II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1737

Liebele
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„OBSERVER“
Wien, I., Vellzeile Nr.1
Telefon R-23.0-43
Arbeiterzeitung, Wies
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26.
Die Welt des Films
das vorsätzlichen Mord bedeutet, und tritt
Alt-Oesterreich im Füm
wegen dieses Duells aus der Armee aus.
Auc sonst hat sich manches an der Dichtung
„Lebelei“
Schnitzlers geändert. Der fremde Herr, der
Duellgegner, erscheint bei Schnitzler nur ein¬
Die Liebestragövie Christine Weyrings
mal, und als er ins Zimmer kommt, bringt
beginnt im Tonfilm mit dem Kaiserlied: in
er den kalten Hauch des Todes mit; im Film
der Oper lernt sie, bei einer Festvorstellung,
wurde er zu einer großen Rolle, er ist keine
der der Franz Josef beiwohnt, den Mann
symbolische Figur mehr, sondern der sehr
kennen, dem sie ihr Herz schenkt, an dem sie
reale rachsüchtige, betrogene Gatte aus dem
zugrunde geht. Der Prunk eines Gala=Abends
alten Ehebruchsdrama. Daß die Möglichkeit
in der Wiener Oper wird in diesem Film der Darstellung von Vorgangen im realen
aber nicht entfaltet, weil Kaiser, Aristokraten
Raum nicht immer der Bühne gegenüber
und Uniformträger aller Chargen im
deutschen Tonfilm jetzt sehr beliebt sind, auch ein Vorteil ist, beweist die Schlußszene
des Films: im Stück läuft Christine fort,
sondern weil diese Szene wie ein Grund¬
der Vater weiß, sie wird Selbstmord be¬
akkord die Stimmung, die Atmosphäre, den
gehen, sie wird nicht wiederkommen; dieses
Geist der Zeit und der Welt andeutet, in
ungewisse Verschwinden im unsichtbaren
der Christine Weyring lebt, liebt und stirbt.
poetischen Raum ist unvergleichlich wirkungs¬
Der Dichter kann auf der Bühne nur einen
voller als der Fenstersturz, der im Film
kleinen Ausschnitt des Lebens geben, er ge¬
gezeigt wird.
staltet eine Welt am dramatisch konzen¬
trierten Beispiel
eines -Einzelschicksals:
Max Ophüls, der Regisseur, hat das
Liebesjubel und Liebestragik Christine
Hauptgewicht auf die Wiedergabe der Atmo¬
Weyrings sind zugleich Lebensjubel und
sphäre des Vorkriegs=Wien gelegt. Die
Lebenstragik des „jungen Wien“ der Jahr¬
Straßenszenen, das Kaffeehausbild, die Auf¬
tritte in der Kaserne haben die richtige spezi¬
hundertwer de. Der Film, seiner Struktur
nach episch, ist nicht auf die psychologische
fische Stimmung, ohne aufdringlich „Milieu¬
Perspektive des Theaters angewiesen, er
malerei“ zu betreiben; sie wurden von Franz
kann ein Stück Wirklichkeit mit der ganzen
Planer mit künstlerischer Einfühlung sehr
Weite des realen Raums wie ein Panorama
schön photographiert. Um den Stil des
auf der Leinwand vorüberziehen lassen. Das
Theaters und die Enge des Ateliers zu
alte Oesterreich, dessen Musik gedämpft durch
durchbrechen, läßt Ophüls das Liebespaar
die Zeilen der Dichtung von Arthur
eine lange Schlittenfahrt unternehmen, zeigt
Schnitzler klingt wird im Film sicht¬
er die Offiziere bei einem Geländeritt. Das
bar. Die beiden jungen Leute, die Schnitzler
Duell wird akustisch angedeutet; man hört
als typische Vertreter der Wiener Vorkriegs¬
nur einen Schuß, und da man weiß, daß
der Gegner des Helden den ersten Schuß
bourgeoisie gezeichnet hat, sind im Film
hatte, wird ohne das Bild der Duellanten
aktive Offiziere. Nicht allein, weil der Geist
klar, daß der Held gefallen ist.
des alten Oesterreich sich am Geist des alt¬
österreichischen Militarismus leicht darstellen
Die darstellerische Ueberraschung des
Films ist Magda Schneider. Sie spielt
läßt, sondern weil das den Autoren Hans
die Christine ohne Starpose, ohne Pathos,
Wilhelm und Kurt Alexander auch
ganz schlicht, ganz einfach; für den Verzweif¬
die Möglichkeit gibt, aus dem „Freiwild“
lungsausbruch der letzten Szene findet sie
von Schnitzler das Motiv des Kampfes
zwur nicht den richtigen Herzenston, aber sie
gegen das Duell herüberzuholen; der
rührt hier durch die Echtheit und Natürlich¬
Film braucht mehr „Stoff“ als das Bühnen¬
keit des mimischen Ausdrucks. An zweiter
drama, er braucht mehr konkrete Handlung.
Stelle ist Gustaf Gründgens zu nennen,
Theodor, der Räsoneur aus der „Liebelei“
der „fremde Herr“; eine Schauspielerleistung!
erhebt nun lauten Protest gegen das Duell,
von größter Einprägsamkeit. Luise Ullrich
ist eine resolute, schlagfertige Mitzi, Wolf¬
gang Liebeneiner ein glaubhaft schwär¬
meriscler und glaubhaft ratloser Leutnant,
Willy Eichberger spielt den Vorkriegs¬
feschak recht nett, Paul Hörbiger die
stark zusammengestrichene Rolle des Vaters
mit feiner Charakterisierungskunst.
Den seelischen Tiefgang der Dichtung
Arthur Schnitzlers hat der Film nicht; er
will ihn auch nicht haben. Aber er läßt den
erloschenen, trügerischen Glanz einer Zeit
nochmals aufleuchten, die mit spielerischer
Melancholie und gezwungener Gutgelaunt¬
heit über ihren eigenen Kummer hinweg¬
kommen wollte, die den Verzweiflungsschrei
eines an der Welt zerschellenden Menschen
mit der Marschmusik der Militärkapellen
übertönte.
Fritz Rosenfeld.