II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1427

Liebelei
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SIE

GRÖSSTES OEUTSCHES ZEIIUNGS AUSSCMIDTT-BURO
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Hamburger Fremdenblatt
VISET

Ausschnitt aus der Nummer vom:
1SMAlm

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Schauspielkunst nicht unklug um eine ihrermeist be¬
rechtigten Hoffnungen! Noch ist die Erika Mein¬
Theater, Kunft und Wissenschaft.
gast nicht „die“ große Künstlerin. Sie wird es,
wenn nicht alles täuscht, und vor allem, wenn
sie nicht verdorben wird, dereinst sein, vielleicht
schon bald. Noch aber ist sie es nicht ganz.
Hamburger Kammerspiele.
Noch ist sie im Werden, Wachsen und Sich¬
Arthur Schnitzler: „Liebelei“.
Entwickeln. Noch ist die Zeit der letzten Reife
Ein kurzer glachender Lenztag mit früher
nicht gekommen.
Dämmerung dund rasch hereinbrechender Nacht
Seid vorsichtig! Das Wichtigste und Wert¬
das ist Schnitzsers „Liebelei“. Ein Wiener Werk,
schon vorhanden: das intuitive
vollste
an dem ein Kondersamer, unendlich seiner Duft,
Schauen und Erfassen, die Gestaltungskraft aus
aus unzähligen zarten Ingredienzien gemischt,
dem Innern und Innersien heraus. Aber im
entströmt, nein, enthaucht. Eine Dichtung mit
Technischen weist sie noch Mängel und Lücken
einer Stimmung, die wie ein Stück changieren¬
auf: ihr Organ bedarf größerer Modulation,
der Seide ist: jeden Augenblick anders, mit
ihre Sprechtechnik letzter Durchseilung, ihr Tem¬
stetig wechselnden Lichtern und Farbresiexen
perament noch strengerer Zügelung. Denn weil
und unmerklichen Uebergängen von einem zum
sie so ganz aus dem Innern, so ganz aus sich
anderen: Herüber= und Hinüberwechseln vom
selbst heraus spielt, nein, lebt und das Erlebte
Leichten zum Schweren, vom Lachen zum Wei¬
gestaltet, geht ihr Temperament ab und zu mit
nen, vom Lächelnd= Ironischen zum Düster¬
ihr durch und verdeckt das Temperament der
Melancholischen, von lustiger Ausgelassenheit.
darzustellenden Figur.
zum Tiestraurigsein. Leichtsinn und Schwermut
Wenn Mizi daß „süße Mädel“ ist,
neben= und durcheinander: ein bißchen Lebens¬
die kleine Christine das bittersüße Mädel. Erika
hunger und ein bißchen Lebensmüdigkeit in
Meingast gab sie hingebend und herb zugleich.
einem.
Wie sehr diese Stimmung nicht bloße Zu¬ Aber manchmal — namentlich dem Vater gegen¬
über — war ihr Ton zu hart, zu abrupt, mit
tat, sondern wesentlicher Bestandteil dieser Dich¬
einem Stich ins Bissig=Böse und Leicht=Brutale.
tung ist, merkte man in der Aufführung, wo
Davon abgesehen jedoch, war sie... Halt, einen
sie gelegentlich fehlte. Wie dürstig, nüchtern¬
Augenblick ... soll ich an Erika Meingast den
trocken und ein wenig hanal ist ohne sie das
Maßstab legen, den man an eine gute Du
Hin und Her der Zwiesprache! Wie leer und
schauspielerin legt, und sie, daran gemessen
schleppend wirkten im ersten Akt die Vorgänge,
Superlativen des Lohes, wie man es tun
wenn sie nicht in diese Stimmungsatmosphäre
müßte, überschütten? Nein. Erika Meingast
eingebettet waren! Centa Bré, die eine
darf heute schon beanspruchen, mit den größten
aber schon sehr mollige — Mizi
mollige
und kritischsten Maßstäben gemessen zu werden.
auf zwei nicht übersehbare Beine stellte, be¬
So laßt uns sagen: Es gab Stellen, wo sie
mühte sich mit aller Macht um diese Stimmung,
ein bißchen glanzlos war, wo ihr Können bis¬
tat aber des Guten manchmal ein wenig zu
weilen leer lief, i## sie alle Kraft zu sammeln
viel und lenkte die Aufmerksamkeit durch ein
schien für letzte Gefühlsintensitäten. Aber dann
— an sich sehr vergnügliches — stummes Reben¬
spiel von dem wichtigeren Partnerpaar ab. gab es wieder Stellen, viele und lange Stellen,
wo sie ergreifend und erschütternd wirkte, daß
Franz Sondinger dagegen wollte das
es nur einen Ausdruck für ihr Können gab:
Schwingende des unbezwinglich Liebenswürdi¬
gen, Amüsanten und zugleich Weichherzig=Gut¬ Klasse!
Noch eines: Sorgt dafür, daß keine Ber¬
mütigen, das der echt Schnitzlerschen Figur des
P###
Theo eignet, nicht so recht gelingen. Sein Hu¬
liner, Münchener, Frankfun#er oder auch Darm¬
mor ist um einen Grad zu trocken. Besser in die 1 städter Regisseurspürnase die Meingast eines
Wiener Welt hatte sich Rudolf Fernau, ITages entdeckt, die Klasse in ihr wittert, denn
der zwar wieder von Anfang an seine ent¬
sonst ist sie für uns verloren. Am Schluß lohnte
im gutbesuchten Haus starker Beifall die starke
setzten und stets etwas verzweifelten Augen
machte und gelegentlich arg ins Publikum
Leistung.
spielte, eingelebt. Erich Ziegel als
Max Alexander Meumann.
hörnter Ehemann: ehern, kalt lodernd, ein Gott
der Rache im moderen Paletot. Paul Ma
war als Vater Weiring von eindrieglicher
Güte. Als Spielleiter hatte er schon Besseres
geleistet.
Bleibt noch Erika Meingast! Seid
vorsichtig, möchte man immerzu rufen, wenn
ihr Name ausgesprochen wird! Seid vorsichtig,
ihre Kunst ist ein so junges, empfindliches
Wachstum, das behutsam gehegt und gepflegt
werden will. Dosiert das Lob auf der Milli¬
grammwage: Nicht zu wenig, nicht zu viel,
denn beides ist in ihrem Stadium vom Uebel.
Gebt diesem Wachstum zu wenig Sonne, und
es findet vielleicht nicht die Kraft, sich zur vollen
Höhe aufzurichten! Gebtihm zu viel Sonne, und
es schießt vielleicht allzu übermütig ins Kraut!
Seid vorsichtig und bringt die Hamburger