II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1688

Liebelei
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„OBSERVER“
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WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt aus:
Neue Freie Presse Vien
33.3.1933
vom;
Schnitzler in der Josefstadt.
Mit Arthur Schnitzlers „Liebelei“, der das Puppenspiel
„Der tapfere Cassian“ voranging, wurde nicht bloß das
Andenken eines Dichters gefeiert, kam nicht allein eine
hochbegabte Künstlerin zur Rolle der Christine, in der man
sie schon lange sehen wollte, sondern es wurde ein Abend,
wie er in der Josefstadt eigentlich letzter Zeit zu den Selten¬
heiten gehört.
Die „Liebelei“ diese holde Ballade wienerischer
Mädchen, wirkt in voller Dichterkraft, wirkt so dramatisch,
daß der einzige in den drei Akten enthaltene und seither
überholte Duellkonflikt als eine historische Lebendigkeit
erschütterte.
Wir können für heute nur die poetisch gehobene, durch¬
aus echte Christine der Wessely erwähnen, den ergreifenden
Vater Weyring von Hugo Thimig, die naturwahre, fröhliche
und reizende Schlager=Mizzi der Czepa, den kultivierten
Theodor von Heinrich Schnitzler und die spaßhafte Frau
Binder der Annie Rosar. Mit dem Fritz, den Hans Thimig
zu spielen versuchte, müssen wir uns noch auseinandersetzen.
Das soll geschehen, wenn wir über Arthur Schnitzler, über
„Liebelei“, über die Groteske des „Tapferen Cassian“ und
über die geschmeidig noble Spielleitung von Paul Kalbeck
f. 8.
ausführlich sprechen.

I. Oesterr.
OBSERVER vereret. kenz.
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Bürc für Zeitungsnachrichten
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WIENI, WOLLZEILE 11
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Theater in der Josefstadt.
„Der tapfere Kassian.“ — „Liebelei.“
Die Neuaufnahme von Schnitzlers „Liebelei“ in den
Spielplan einer Wiener Bühne regt zu mancherlei Ge¬
danken an. Heute, wo wir die damals heimlich verstreute
Saat in voller Blüte sehen und darangehen müssen, das
Unkraut auszujäten, ist es sehr lehrreich, einzelne der
Keime, gleichsam konserviert, zu betrachten. Einer dieser
Keime ist eben dieses Schauspiel, das scheinbar nur Mensch¬
liches zeigt, das Schicksal eines jungen, liebenswürdigen
Geschöpfes, das an seiner großen Liebe zu einem Vertreter
der „guten“, also nichtswürdigen Gesellschaft zugrunde
geht. Kaum irgendwo fände man etwas daran auszusetzen,
kaum irgendwo ergäbe die Beurteilung anderes als Zu¬
stimmung, wenn nicht, in den Mittelakt eingebaut, eine
scheinbar nebensächliche Szene dastünde, dem Anschein nach
nur dazu b stimmt, die Zeitspanne zwischen zwei wichtige¬
ren Szenen zu überbrücken. Diese scheinbare Nebenszene
aber ist die wichtigste des ganzen Stückes, denn in ihr pre¬
digt der Verfasser seine Weltanschauung, die Weltanschau¬
ung des Genusses, dem Vater der Heldin in den Mund
gelegt, der es bedauert, sein Lebenlang bei den ihm anver¬
trauten Frauen auf Sittenstrenge gesehen zu haben, da
darüber deren Leben dahingegangen, deren Recht auf
Liebe verkümmert worden sei. Hier ist eine Scheidung der
Geister zu finden, zwischen unserem Standpunkt, der die
Pflicht, und dem gegnerischen, der den Genuß als höchstes
Gut anpreist; von hier aus geht jene betörende Lehre vom
Sichausleben, von der Sprengung aller Fesseln, dem
Recht nicht nur auf Liebe — denn dabei bleibt es nicht —
sondern auf geschlechtliche Freizügigkeit. Das Ende haben
wir mittlerweile kennengelernt: es heißt allgemeine ge¬
schlechtliche Verschlammung und Verschlampung, Ersterben
jedes wahren Gefühls, materialistische Auffassung der Be¬
ziehungen zwischen Mann und Weib, in den furchtbaren
Höhepunkt emporgesteigert, für den Wildgans' „In memo¬
riam“ die erschütternden Warnungsworte findet: „Daß
jeder jede besitzt. So sieht der Abschluß jenes Rosenpfades
aus, hier mündet das scheinbar so natürliche „Recht auf
Liebe“. Und darum lehnen wir dieses Werk ab, um so
mehr, als die gefährliche Tendenz so geschickt darin ver¬
borgen ist, als scheinbar das Allgemeinmenschliche darin
allgemeine Zustimmung fordern darf.
Die Darstellung war unübertrefflich. In der Rolle des
jungen Mädchens Christine bot Fräulein Wessely wie¬
der eine Glanzleistung ersten Ranges. Der jungen Schau¬
spielerin, deren inneres Wachstum verfolgt zu haben
reinste Freude ist, stehen Gefühlstöne zu Gebote wie kaum
einer anderen Künstlerin. Innigkei., stilles Glück, Bangnis,
Verzweiflung bilden eine Stufenleiter ergreifender Na¬
türlichkeit, die, obwohl kaum noch zu überbieten, sich doch
stets in den Grenzen künstlerischer Anmut hält. Herr Hans
Thimig, zwar nicht der Männertyp, dem man mehrere
Frauen zu gleicher Zeit glaubt, versenkte sich liebevoll in
die zu erkörpernde Gestalt und war namentlich in den
Augenblicken verhohlenen Schmerzes vortrefflich. Sehr
gut die übermütige Schlagermizzi der Frau Czepa, die
nur noch ein wenig zu dämpfen wäre, der Sohn des Ver¬
fassers ein unauffälliger Theodor. Herr Hugo Thimig
übersonnte den alten Weyring mit der ganzen gereiften
Kunst und Weisheit seines Alters; hier hat wirklich ein¬
mal der Herbst die schönste Ernte gebracht! Wirksam volks¬
tümliche Akzente fand Frau Rosar in der Nebenrolle
der Frau Binder, den „fremden Herrn“ gab Herr Herbert
Hübner mit steinerner Ruhe.
Dem Schauspiel ging das Puppenspiel „Der tapfere
Kassian“ voraus, das als Commedia del'arte mit jener
Geziertheit gespielt wurde, die hier durchaus am Platz
war. Neben Frau Czepa und Herrn Hans Thimig
holte sich hier besonders Herr Neugebauer in der
Titelrolle, ein gewollt grotesker Bramarbas von betonter
3—ch.
Übermännlichkeit, verdiente Lorbeeren.