II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1976

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Liebel
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Großherzogliches Hoftheater.
„Liebelei“.
Schauspiel in 3 Akten von Artur Schnitzler.
Vorher:
„Jugendfreunde“.
Eine Szene von Felix Philippi.
Nachdem Schnitzlers „Liebelei“, mit dem der
Dichter 1895 seinen ersten und bisher echtesten gro¬
ßen Erfolg errang, über ein Jahrzehnt hindurch
das deutsche Bühnenrepertoire beherrscht hat, hat es
nunmehr seinen Weg in unsere Hofbühne gefunden.
Die Qualitäten des Werkes sind jedoch derartige,
daß sie mit der reichlich späten Aufführung aus¬
söhnen. In der „Liebelei“ behandelt Schnitzler das
Liebesverhältnis zweier junger Menschenkinder, von
denen das eine, Christine Weiring, die Tochter
eines alten Viölinspielers, von einer schlichten inni¬
gen Herzensneigung erfüllt ist, während das andere,
Fritz Lobheimer, ein junger Student aus wohl¬
habender Familie, die „Affäre“ nur als oberfläch¬
liche, zeitweilige Tändelei, als Liebelei betrachtet.
Sein Herz ist in unsiuniger Leidenschaft zu einer
Dame der Gesellschaft entbrannt, deren Gatte, als
#er sich als betrogen entdeckt, Lobheimer zur Rechen¬
schaft zieht und im Duell tötet. Christine erfährt
erst, nachdem er bereits unter der Erde ruht, den
Zusammenhang, den sie unbewußt geahnt hatte, und
die niederschmetternde Erkenntnis dessen, was sie
dem Geliebten nicht gewesen ist, treibt sie in den
Tod. Ein ergreifendes Stück Wirklichkeit hat hier
der Dichter aus dem Leben aufgegriffen und mit
der ihm eigenen liebevollen Gestaltungskunst ver¬
arbeitet. Christine ist eins jener armen glücks¬
hungernden Geschöpfe, die in storker, stolzer Liebe
aufblühen, aber den Veilchen gleich am Wege von
Leichtsinn und Unverstand zertreten werden. Für
sie ist diese Liebe höchste Hingabe, Wesenseinheit,
Leben, Glück, Opfer, Sein; was ihr der Geliebte
zurückgibt, nur Lustfahrt, empfindsame Episode,
Rausch, Schein. Solche Schicksale bietet das Leben
zu Hunderten, und unser Mitleid erwacht ange¬
sichts der stillen unbeachteten Wunden, die hier der
Dichter unbarmherzig und doch so liebevoll vor uns
aufdeckt. Dies Lied von der in ihrer Blüte geknick¬
ten Blume hal von Natur aus einen derart sent!
Te
r
mentalen Einschlag, daß es kein Wunder ist, wenn
Wenn trotzdem von Anfang an die mer
es uns auf der Bühne bisweilen allzu rührsam und
Stimmung überwog und das Wienerisch
wehleidig vorkommt. Zumal der Schluß des dritten
lieus allzu sehr in den Hintergrun
Aktes hat etwas Quälendes an sich, dessen Milde¬
wurde, so lag es unter anderem an de
Kanderwelsch, das auf der Bühne gespro
rung ganz in die Hände der Darstellerin der Chri¬
stine gegeben ist. Schnitzler hat sich einiger geschickt
und wienerisch sein sollte. Zumal Frau#
eingeflochtener Episoden bedient, um gegen die un¬
sprach einen Dialekt, wie man ihn etwa ##
vermeidliche Sentimentalität der Handlung ein
man die Donau von Donaueschingen übe
wirksames Gegengewicht zu schaffen. Da ist vor
und Wien bis Preßburg heruntergefahre
allem das fidele stimmungsvolle Abendessen auf
Künstlerin, die neulich in den „Helden
Lobheimers Bude, wo hinter dem ausgelassenen
erfreuliche Leistung bot, traf leider gest
übermut der Szene das tragische Verhängnis mit
arg daneben. Aus einem Vorzellanfigür
lastender Schwüle droht, und die reizende Szene in
sie eine Steingutpuppe, for Humor ma
der Wohnung des alten Violinspielers, wo Lob¬
robust und erkünstelt, mehr drastisch als
heimer zum letztenmal vor dem Duell alle Selig¬
fesch! Da sich an dieser Modistin das M
keiten dieser keuschen starken Mädchenliebe ent¬
sagen stets neu belebt, ist auf die Darstell
gegennimmt, in den vier Wänden, die eben diese
Rolle besonderer Wert zu legen. Die übr
Liebe so traut und heimlich macht. Über das ganze
steller sprachen teilweise wienerisch an
Drama hat Schnitzler jene echt wienerische Atw)¬
Hochdeutsch, das sich im Munde von Frl.#
sphäre ausgegossen, die heute lacht, morgen weint,
der die Christine anvertraut war, bes
wo das Leben leicht und graziös von der Oberfläche.
ausnahm. Die Künstlerin spielte den „ar
zu den Tiefen auf= und abgleitet, wo große Emp¬
Fratz“ so schlicht und natürlich, daß ihr
findungen wechseln mit leichten Spielereien. Die
lebenswahr und ergreifend vor uns auf
Wiener Volkspsyche, die Schnitzler so von Grund
der Szene des zweiten Aktes, als sie dem
auf erkannt und dramatisch gestaltet hat, lebt und
ihr kleines Heim und ihre große Liebe
webt auch in diesem Stücke und verleiht ihm einen
sie von einer liebenswerten Anmut u
eigenartigen Charme. Ihre typischen Vertreter sind
rauscht von all den Stimmen ihres lieb
eine übermütige, stets frohgelannte Modistin und
Herzens. Herr Illiger unterstrich
ein ebenso leichtblütiger Student, der erst an der
Lobheimer den melancholischen Grundt
Bahre des Freundes den Ernst des Lebens begreift.
allzu kräftig und störte daher erbeblich
Auch in Christine und Fritz Lobheimer prickelt jenes
mung des Soupers, in die er sich gewaltsc
leichte Wiener Blut — und das darf bei der Darstel¬
künstelter Fröhlichkeit hinelnversetzen so
lung dieser Rollen nicht unterdrückt werden —, aber
dem Augenblick aber, wo die Tragödie be
er echt und überzeugend. Herr Vollm
bei aller Lebenslust und Jugendfröhlichkeit dringt
den Freund recht matt und ohne stärker
doch ein sehnsüchtig=schwermütiger Grundton durch,
der zusammen mit der tragischen Kulisse des Hinter¬
brachte aber in den ersten Akt zusammen
grundes wie ein Schatten durch das Stück gleitet,
Erland frisch pulsierendes Leben. Im übri
die Leistung lebhafte Reminiszenze###
immer stärker und gebieterischer tönend, um end¬
lich in den tragischen Schlußakkord auszuklingen.
sor“ des Künstlers. Ausgezeichnet gab H#
chtvoll gelungen ist dem Dichter die Gestalt des
den alten Violinspieler, den er bereits
n Violinspielers, der ein Stück altes Wien in
mit großem Erfolge spielte. Besonders
stummen Spiel der Schlußszenen trat das
birgt, und die genannten Gegensätze der Cha¬
ere, die nur scheinbare sind, verbinden hilft. Die
Charakterisierungsvermögen des Künst
gie des Herrn Linsemann hatte sich bemüht,
eindrucksvollste hervor. Dem betrogen
lieh Herr Bauer einen starken dämon
es wienerische Helldunkel herauszubringen und
t den notwendigen Glanzlichtern auszustatten. der die unbeimliche Sphäre des Hin