II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1615

Liebelei
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B. Lasenane
DRUM“
V. Jahrg.
an Ihre erhabene Majestät von Milo erinnernden Busen und
endlich auch nicht im „holden Verborgenen“ des süssen
Leibes. Dieses Potpourri von Schönheiten, dieses Wunder¬
ensemble gehörte der Wienerin allezeit und gehört ihr
auch heute an; allein in den Sang Walters von der
Vogelweide und in die Lieder seiner hierländischen
Nachfahren klingt auch Wehmut ein über die Ver¬
gänglichkeit alles Schönen. Denn die Wienerin besass
allezeit auch etwas Zartheit, wenn diese auch infolge
ihrer Gesundheit nichts Schwächliches an sich hatte.
Die nun aufblühende Geueration entbehrt aber dieser
Zartheit. Die Töchter des Volkes sind kraftvoller, als
ihre Mütter es waren, und sie haben dabei vielleicht an
Viennensia.
Innigkeit eine Kleinigkeit eingebüsst, an ihrer Schönheit
Die junge Wienerin.
aber auch nicht das Geringste verloren. Sie sind
Wenn du den steilen Berg ersteigst,
gleichsam etwas germanischer geworden, und dies wieder
Wirst du beträchtlich ächzen;
macht sie mutiger, und sie erinnern in ihrem Auftreten
Doch wenn du den felsigen Gipfel erreichst,
schon an die Amerikanerin, die jede Gefahr verlacht,
Hörst du die Adier krüchzen.
die ihr von lüsterner Männlichkeit droht. Die Literatur
Dort wirst du selbst ein Adler fast,
vom „süssen Mädel“ ist dadurch obsolet geworden, und
Du bist wie neugeboren,
Du fühlst dich frei. du fühlst: Du hast
Artur Schnitzlers „Liebelei“ ist ein Märchen aus alten
Dort unten nicht viel- verloren.
Zeiteigs uns heute eine Christine, die in Sen¬
Heine.
timentalität erstirbt. Sie ist nicht mehr vorhanden.
Prentice Mulgrave, der da verkündete, dass die
Allein nicht nur die Tächter des Volkes sind kraft¬
Menschen — als Amerikaner versteht er darunter natürlich
voll geworden, auch die Bürgermädchen und auch unsere
in erster Reihe die Amerikaner — schon lange genug
Komtessen und Baronessen schreiten amerikanischer
gestorben seien, und dass sie sich daher endlich einmal
einher
entschliessen mögen, den groben „Unfug des Sterbens“
Woher kommt das aber? Denn wir können uns
einfach nicht mehr mitzumachen. Mulgrave selber ging
doch mit der Tatsache allein nicht begnügen, wir fahnden
den bisherigen Weg alles Fleisches und teilt nun das
gern nach dem Ursprung eines Geschehens.
ungezogene Schicksal der Milliarden Toter, die alle erst
Es dürfte wohl an zwanzig Jahre her sein, dass
das Heranbrechen des jüngsten Tages abwarten müssen,
wir an den Sonntagen stadtflüchtig wurden und lien
bevor sie sich zu neuem, diesmal aber voraussichtlich
Wienerwald unsicher zu machen begannen. Im Winter
ewigen Leben aufraffen können. Mulgrave erklärte,
wie im Sommer verliessen wir das Lagerund strichen
dass es zur Fortdauer des Lebens nur des starken
in den Wäldern umher und stiegen auf die Hügel und
Willens bedürfte, dem „unendlichen Be¬
erklommen die „Kogeln“. Anfänglich war cs uns nicht
wusstsein“ — das ist: Gott! der ja auch
Heicht, denn man bleibt ja an Sonntagen gerne etwas
ewig ist, gleich zu werden; allein er glaubt
länger im wohligen Bett und fröhnt der Faulheit, und
selber, dass es unter den Heutigen, die alle durch die
es bedurfte zum Frühaufstehen eines mannhaften Ent¬
vieltausendjährige, stets nur die Notwendigkeit und
schlusses. Und auch das Herumstreichen und Steigen
Gewissheit des Todes predigende Tradition korrumpiert
und Erklimmen tat einem bei Beginn nicht sonderlich
und depraviert seien, kaum einen Einzigen gäbe, der
wohl, und man spürte die Müdigkeit in allen Gliedern
sich zu jenem starken todtötenden Willen aufzuschwingen
und die „Turnschmerzen“ erfreuten nicht allzusehr. Die
vermöchte. Aber fangen wir nur endlich einmal an,
Wirte in der Umgegend waren auf uns ebenfalls nicht
ewig leben zu wollen! Vielleicht erreichen wir es doch,
eingerichtet, und unser städtischer Magen rebellierte gegen
und wenn wir schon nicht cie Ewigkeit erreichen sollten:
die kulinarischen Bauernrevolten. Allgemach aber be¬
ein paar Tausend Jährchen kann jeder von uns immer¬
quemten sich die Wirte des Wienerwaldes zur Rücksiche
hin leben, wofern er nur ernstlich will, und unsere
auf uns, und der Bürgermeister von Unterkirchbach bei
Nachkommen, denen wir unsern Willen vererben, kommen
St. Andrä wurde berühmt durch die Backhendln, die er
gewiss ans Ziel.
I in seidem Wirtshaus bot; das Silberhuberhaus auf der
Mulgrave starb höchstwahrscheinlich infolge einer
Habsburgerwarte leistete die besten Würste; auf dem
Schlamperei: er war einmal zerstreut und vergass zu
Anninger speiste man wie etwa im Winterbierhaus,
wollen; aber sein Apostel und Uebersetzer Sir Galahad
und das „Eiserne Tor“ bei Baden ist direkt der Sacher
lebt, und ihn laden wir nun ein, sich auf dem Bauern¬
der Touristik geworden. Und je stärker unsere Beine
markt oder unter den Tuchlauben oder in Mariahilf oder
wurden, desto näher wurden die Ziele, und so mancher,
sonstwo in Wien aufzustellen, wenn die Töchter des
der da ächzte und stöhnte, wenn er auf den Kablenberg
Volkes von der Arbeit kommen und freudevoll zur
musste, lief bald wohlgemut zum Sonnwendstein hinauf
Atzung laufen. Er schaue sich diese Dinger von 15
und da nicht einmal von der Station Semmering, sondern
bis 18 Jahren ganz genau an, und er wird zur Erkenntnis
von Gloggnitz# s über Maria Schutz. Dann wurde der
gelangen, dass ihnen, die von Mulgrave doch gewiss
Schneeberg erobert und darauf sogar eine Zahnradbahn
keine blasse Ahnung haben, jener kraftsprühende Wille
erbaut. Diese Zahnradbahn kann sich, nebenbei gesagt.
zum ewigen Leben bereits innewohnt, den der ameri¬
nicht rentieren; nicht etwa desshalb, weil der Tourist
kanische Erlöser so dringend für die Menschheit er¬
lieber steigt als fährt, denn vom Ende der Station ist’s
sehnte. Worin zeigt sich nun dieser Wille zum ewigen
herrlich bis zur Fischerhütte und zum Klosterwappen,
Leben? Nicht im Pfirsichteint der jungen Wienerin,
und von dort hat man nach Puchberg oder ins Höllental
auch nicht in der freien offenen Stirn, nicht in den
hinab noch lange Wege: die Bahn kann sich vielmehr
grossen lachenden Augen oder in der agreablen Nase
wegen der hohen Preise nicht rentieren, und der Mann,
oder den vollen roten Lippen, nicht im anmutigen Kinn
oder im schimmerr den Schlangenhals, auch nicht in dem 1 der sie erbaute, sollte sich begraben lassen. Vielleicht