II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1597

Liebelei
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1. österr. behördl. konz Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quelienangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt Nteue Freie Presse, Wien
vom: F 4. 1910
[Das Volksstück.] In der Generalversammlung
des Deutschen Volkstheate vereines, in der überhaupt mit dem
Wiener Publikum und mit den zeitgenössischen Autoren strenge
Musterung gehalten wurde, sind wir darüber belehrt worden,
daß ein gänzlicher Mangel gehaltvoller heimatlicher Volks¬
dramen zu verzeichnen sei und daß diese Erscheinung die
Volkstheaterdirektion — kein Engel ist so rein — vollständig
exkulpiere, wenn die Pflege des Volksstückes in den letzten
Jahren in den Hintergrund getreten sei. Dieser Voltsstück¬
mangel wurde aber nur in einzelnen Wiener Bezirken
beobachtet.: In Währing zum mindesten scheint man sich
des traurigen Seelenzustandes der Machthaber vom Weghuber¬
park nicht bewußt zu sein, die als moderne T###aterdiogenesse
mit der Laterne herumgehen und nach Vollsstücken suchen.
Denn aus der Kanzlei der Volksoper konimt die Nachricht,
daß man sich in Anbetracht der gesteigerten Kosten von
Operettenaufführungen auf das Gründungsprogramm dieser
Bühne besonnen habe und allen Ernstes mit dem klassischen
Drama und dem Volksstück drohe. Man tut allerdings gut
daran, vorderhand den Mut nicht sinken zu lassen und nicht
gleich an das Aergste zu denken. Es ist noch allerlei Aus¬
sicht vorhanden, daß wir der eminenten Gefahr eines Wiener
Schiller=Theaters entgehen. Nein, wir sind noch lange nicht
auf das Volksstück gekommen, das nach den Versicherungen
des Volkstheatervereines gleich den Elchen im Aussterben be¬
griffen ist. Aber da man gegenwärtig zwar keine Volksstücke
aufführt, aber auf der einen Seite dieser Gattung der drama¬
tischen Kunst die Leichenfeier rüstet, um anderwärts mit seinem
bloßen Namen Schreckschüsse abzufeuern und den Heerbann
der Opereitenliebhaber zu mobilisieren, so ist wohl die Frage
gestattet, was die Theaterherrschaften denn eigentlich unter dem
Volksstück verstehen. Als Volksstückautoren werden zunächst
Anngruber und Raimund auerkannt. Die führt man ent¬
weder gar nicht auf oder an blauen Montagen zu ermäßigten
Preisen,
ermäßigter Darstellung und
ermäßigter
Inszenierung. Dann wird als Epigone noch der brave, alte
Costa zugelassen, der seine Kassenschuldigkeit getan hat und
den man heutzutage alle heiligen Zeiten einmal einem be¬
liebten Schauspieler und seinen Paroderollenbedürfnissen zu
Ehren aus dem Archivstaub hervorholt. Und damit ist der
Kreis geschlossen. Für die Behauptung, daß etwa Schön¬
herr der Volksstückdichter unserer Zeit sei, daß unsere
Direktoren auf der Suche nach Volksstücken an der Tür
dieses Poeten anklopfen müßten, bekäme man ebenso sicher
ein überlegenes Lächeln als Antwort, wie auf die bescheidene:
Frage, ob denn die „Liebelei“ nicht eigentlich auch den mo¬
dernen, den zeitgenössischen Volksstücken beizuzählen sei. Die
Ausrede auf den Publikumsgeschmack verfängt nicht, ganz ab¬
gesehen davon, daß einige verastete Sonderlinge vielleicht
etwas von den erziehlichen Aufgaben einer Theaterleitung in
den Bart brummen werden. Das Volksstück stirbt aus, nach
dem die Theaterdirektoren wie hypnotisch Ausschau halten
und das in Wahrheit nichts anderes als ein Operettentert
ohne Musik. Diese Art von Volksstückdichtern ist aus wohl¬
erwogenen merkantilen Rücksichten in der betulichen Menge
der Librettisten aufgegangen. Sie streben nicht nach dem
Raimund =Preis, der heuer auch tatsächlich nicht zur Ver¬
teilung gelangen konnte. Und vom rein geschäftsmännischen
Standpunkt kann man ihnen kaum unrecht geben. Daß ein
Tugendpreis immer an Höhe hinter dem Sündenlohn weit
#urückbleibt, ist eine alte Erfahrung, eine Tatsache, an der sich
rotz aller moralischen Empfindungen nicht rütteln läßt. So¬
ange die Theaterdirektoren nur das als Volksstück anerkennen,
inehmen und aufführen, was auf dem Operettenmarkt un¬
verkauft geblieben ist, vermöge übermäßigen Angebots keinen
Komponisten gefunden hat, dürfen sie sich nicht wundern,
venn das Publikum feinfühlig genug ist, zwischen dieser Sorte
von Volksstücken und den sentimentalen Operetten, die zum
G'müat“ des Textes noch die Draufgabe der Musik bringen,
einen Unterschied zu machen und, um wieder den Bericht des
Volkstheatervereines zu zilieren, „die Direktion nicht in dem
Naße unterstützt, wie es erforderlich wäre, um ihr Ziel er¬
eichen zu können". Ein schlechtes, ein mageres Theaterjahr
eht zur Neige. Gibt es keine dramaturgischen Zeichendeuter,
ie unsere Bühnengewaltigen über den sich vollziehenden
Lechsel in der Geschmacksrichtung des Wiener Publikums
ufzuklären vermöchten? Die Glanzzeit der Operette ist
orüber. Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo, meinetwegen
is zu den — Gründungsprogrammen.
St—g.