II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1640

Liebelei


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haben, dann hat dieser Dramatiker der unüber¬
troffenen Beobachtüngsschärfe, dieser Meister der
konzentrierten Handlung, in der es ganz wie in
jenem seligen Wien der Jahrhundertwende weint
und lacht, seine gutverstandene Würdigung erhal¬
ten. Jene Jahre, die bis an den Krieg reichen
— der Schreibende amtete damals als Redakteur
in Wien — gaben alles, was an Gefühlsüber¬
schwang möglich war. Ein Stück war der Ju¬
gend von München gegeben worden: das war
eine Dosis Frank Wedekind. Aber der alle, gol¬
dene Schlendrian, das wundervoll Leichtsinnig¬
Schwermütige, das eben jenem alten Wien zu ei¬
gn war, das Resultat der Kreuzung von germa¬
nischem mit böhmischem Element, das schuf Ty¬
pen, wie sie Schnitzler, ein Arzt und Menschen¬
kenner, ein Satiriker mit blutendem Herzen, zu¬
zeichnen verstand. So ist das Leben! könnte man
über seine „Liebelei“ schreiben, mehr als über
alle Schöpfungen Wedekinds fast. Und was sagte
der wortgewandte, wundersam sprachschöpfende
Dichter gestern abend: zwischen der Handel=Ma¬
zetti und der Ebner=Eschenbach drin liegt etwa
die Kunst Schnitzlers. So ist es. Wer sprach von
Frivolität? Wer versuchte den Dichter des Prof.
Bernhardi, weil er ein Jude war, in politisch¬
konfessionelles Nevengeleise zu schieben? Aber¬
wille und Unverstand allein nur konnte ihm sol¬
ches Unrecht antun. In der Darstellung Carl
Friedrich Wiegands, der in seinem inhaltlich und
formeil gleich packenden Vortrage den Dichter
aus allem Mißverstehen in die Höhe wahren und
verdienten Geltungslichtes hob, traten wir dem
wahren Schnitzler gegenüber, dem besten Zeich¬
ner einer Zeit, die erloschen ist.
Wie sollte die „Liebelei“ nicht verstanden wor¬
den sein, nachdem der Dichter in seinem inner¬
sten Fühlen lebendig vor uns hingestellt worden
war? Vier junge Leute: zwei golden=leichtsinnig,
naive Kinder der hemmungslosen Lebensfreude,
seine Gestalt von einer melancholischen Art tiefer
schürfender Problematik und daneben das lichte,
freine, wundervolle Kind der guten alten Zeit:
hausbacken, aber in seiner Seelengröße immer
bewundernswert, Superlativ aller Treubegriffe,
die rings um sie herum wie Nebel zerfahren.
Lachen und Weinen erfüllt das Stück, dieses
Porträt des Wiener Studentenlebens und eines
Erika
Drum und Drans von vor dem Kriege.
Ziha, die von innerlichster Kraft beseelte, Gisela
Zideck, das lachmuntere, plauderselige, reizende
Geschöpf jasagender Jugendfrische — und ihr Da¬
sein kreuzen die beiden jungen Männer: Vasa
Hochmann mit erschütternder Kunst der tragi¬
schen Geste, Hans Rathausky mit seinem golde¬
nen, alle bezwingenden Humor: das gab ein Zu¬
sammenwirken höchster Spannung und blutvoller
Lebendigkeit. Dazu die mitgehörenden Figuren
Alt=Wiens: der greise Geiger vom Burgtheater,
in Fritz Bois mit tiefstem Nachfühlen verkörpert,
die Frau aus dem Volk, Scherenschnitt aus der
wienerischesten Wirklichkeit vergangener und
heutiger Tage, wie sie Lotte Lothar meisterlich
wiedergab, und schließlich der Herr, der in seiner
Gattenehre betrogen war und den jungen Stu¬
denten niederknallte — Gotthart Portloff versah
diese Gestalt mit allen äußerlichen und innerli¬
chen Requisiten einer vollendeten Darstellerkunst:
so setzte sich eine Handlung durch, die hinriß und
stürmischen Beifall auslöste. Die Szene, die Toi¬
letten vor 30 Jahren: die Regie Johannes Stei¬
ners hatte an alles und jedes gedacht: es klappte
in wundersamer Harmonie. Ein genußreicher
Abend. Unsere Künstler seien dafür bedankt.
A. F. B.