte, um den 60. Geburtstag des öster¬
reichischen Dichters zu ehren. Der „Reigen“ ist und bleibt ein
wenn auch imunstaomeinter, so doch literarisch klanalaser Witz
der für die Klassisikation Schnitzlers keinen Augenblick in Frage
kommt. Thomas Mann bemerkt sehr richtig, daß Schnitzler für
eine gewisse Literalur in Oesterreich genau so reprätentativ sei wie
Gerhart Hauptmann in Deutschland. Und wenn man für letzteren
als die in Betracht kommenden Werke etwa „Die Weber“ oder
M
den „Florian Geyer“ anführen würde, so dürfte für Schnitzler
die „Liebelei“ diejenige Bülnendichtung sein, die sein dichte¬
risches Oesterreicherium in seiner typischen Bedeutung am schla¬
gendsten kundtut. Hier ist die weiche, melancholische Stimmung
mit dem leichten Schuß Stepfis, die für die Kunst wie für die
Menichen da unten, sofern sie nicht der „feschen“ Lebenslust hin¬
gegeben sind, charalteristirch ist, und eine ungemein sicher und glück¬
lich wägende Gestaltungskraft schafft die berechtigte Langlebigkeit.
Hier ist erlebtes Schicksal in jeder der Figuren, ob sie nun der
leichteren oder der schwereren Lebensmaxime überantwortet sind.
Echt, tolecht in Herkunft. Dasein und Zukunft. Nicht gewaltig,
bis ins Tiefste aufrüttelnd. Selbst der Tod hat hier Kavaliers¬
formen. Unaufdring ich leben die Menschen, treffen sich, sind
glücklich, reiben sich, brechen von einander ab, leise, wie man
Blütenzweige auseinandertrennt. Totweh, und doch keine Tragödie.
Ein „Schauspiel“ nennt's der Dichter.
Unaufdringlich, mit gedämpften Tönen und Farben vollzog
sich das Spiel, das unter der sicheren Leilung von Paul Marx
stand. Im Mittelpunkt das süße Mädel, Christine, von Erika
Meingast in überzeugendster Treue dargestellt, lieb, hingegeben,
aufgerüttelt, totbereit. Ihr Pariner Rudolf Fernau, als Fritz
überraschend gedämpft und daher gleichfalls restlos überzeugend.
Man sieht, der begabie Künstler braucht nur aus einer gewissen
Manier zu sich zurückzufinden, um durchaus Bedeutendes zu leisten!
und Hoffnungen zu stärlen. Schade, daß er geht. Das Gegen¬
paar, das des Lebens Tiesen und Probleme meidet, fand in
Senta Bré und Franz Sondinger alaubhafte Ver¬
tretung. Centa Bré gibt im Tonfall und in ihrer Sprech¬
fertigkeit noch immer stärtste Illusion. Franz Sondinger
war vielleicht ein wenig gedämpft. Die prachtvolle Figur des
Vaters und Musikers, der sich Vorwürse macht, daß er die Schwester
zu sehr behütet habe und nun erleben muß, daß er auf sein eigenes
Kind zu wenig acht gegebn hat, wurde vom Spielleiter Paul
Marx schlicht und rührend verkörvert. Else Kündinger
gab der scharfhörigen Katharina Binder charakterinisches Leben.
Erich Ziegel machte die winzige Evisode mit dem „Herrn“ zu
einem bedeutenden Erlebnis, indem er eine ungemeine Gespanntheit
und Geladenheit in wenige Worte und Bewegungen preßte. Alles
in allem eine ehr erfreuliche Targellung der glücklichsten Bühnen¬
schöpfung=Schnitzlers, die einen außerordentlichen Beifall des gut
besuchten Hauses zum Entladen brachte.
—
Hamburger Correspondent.
I6 MATES
Theater = Mufik e Kunst = Leben.)
Hamburger Kammerspiele.
Zur Feier von Arthur Schnitzlers sechzigstem Ge¬
burtstag hatten die Kammerspiele seine „Liebelei“ in den
Spielplan ausgenommen, jenes Stück, das gewissermaßen einen
Extrakt des ganzen Schnitzleischen Werks und der Wiener Men¬
talität vor dem Weltkrieg gibt. Schnitzlers Philosophie ist hier
dem alten Geiger in den Mund gelegt, der Theodor und die
Schlager=Mizi leben nach ihr mit handfester Unbekümmertheit,
die zarteren Seelen der Tini und des Fritz gehen an ihr zu Grunde
und das ernste Leben, das in der Gestalt des „Herrn“ für eine
Szene in all dies Pbäakentum hineingreift, würde darüber auch
ohne den Pistolenschuß triumphieren.
Diesen Herrn gab Erich Ziegel selbst und bewies in der
knappen Episode wieder die Stärke seiner menschenbildenden
Kunst. Wie er die Gestalt bis zum Rand mit rasender Leiden¬
schaft anfüllte diese Leidenschaft mit höchster Anspannung ver¬
hielt, dann für einen einzigen Augenblick hoch aufschlagen ließ
und sofort wieder abstoppte, das war ein bewundernswertes
Meisterstück. Breit hat der Dichter selbst den alten Weiring aus¬
gemalt: Herr Marx, der auch die Spielleitung mit Takt be¬
sorgte, formte das Schnitzlersche Bild liebevoll nach. Geschmack¬
voll und ohne Uebertreibung gab Fräulein Kündinger die
Strumpfwirkersgattin. Von den beiden liebenden Pärchen fand
das lustige — Theodor und Mizi — durch Herrn Sondinger
und Fräulein Bré die eindrucksvollere Wiedergabe, weil in diesen
beiden Darstellern wirklich der sorglose Geist der Vorkriegszeit
lebendig wurde. Das melancholische Paar — Fritz und Christine
aber trat in der gestrigen Darstellung merkwürdig zurück.
Herrn Fernaus Fritz war gar zu blaß und schwächlich, ein
Schwindsüchtiger im letzten Stadium, der auch ohne Duell um¬
gehend das Zeitliche segnen würde. Und Fräulein Meingast
spielte die Christine aufs Sexualpathologische hinaus und flüsterte
so sehr daß sie den Zuhörern zumeist unverständlich blieb. Sie
sollte sich von Fräulein Bré, der einstigen vollendeten Christine,
sagen lassen, welche Wirkungen in dieser Rolle gegeben sind,
wenn man sie ganz natürlich auffaßt.
Im Jammer des dritten Akts erschien eine prachtvolle Katze
auf der Bühne, schüttelte mißbilligend das Haupt zu Christines
Stöhnen, schritt die Rampe entlang und verschwand. Symbol
des Lebens, das an der ephemeren Kunst Schnitzlers vorüber¬
C. M.=R.
schreitet, kraftvoll und zukunftssicher.
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Hamsurger Eane
Hamburg
1 8 KATEE
„Kammerspiele. „Liebelei“, Schauspiel von Arthur
Schhte
war ein Glück, „daß man nicht die 150. (oder 3002) Auf¬
führung des „Reigens benutzte, um den 60. Geburtstag des öster¬
reichischen Dichters zu ehren. Der „Reigen“ ist und bleibt ein
wenn auch imunstaomeinter, so doch literarisch klanalaser Witz
der für die Klassisikation Schnitzlers keinen Augenblick in Frage
kommt. Thomas Mann bemerkt sehr richtig, daß Schnitzler für
eine gewisse Literalur in Oesterreich genau so reprätentativ sei wie
Gerhart Hauptmann in Deutschland. Und wenn man für letzteren
als die in Betracht kommenden Werke etwa „Die Weber“ oder
M
den „Florian Geyer“ anführen würde, so dürfte für Schnitzler
die „Liebelei“ diejenige Bülnendichtung sein, die sein dichte¬
risches Oesterreicherium in seiner typischen Bedeutung am schla¬
gendsten kundtut. Hier ist die weiche, melancholische Stimmung
mit dem leichten Schuß Stepfis, die für die Kunst wie für die
Menichen da unten, sofern sie nicht der „feschen“ Lebenslust hin¬
gegeben sind, charalteristirch ist, und eine ungemein sicher und glück¬
lich wägende Gestaltungskraft schafft die berechtigte Langlebigkeit.
Hier ist erlebtes Schicksal in jeder der Figuren, ob sie nun der
leichteren oder der schwereren Lebensmaxime überantwortet sind.
Echt, tolecht in Herkunft. Dasein und Zukunft. Nicht gewaltig,
bis ins Tiefste aufrüttelnd. Selbst der Tod hat hier Kavaliers¬
formen. Unaufdring ich leben die Menschen, treffen sich, sind
glücklich, reiben sich, brechen von einander ab, leise, wie man
Blütenzweige auseinandertrennt. Totweh, und doch keine Tragödie.
Ein „Schauspiel“ nennt's der Dichter.
Unaufdringlich, mit gedämpften Tönen und Farben vollzog
sich das Spiel, das unter der sicheren Leilung von Paul Marx
stand. Im Mittelpunkt das süße Mädel, Christine, von Erika
Meingast in überzeugendster Treue dargestellt, lieb, hingegeben,
aufgerüttelt, totbereit. Ihr Pariner Rudolf Fernau, als Fritz
überraschend gedämpft und daher gleichfalls restlos überzeugend.
Man sieht, der begabie Künstler braucht nur aus einer gewissen
Manier zu sich zurückzufinden, um durchaus Bedeutendes zu leisten!
und Hoffnungen zu stärlen. Schade, daß er geht. Das Gegen¬
paar, das des Lebens Tiesen und Probleme meidet, fand in
Senta Bré und Franz Sondinger alaubhafte Ver¬
tretung. Centa Bré gibt im Tonfall und in ihrer Sprech¬
fertigkeit noch immer stärtste Illusion. Franz Sondinger
war vielleicht ein wenig gedämpft. Die prachtvolle Figur des
Vaters und Musikers, der sich Vorwürse macht, daß er die Schwester
zu sehr behütet habe und nun erleben muß, daß er auf sein eigenes
Kind zu wenig acht gegebn hat, wurde vom Spielleiter Paul
Marx schlicht und rührend verkörvert. Else Kündinger
gab der scharfhörigen Katharina Binder charakterinisches Leben.
Erich Ziegel machte die winzige Evisode mit dem „Herrn“ zu
einem bedeutenden Erlebnis, indem er eine ungemeine Gespanntheit
und Geladenheit in wenige Worte und Bewegungen preßte. Alles
in allem eine ehr erfreuliche Targellung der glücklichsten Bühnen¬
schöpfung=Schnitzlers, die einen außerordentlichen Beifall des gut
besuchten Hauses zum Entladen brachte.
—
Hamburger Correspondent.
I6 MATES
Theater = Mufik e Kunst = Leben.)
Hamburger Kammerspiele.
Zur Feier von Arthur Schnitzlers sechzigstem Ge¬
burtstag hatten die Kammerspiele seine „Liebelei“ in den
Spielplan ausgenommen, jenes Stück, das gewissermaßen einen
Extrakt des ganzen Schnitzleischen Werks und der Wiener Men¬
talität vor dem Weltkrieg gibt. Schnitzlers Philosophie ist hier
dem alten Geiger in den Mund gelegt, der Theodor und die
Schlager=Mizi leben nach ihr mit handfester Unbekümmertheit,
die zarteren Seelen der Tini und des Fritz gehen an ihr zu Grunde
und das ernste Leben, das in der Gestalt des „Herrn“ für eine
Szene in all dies Pbäakentum hineingreift, würde darüber auch
ohne den Pistolenschuß triumphieren.
Diesen Herrn gab Erich Ziegel selbst und bewies in der
knappen Episode wieder die Stärke seiner menschenbildenden
Kunst. Wie er die Gestalt bis zum Rand mit rasender Leiden¬
schaft anfüllte diese Leidenschaft mit höchster Anspannung ver¬
hielt, dann für einen einzigen Augenblick hoch aufschlagen ließ
und sofort wieder abstoppte, das war ein bewundernswertes
Meisterstück. Breit hat der Dichter selbst den alten Weiring aus¬
gemalt: Herr Marx, der auch die Spielleitung mit Takt be¬
sorgte, formte das Schnitzlersche Bild liebevoll nach. Geschmack¬
voll und ohne Uebertreibung gab Fräulein Kündinger die
Strumpfwirkersgattin. Von den beiden liebenden Pärchen fand
das lustige — Theodor und Mizi — durch Herrn Sondinger
und Fräulein Bré die eindrucksvollere Wiedergabe, weil in diesen
beiden Darstellern wirklich der sorglose Geist der Vorkriegszeit
lebendig wurde. Das melancholische Paar — Fritz und Christine
aber trat in der gestrigen Darstellung merkwürdig zurück.
Herrn Fernaus Fritz war gar zu blaß und schwächlich, ein
Schwindsüchtiger im letzten Stadium, der auch ohne Duell um¬
gehend das Zeitliche segnen würde. Und Fräulein Meingast
spielte die Christine aufs Sexualpathologische hinaus und flüsterte
so sehr daß sie den Zuhörern zumeist unverständlich blieb. Sie
sollte sich von Fräulein Bré, der einstigen vollendeten Christine,
sagen lassen, welche Wirkungen in dieser Rolle gegeben sind,
wenn man sie ganz natürlich auffaßt.
Im Jammer des dritten Akts erschien eine prachtvolle Katze
auf der Bühne, schüttelte mißbilligend das Haupt zu Christines
Stöhnen, schritt die Rampe entlang und verschwand. Symbol
des Lebens, das an der ephemeren Kunst Schnitzlers vorüber¬
C. M.=R.
schreitet, kraftvoll und zukunftssicher.