II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1846

blicklich verfügt, haben seit Saison-von Venedig“, die das staatliche Odéon
beginn schon mindestens ein halbes jüngst wieder aus der Mottenkiste ge¬
Dutzend Vorstellungen geliefert, die holt hat, ist dafür ein ebenso gültiges
den Durchschnitt recht beträchtlich Beispiel wie die Kühnheit Gaston Ba¬
überragen. So gehören etwa „Prière tus, den weiblichen Star seiner Truppe
pour les vivants' und „Tovaritch“, ein in Hosen zu stecken und einen angeb¬
ernst-satirisches und ein keiter-senti¬
lichen „Ur-Hamlet' mimen zu lassen.
mentales Stück des produktiven Jac¬
Nach seinen Versuchen, Shakespeares
ques Deval, zwar nicht zu den Spitzen¬
Sonette „Lukrezia' und „Venus und
leistungen heutiger Bühnendichtkunst,
Adonis' für die Bühne zu erschliessen,
doch sind es handwerkssichere Arbei-Thatte ich André Obey für einen höchst
ten eines einfallsreichen lönners, derunberufene Bearbeiter für „Richard
einer Reihe anderer Erfolgsautoren er¬
IIII. gehalten. Er hat jedoch das Ge¬
heblich überlegen ist. Der selbstgefäl¬
genteil bewiesen. Die Inszenierung des
lige Sacha Guitry, der augenblicklich
grandiosen Werkes durch Charles Dul¬
auf fünf pariser Bühnen gespielt wird, lin, die vor wenigen Tagen präsentiert
hat mit „Un Tour au Paradis“ (Ein worden ist, muss als der erste seriöse
Ausflug ins Paradies) bestimmt eine Versuch verzeichnet werden, der seit
seiner besten Leistungen der letzten Jahren durch eine französische Bühne
Jahre geliefert, die durch die Annehm- im Dienste Shakespeares unternommen
lichkeit noch gefördert wurde, den rei-worden ist. Du seine grossen Klassiker
zenden Victor Boucher und den feinen den Franzosen daran gewöhnt haben,
Jean Périer, statt des Autors und sei-Ihistorische Tragödien in rauschenden
ner jeweiligen Favoritin, als Hauptin- Versgewande und unter Respekt des
terpreten würdigen zu dürfen. Nicht aristotelischen Geestzes von den drei
mit Unrecht ist in französischen Zei-Einheiten an sich vorüberziehen zu se¬
tungen, anlässlich des bestrittenen Er-Uhen, ist dieser für die Prosafassung
folges, den Guitry jüngst in London einer Shakespearschen Bilderfolge an
gefunden hatte, auf die Gefahren hin- sich kein übermässig bereitwilliger
gewiesen worden, die für den Ruf des Würdiger, und ihre unzulängliche
französischen Theaters darin liegen, Mittlung führt gelegentlich sogar zu
dass dieser gewiss recht geistreiche, Heiterkeitserfolgen in den Massenster¬
doch überaus frivole Dilettant vor aller (beszenen; wenn es jedoch Männern wie
Welt als einer seiner berufensten und Dullin und Obey gelingt, das Wesent¬
charakteristischsten Vertreter zu gel-liche des Shakespeareschen Geistes zu
ten sucht. Ganz zweifellos ist er es im- fassen, zu deuten und von einer durch
mer noch weit eher als sein gehässiger
sie mitgerissenen Truppe weiterleiten
Feind Alfred Poznansky-Savoir, der
zu lassen, wie es im vorligenden Falle
zur Vorbereitung der Premieren seines
geschah, so ist ihr Verdienst so unge¬
jüngsten Schlüsselstücks, „Maria“, den l#öhnlich, dass es müssig wäre, im De¬
sonderbaren Weg gewählt hatte, den tail mit ihren dramaturgischen und re¬
greisen Antoine und eine Reihe ande¬
giatischen Eigenmächtigkeiten zu
rer Kritiker, die sein Talent nicht lie¬
rechten, da diese, im Gegensatze zu so
ben und nicht für französisch halten,
manchem, was zwischen 1918 und 19321
durch einen Aufsatz im Theatertage¬
in Deutschland als zeitgemässe Inter¬
blatt „Comoedia' anzurempeln.
pretation der Klassiker gegolten hat,
am Geiste Shakesepares keinerlei Ver¬
Das Hauptinteresse der bisherigen
Saison lag jedoch keineswegs bei den rat bedeuteten. Dullin, den-solbet den.
bisher genannten Ereignissen des Ta- Richard darstellerisch zu hoher Wir¬
ges zs lag erst recht nicht bei den ver- kung brachte, hatte fast sämtliche Rol¬
pfuschten Einstudierungen von Stemm-Ilen des Werkes vorzüglich besetzt, und
les „Kampf und Kitsch“, der den Pa¬ seine Regieleistung war stark genug,
risern völlig fremd geblieben ist, und um selbst die Belastung durch Wiadi¬
Tiebelei' für die sich das mir Sokoloffs abscheuliches Franzö¬
Schnitele
emo Pirdelf zu Unrecht eine Fün- sisch — er spielte den Buckingham —
stige Rückwirkung des grossen Film-und einen aus Rumänien stammenden
erfolges versprochen hatte. Die wich- Edouord nicht scheuen zu brauchen.
tigsten bisherigen Leistungen desWin- Der Erfolg dieser Vorstellung war aus¬
ters waren die Uraufführung der Tra-Vsergewöhnlich und völlig der Leistung
entsprechend.
gödie „Milmort' von Paul Demasy im
Dem „Richard III. im „Atelier'
Thédtre de POeupre’ und die Inszenie¬
#oird die „Comédie-Française“, statt
rung von Shakespeares „Richard III.°
„Romeo und Julia, das sie unüberbiet¬
im „Théütre de V' Atelier.
bar, mit Madeleine Renaud und Jean
Paul Demasy gehört zu jenen Dra¬
Weber besetzen könnte, demnächst
matikern in Frankreic“, deren Breiten¬
einen „Coriolan' folgen lassen, und
erfolg zu ihrer Bedeutung in keinerlei
Victor Barnowsky plant die Einstudie¬
Verhältnis steht. Dafür ist aber jedes
rung eines Shakespeareschen Lust¬
einzelne seiner Bühnenwerke eineDich¬
tung von erlesener inhaltlicher ung spiels in französischer Sprache. Neben
sprachlicher Schönheit, die sich dem anderen Erwartungen, die die begin¬
nende pariser Spielzeit hoffentlich er¬
oberflächlichen Betrachter jedoch, in
ihrer herben Sachlichkeit, nicht leicht füllen wird, verspricht sie demnach
erschliesst. Sowohl die „Tragödie Ale- auch zu dem Thema „Shakespeare im
randers', das Widerspiel zwischen heutigen Frankreich' wichtige Auf¬
H. u.
Philinn und Alerander von Mazedo-schlüsse zu liefern.