II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1570

war. Dazu konnte er ruhig zu Hause in seiner bequemen Sofa¬
ecke bleiben; er zog sich einen weichen, warmen Schlafrock an,
entzündete seine lange Pfeife — und schon war ihm die Welt
zuwider, und nun konnte es losgehen. Wie bequem wurde doch
damals gedichtet!
Mit solchen Dingen darf man heute gar nicht anfangen
wollen. Heute muß der Dichter vor Allem hinaus in's theuere
Leben — und theuer ist es ja, wo ihr es anpackt.
Von Dichtungen, die in der Sofaecke, im Schlafrock und
bei einer langen Pfeife entstanden, wollen wir nichts mehr wissen.
Wir reflectiren nur auf die theuer erlebten Sachen. Ich will an
einem hervorragenden Beispiel einen sehr beiläufigen Ueberschlag
der Kosten versuchen, um den Nachweis zu erbringen, wie viel
Geld in so einem modernen Kunstwerk begraben liegt.
Und dabei hat das hiemit abgeschätzte Verhältniß erst die
Vorfabel zu der Dichtung geliefert!
Das eigentliche Stück stellt uns zwei liebe Wiener Mädchen
in ihren artigen Verhältnissen dar.
Verhältnisse aber müssen erlebt sein, ehe man in ihre
Psychologie eindringt. Man hört nun alle Tage den Ausruf: „O,
wie haben sich die Verhältnisse geändert!" Dies ist nur allzu wahr.
Von welcher idyllischen Anspruchslosigkeit früher die lieben Mädchen
waren, möge man aus Bürger's Huldigungslied entnehmen, wo
der Dichter meint:
Fehlen sollt' es Dir im Jahte
Nie an Spielen froher Lust,
Nie an Blumen in die Haare,
Nie an Blumen vor die Brust.
Eine Angebetete von heute würde auf ein solches Anerbieten
wahrscheinlich mit den Worten des Oberpriesters aus der „Schönen
Helena“ erwidern: „Blumen, nir wie Blumen!“
Nein, heute muß man den Mund und leider meistens auch
die Hände viel voller nehmen. Nicht umsonst nennen die Allzu¬
schlauen ihre Verehrer „Freunde“ denn sie wollen damit andeuten,
daß die kleinen Geschenke die Freundschaft erhalten. Berücksichtigen
wir ferner, wie billig — oder besser: wie theuer — ihre Wünsche,
öfter zum Stalehner zu gehen, das Theater zu besuchen, beim
Zuckerbäcker zu naschen, die Landpartien in der guten Jahreszeit,
das Weihnachts= und Neujahrsfest in der schlechten, ## (aus¬
genommen, man ist so vorsichtig, principiell jedes Verhältniß am
23. December abzubrechen), so wird man die unten ausgeworfenen
Zahlen sicher gerechtfertigt finden. Dabei sind besonders ungünstige
Fälle gar nicht in Betracht gezogen. So gibt es in der Species
der „Schlager=Mizzi's“ solche „Canaillen“, die alle drei Wochen Ge¬
burtstag haben.
Ich nehme also die Kosten einer lebenslustigen Mizzi während
90 fl.
dreier Wochen mit
85 „
*
an, während ich die melancholische Christine mit ..
berechne. Daß der Unterschied bloß fünf Gulden beträgt, darf
nicht auffallen. Denn zunächst interessirt Einen die Melancholische
gewiß einige Tage länger. Dann fällt die Melancholie vom
ökonomischen Standpunkte gar nicht so in's Gewicht, wie Unbe¬
wanderte annehmen dürften. Man glaube doch nicht, daß ein
melancholisches Mädchen von der Luft lebt! Und wenn sie zehnmal
abschlägt, in das billige Josefstädter Theater zu einer Nachmittags¬
vorstellung zu gehen — einmal acceptirt sie doch, aber für die
Oper und unter der Bedingung, daß man eine Loge nimmt, weil
sie da mit ihrem Schmerz besser allein sein kann.
Es wäre nun thöricht anzunehmen, daß ein Dichter, nachdem
er zwei Verhältnisse durchgekostet, bereits an die Verwerthung
seiner Erfahrungen gehen könnte. Vielmehr muß er auf eine weit
größere Reihe zurückblicken, ehe er sein letztes Wort sprechen kann.
Wenn wir die Zahl sechs annehmen, so rechnen wir schon mit sehr
bedeutenden Dichterfähigkeiten. Unfähige Dichter werden mit dem
Dreifachen nicht auskommen.
Haben wir also das Verhältniß zur Christine als
85 fl.
sechstes mit
angesetzt, und ist das zur Schlager=Mizzi mit . . . . 90 „
das fünfte, so lautet die Reihe nach rückwärts:
100
viertens die Toni
*
drittens die Ciara
110 „
zweitens die Steffi
120 „
erstens die Anna
220 „
725 f.
mme
Die Steigerung der Kosten entspricht der nach rückwärts ab¬
nehmenden Scala der Geriebenheit des jungen Mannes, während
die erheblichen Mehrkosten des ersten Verhältnisses um 100 fl. auf
der Erfahrung beruhen, daß man beim ersten Verhältniß regel¬
mäßig hineinfällt.
Bimmen and drm Pnontram
Dunkle Ehrenmänner.
Löbliche Redaction!
Der Wucher blüht in allen Formen, nur sind die Vampyre
vorsichtiger geworden und die Zutreiber theuerer. Die neueste
Fagon des Wuchers ist die Verbindung zweier oder mehrerer leicht¬
sinniger Leute als Solidarschuldner. Der Eine acceptirt, die Anderen
giriren. In der Regel muß dann Einer für Alle büßen. Hier eine kleine
Probe: Der Sohn einer wohlhabenden Witwe ist ein leichtsinniger,
vor einem Monat majorenn gewordener Bursche. Er wird mit einem
stark verschuldeten Baron, der auf sein Accept nicht 5 Kreuzer ge¬
borgt erhält, und einem älteren Herrn, der ein Strohmann und
Genosse der Wuchererbande zu sein scheint, zusammengeführt. Alle
Drei kaufen nun gegen einen Wechsel bei einem Juwelier, einem
dunklen Ehrenmanne, einen Schmuck um 3000 fl., welcher effectiv
vielleicht 1000 fl. werth ist. Der junge Mann acceptirte, die beiden
Anderen girirten einen Wechsel per 3000 fl., der am Verfallstage
dem Acceptanten als relativ sichersten Schuldner zur Zahlung
präsentirt wird. Zahlt er nicht, so wird der armen Mutter das
Geld unter allen möglichen Androhungen herausgepreßt. Und was
hatte der junge Mann thatsächlich erhalten? Kaum 10 Percent der
Wechselsumme! Der Schmuck wurde gegen das höchstmögliche Dar¬
lehen von 900 fl. versetzt. Jeder der Wechselschuldner erhielt 300 fl.
Davon mußte der Acceptant dem Agenten noch 50 fl. abgeben, so
daß ihm statt 3000 fl. bloß 250 fl. geblieben sind. Der Agent hat sich
natürlich vom Juwelier außerdem 100 fl. Provision bezahlen lassen. Die
Witwe übergibt die Sache ihrem Advocaten. Dieser will erst gegen
die beiden Giranten vorgehen, welche erklären, daß sie in der
1
Sache vor Fälligkeit des Wechsels überhaupt keine Antwort geben.
Der Juwelier erklärt, daß er den Schmuck auf Credit um 3000 fl.
1
S
verkauft — die Einrede wegen Verletzung über die Hälfte des
wahren Werthes läßt er nicht gelten, da der Schmuck auch einen
Amateurwerth habe — und die Valuta aus Gefälligkeit zinsen¬
frei auf 3 Monate gestundet hat. Dabei muß der versetzte Schmuck,
El
falls er nicht ausgelöst wird, am Verfallstage in sein Eigenthum
übergehen. Trotzdem hier ein Wuchergeschäft in optima forma
vorliegt, kann man weder den Juwelier, noch den Agenten oder
die Giranten fassen — und das Ende vom Liede wird, wie Ein¬
gangs bemerkt, sein, daß die alte Dame, wenn sie den Sohn nicht
Die
einsperren lassen oder im eigenen oder im Interesse der Zukunft
reichi
ihres Kindes den Scandal verhüten will, den Wechsel einlöst.
Um solchem von den Behörden nur schwer faßbaren, aber
beim
doch klar zu Tage liegenden Wucher nach Möglichkeit entgegen¬
schn
zutreten, gibt es nur ein Mittel: die Veröffentlichung der Namen
herr
derartiger Geschäftsleute und Vermittler.
mat,
J. T.
Hochachtungsvoll
Wei
dem
Geehrter Herr Redacteur!
ische
Sie haben es in der letzten Nummer Ihres Blattes unter¬
ziehen
nommen, Anregung zu geben, daß man sich über das Wesen und
und d
Treiben der Wucherer äußere. Ich mache von dieser Gelegenheit
Gebrauch und will weder die Erscheinung des Wucherers selbst, noch
der M
die schädlichen Folgen desselben beleuchten. Ich will mich nur
daß d
darauf beschränken, wieder einmal das bei so vielen Gelegenheiten
reich
schon Erwähnte vorzubringen. Vielleicht findet sich eine geeignete
zur
Behörde, gegen das Treiben solcher Personen, die weit schlimmer
noch als Wucherer sind, vorzugehen. Es ist bekannt, daß es in
pers
Wien Zusammenkunftsorte von Leuten gibt, deren einzige
rusf
lucrative Beschäftigung darin besteht, sich Denjenigen, welche
Vor
Geld suchen, mit Vorspiegelungen aller Art an die Fersen
Man
zu heften, zu erpressen und Geld herauszuschwindeln, ohne auch nur im
Geringsten daran zu denken, ihr Versprechen, Geld zu beschaffen,
erwe
halten zu wollen. Man kennt die Zusammenkunftsorte, weiß von
unt
ihrem Treiben, und da selten ein Kläger da ist, so findet sich auch
stüm
kein Richter, und man läßt sie unbehelligt. Ein Beispiel soll als
schaft
Illustration zu dem Gesagten dienen. Ich selbst befand mich in
momentaner Geldnoth. Ich weiß nicht, wie die Kunde davon in die
den
Kreise jener Leute, die sich Geldagenten nennen, gedrungen ist. Ich
du¬
weiß nur, daß sich eines Tages ein kleiner halbblinder Mann bei mir
wi
melden ließ und mir Geld zu den coulantesten Bedingungen
de
offericte. Er wisse einen „Mann“, der gerne auf sichere Art
tr
Geld verleihe, und wenn ich einen Giranten hätte — dann
wäre Alles gleich geordnet. Da ich einen solchen nicht
re
anzugeben wußte, versprach er mir, die Sache auch so machen zu
fahren, wo er wiederum einen „Mann“ wisse, der das Geschäft
ge
mit der geringeren Garantie gewiß machen werde. Dazu benöthige
er 5 fl. und verspreche morgen Antwort. Ich gab ihm die ge¬
vo.
wünschte Summe und er verschwand. Am nächsten Tage erschien
ers
er wiederum, die Sache in Baden sei nicht gelungen, der „Mann“
vo
überstark engagirt. Doch wisse er in Preßburg einen „Mann“.
Ur
Das machte er so plausibel, daß er von mir trotz meiner Geld¬
knappheit wiederum 5 fl. bekam. Noch einmal hatte er von einem
ur
Mißerfolg zu berichten und wollte wieder zu einem anderen
„Mann nach Mattersdorf (10 fl.), zu einem „Mann“ nach Wr.=
Neustadt (10 fl.), zu einem „Mann“ nach Budapest (15 fl.), kurz
W
der „Agent“ hatte aus Reisespesen vorerst ein Capital sich schaffen
wollen, das, wenn ich nicht innehielt, fast die Summe erreicht
hätte, die ich entleihen wollte. Zu seinem Unglücke aber
hatte ich die Geschichte mit dem „Mann“ bald erkannt und,
rascher als er es wohl dachte, meinen „Mann“, der trotz seiner
Reiselust Wien gewiß nicht verlassen hat, zur Thüre hinausbe=1 vi