II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1678

Liebele
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„Liebelei.“ — „Der tapfere Cassian.“
* Wie frisch ist die „Liebelei“ geblieben. Wie¬
viel echte Jugend ist in ihr, unbedroht vom
Altern. Wie wächst hier aus der Kleinbürgerlich¬
keit ein großes Schicksal herauf, über alle Zeiten
hinweg: Der Mensch, der liebt, der sich an seine
Liebe verschenkt, der von seiner Liebe verbrannt
wird, der nichts als Liebe ist, der nicht versteht
und darum zugrunde gehen muß, daß den an¬
derne Menschen, die nur „beinahe lieben“
können, alle Gefühle nuc Liebelei sind. Die
soziologischen Voraussetzungen dieser Klein¬
bürgerwelt haben sich, seitdem sie Schnitzler er¬
schaute und gestaltete, grundlegend geändert,
aber die Menschen dieser Dichtung leben und
werden noch lange weiterleben, weil das Herz
eines Dichters in ihnen schlägt.
„Der tapfere Cassian“ dieses Puppenspiel in
einem Akt, zeigt ähnliche Schnitzlersche Wirklich¬
keit, aber sie ist schon zu einem Spiel mit der
Literatur ironisiert: Abschiedssouper im Schat¬
ten des Todes, zwischen Würfeln und Aben¬
teuern, zwischen Geschmack der Vergangenheit
und Verlockungen der Zukunft, zwischen zwei
Frauen, einer, die da ist und liebt, und einer,
die unsichtbar bleibt und geliebt wird, zwischen
einem traurigen Pierrot der Liebe, einem
Frauenschmetterling und einem Brecher und
Fresser der Herzen. Viel Gescheitheit, viel Iro¬
nie, viel Wissen um uns, viel Farbigkeit — aber.
das Ganze ist etwas blaß und brüchig geworden
wie seidengestickte Puppenkleider, die jahrelang
in einer Vitrine ruhten.
„Der tapfere Cassian“ wird in einem aparten
Bühnenbildchen Otto Niedermosers als
Marionettenstück zu den leitmotivischen Klängen
einer Spieldose gegeben. Die Inszenierung Baul
Kalbecks bringt mehr die spaßhafte Instru¬
mentation als die unheimlichen Untertöne des
Spiels. Hans Thimig als Pierrot bleibt ein
wenig außerhalb, gewissermaßen: er müßte eine
Violine sein und ist eine Mundharmonika. Friedl
Czeppa spielt den tapferen Cassian lustig ins
Bramarbasierende hinüber.
Die „Liebelei“ kommt in der Regie Paul
Kalbecks um einige Grade härter heraus, als
sie sich Schnitzler gedacht haben mag. Aber was
die drei Akte dadurch an wienerischer Weichheit,
die längst eine Sage geworden ist, verlieren, ge¬
winnen sie an dramatischer Unmittelbarkeit. So
nah, so geschlossen als eine menschliche und
dichterische Einheit, hat man die „Liebelei“ schon
lange nicht gesehen.
Hugo Thimig ist ein wundervoller, alter
Weyring. Das Glück und der Schmerz eines
Lebens sind in ihm. Daß er der Vater auch der
schauspielerischen Passionsfähigkeit der Helene
Thimig ist, hat man noch nie so gespürt. Hans
Thimig als Fritz ist ein rührender Moriturns
voll liebenswürdiger Jugend und Musikalität.
Von Heinrich Schnitzler wird der. Theodor
überraschender Weise aus dem Verwischten, in
dem er sonst schauspielerisch gehalten wird,
herausgeführt und deutlich gemacht: ein helles
Bewußtsein, ein überlegenes über den Menschen
Stehen — ein wienerischer Karlos neben einem
Clavigo von 1890. Herbert Hübner gibt der
Szene des fremden Herrn in den emper¬
gestoßenen Worten, in dem flackernd herherrsch¬
ten Blick, in dem knirschenden Verstummen, weil
sich die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht den
Schmerz hinauszuschreien, die unheimliche Ge¬
walt eines Wesens, das zugleich von der Straße
und von drüben kommt: auch diesen Don
Giovanni holt der Komtur. Bei Annie Rosar.
kommt das aus Gutmütigkeit und Bissigkeit ge¬
mischte Wienerische einer alternden Vorstadtfrau
gut heraus.
Friedl Czeppa als Schlager=Mizzi ist unge¬