II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1700

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iebelei
Liesezel

Bresche, ohne den Ehrgeiz, ohne die Absicht, bahnbrechend zu
war, ferner welche Elementarkraft
Gewalt des dramatischen Geschehens. Man wurde erschüttert
wirken. Etwas mag dem Wienertum im Burgtheater hinder¬
und für sich enthält. Die Christine
von der musikalischen Seele dieser Wiener=Stadt, die in
lich gewesen sein. Eine Zurückhaltung, in der sich die erste
aufführung Adele Sandrock gespiel
Christine Weyring eines ihrer holdesten und rührendsten
deutsche Bühne der eigenen Stadt gegenüber gefiel. Warum?
ordentlichem Format. Nicht mehr
Lieder sang. Eine kurze, doch zur Unsterblichkeit bestimmte
Fehlte die entsprechende dramatische Produktion? War die
hübsch, nicht mädchenhaft und
Ballade bekam man zu hören. Einem künstlerischen Ereignis
Erwähnung Wiens und Wiener Straßen nur Personen ge¬
wirklich alles andere als wienerisch
durfte man Zeuge sein.
stattet, die historische Kostüme trugen? Ungeschriebenes Ge¬
Rolle zum Sieg. Sie gab in der
Ach, was sind Worte! Jetzt, da sie dort oben auf der
setz, aber doch Gesetz, das kaum je eine Ausnahme erlaubte.
großen Tragödinnen jener Epoche
Bühne denselben Dialog reden, den die paar Freunde damals
Ich habe es nie begriffen, stand von meinen Anfängen an zu
durchwühltes Frauenherz. Die Medel
zuerst aus dem Mund des Dichters vernommen, jetzt, da sie
fest auf neuem Boden, um derlei zu verstehen. So war mir
brachte die Süße der Einfachen, die
hier in der Josefstadt vom alten Weyring sagen, er sei
auch Direktor Burckhard rätselhaft, der eines Nachts mit mir
zuletzt, und das war hinreißend, wi
„Geiger im Josefstädter Theater“, jetzt besinnt man sich nicht
spazieren ging und die bevorstehende Premiere der „Liebelei“.
taren Gewalt ihres Tragödinn
bloß des Wandels der Zeiten, die inzwischen verflossen, be¬
sehr erregt besprach. „Ich führ's auf, das Schtück!“ rief er
Tragödin. Ich will durchaus nicht
sinnt sich auch, wie sehr die enthusiastische Botschaft der
immer wieder. „Ich führ's auf, und wrenn ich mir glei' damit
ihre wunderbare Leistung sagen, wi
Freunde damals bagatellisiert wurde. „Eben Freunde! Naja !
ich kann mir net
das G'nack brech', ich führ's auf —
die Christine von Paula Wessely
Clique! Man kennt das ja !“ Jahrzehnte müssen hingehen,
helfen!“ Warum soche Newosität? Was sollte denn
der wienerischen Mödchengestall be
ein Werk muß so frisch, so blühend, so voll tiefen Erschütterns
passieren? Es war ein bedeutendes Kunstwerk, das mußte
die Rolle der Christine nicht zwei #
immer noch wirken wie „Liebelei“, muß die unverwüstlichen,
doch espielt werden. Na also! Ich verstand ihn nicht. Er
und einen tief tragischen. Erst durch
heiligen Jugendzeichen künftiger, nicht zu brechender Dramen¬
hat sich denn auch keineswegs das „G'nack“ gebrochen.
ganzes, unteilbares Geschöpf, naturh
wirkung an der Stirn tragen wie dieses Gedicht, damit die
1 „Liebelei“ wurde ein großer Erfolg und blieb eine rühmliche
Vergleich nicht zu abgebraucht wär
Leute endlich verstehen, warum gerade diese Menschen dieses
Tat der Direktion Burckhard. Eine Entdecker=Tat. Das soll
zu Herzen und zu den Sinnen
einen einzigartigen Menschen Freunde waren. Im übrigen
ihm unvergessen sein. Erst später, unter Schlenther, der den
Wessely ist das Schicksal der Chris
aber: wenn sie's nicht verstehen und nie verstehen wollen,
von Alfred Berger mit starkem, nachhaltigen Erfolg gespielten
fachen beinahe alltäglich. Sie hebt
was liegt schon daran?
Medardus“ zurückgewiesen hatte, lernte man daß es auch
ins Ungewöhnliche, und das eben
„Liebelei“ war eines der ersten ernsthaften Theater¬
Direktoren gab, die ihr „G'nack“ selbst dann schonten, wenn
Herrliche. Ein Mädchen gibt sie, w#
stücke, war an der Burg jedenfalls das erste Stück, darin
sie es gar nicht zu riskieren brauchten.
umhergegangen sind, umhergehen
moderne Figuren von Wiener Straßen, vom Kahlenberg
Sie leidet, was tausende vor
Jetzt, da die Christine eigentlich zum erstenmal nach
sprachen, sprechen durften. Auch das fällt einem ein, indessen
nach ihr leiden werden. Ernsthaf
langer Zeit, also zum erstenmal seit der jungen Medelsky,
die Feier dieser Dichtung angeht. Man denkt der breiten
Schlager=Mizzi, nicht zu irgendeinen
von einem repräseniativen Wiener Mädel verkörpert wird,
Bresche, die „Liebelei“ geschlagen hat, im Burgtheater, im
geschaffen, sondern wirklich und ernst
hat man freilich sehr post kestum einen Begriff wie fremd
Wiener Theater, soweit nicht das Volksstück in Frage
kommt, in der ganzen dramatischen Wiener Literatur. das Burgthealerpublikum seinerzeit dem wienerischen Mädel wie die Schlager=Mizzi nach ihrer
Art ein Typus, ist diese Christine ty
dem Schubert= und Lanner=Musik in
Klärchen in jede andere Landschaft ü
erst die Wessely völlig klar, was der
heißt, sie bringt es schauspielerisch zu
Ausdruck, jedenfalls zum deutlichsten
sie keineswegs aufs Stichwort tragisc
überrumpeln, mit hinlänglicher Dyn
dings unfehlbar das Publikum. Christ
von Hoffen und Zagen, von Freude un
und halbem Verzichten zuckenden Kan
in einem Kampf gegen Fritz, mit Fi
und will es doch nicht wissen: ihr Gl
ist entschlossen, das zu dulden, sich sp
einer Form, die sie kaum noch kenn
ahnt, mit solchem Schluß abzufinden.
tot ist, begraben, um eine andere
sie mitten aus ihrer Daseinsfülle,
Wellengang ihrer stürmischen Gefühle
die Vernichtung. So blitzschnell, so
keine Zeit bleibt, vorher tragödienha
Und hier ist das Erschütternde an der #
wegs als eine Tragödin in den Tod de
bühne weg, sondern als eine Verzwei
echte Mädchennatur, der das Herz w
Stücke bricht, wie das täglich so und so
Mädchenherzen geschieht, auch wenn
Tod stürzen. Alles ist Einheit an die
tensität ihrer schlichten Gegenwart,
Zärtlichkeit und ihrer hilflos schlichte
Hauch von Theaterei, kein gezegene
schminkter Ton stört das Ereignis, als