II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 2005

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Liebelei
3. uch wennchuck

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hintereinander gespielt werden und einem ande
„Können Sie sich „Liebelei“ auf einer englischen mehr als eine Christine in London — wer weiß? Aber
reicheren Stücke den Weg versperren würde, #
eine typische Gestalt ist sie gewiß nicht. Bei euch hat sie
Bühne denken?“
dazu bestimmen, dem witzigen Autor von
tiefes Mitgefühl erregt, eine echte tragische Gestalt in der
„Das ist eben das Betrübende an dem Ver¬
Guckerl“ die bessere Bühne zu verweigern
anspruchslosesten Form von der Welt; bei uns würde sie,
gleiche. Ich kann nicht sagen, daß eure jungen
Director um hunderttausend Gulden zu bringe
sobald der junge Mann an ihrer Seite erscheint, Vor¬
Dramatiker mehr Talent besitzen als die unserigen, durch¬
kritische Scrupel sind bei euch Glücklichen nicht
stellungen von knallenden Champagnerpfropfen und anderen
aus nicht; unsere literarische Jugend steht, soweit ich aus
Man kann mit dem ruhigsten Gewissen
überlauten Aeußerungen von Lebensfreude erwecken. Mit
den Werken sehen kann, den Berliner und Wiener
sechsmal in der Woche „Comtesse Guckerl“ spie
anderen Worten: Christine auf dem Boden der höheren
Bühnenstürmern an Können nicht nach, Und doch ist ein
man in der Lage ist, das siebente Mal 2
Gesellschaftsschichten ist unmöglich. Christine als Tochter
Stück wie „Liebelei“ in englischer Sprache nicht zu
Gebot“ zu bieten“
des Volkes ist in unserer Phantasie nicht von ordinärer,
denken. Kein Engländer könnte es schreiben, kein Eng¬
„Wenn Sie das gemischte Repertoiré —
vulgärer Genußsucht zu trennen.“
länder könnte es aufführen lassen, kein Durchschnitts¬
das ist der technische Ausdruck — für ein solch
„Was haben Sie sonst an Theaterstücken in Wien
engländer könnte vom Herzen bei einer Aufführung
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halten, warum versuchen Sie es nicht, das
gesehen?“
applaudiren.“
„Das „Deutsche Volkstheater“, dessen Kräfte mir Theater in diesem Sinne zu reformiren?“
„Glauben Sie nicht, daß der Gegenstand selbst
Archer sah mich bei dieser Frage sehr
zum Theile von ihrem Londoner Gastspiele her bekannt
unenglisch ist, mit anderen Worten — nehmen Sie mir's
an; seine Gedanken, ins Wienerische übertrag
waren, fand ich eoenso lehrreich — für meine speeiellen
nicht übel! — daß die Thatsache der englischen Prüderie
gelautet: „Sie ahnungsvoller Engel, Sie!“
Zwecke — als amufant. Ich sah „Das vierte Gebot“ und
ganz allein, abgesehen von jeder Kunstübung und Kunst¬
drückte sich viel literarischer aus.
„Comtesse Guckerl“, eine zufällige Zusammenstellung, die
überlieferung, vollkommen ausreicht, um die Unmöglich¬
„Eben diese Frage habe ich auf meiner R#
wieder meinen allersündigsten Neid erweckte. Das roh¬
keit eines solchen Stückes zu begründen?“
in Berlin, wie in Wien, studirt.“
gezimmerte, fast kunstlos derbe, aber überaus mächtige
„Allerdings — auch der Stoff macht „Liebelei“ zu
„Das ist sehr interessant. Und sind S
Schauspiel mit seiner revolutionären Tendenz an dem
einem unübersetzbaren Stück, aber nicht weil wir prüder
Ergebnisse Ihrer Studienreise zufrieden?“
einen, die leichte, lustige, flotte. von keinerlei Gehalt be¬
sind als ihr, sondern weil unser Leben eine Gestalt wie
„Im Großen und Ganzen ja. Ich haben
schwerte Komödie am anderen Abend — es ist ja ein
Christine nicht erzeugt und nicht verträgt. Die
und Tag die ökonomische Seite des Theate
wahrer Hochgenuß, an einem und demselben Theater in
Intelligentesten unter unseren Zuschauern würden sagen:
Auge, weil ich das Gefühl habe, daß jede
derselben Woche zwei so vortreffliche Stücke sehen zu
Das sentimentale junge Ding scheint nach dem Leben
Reform des englischen Dramas unmöglich
können! Was ist der Director des Deutschen Volks¬
gezeichnet zu sein — welche seltsame, thörichte Art, diese
nicht die ökonomischen Grundbedingungen ande
theaters für ein beneidenswerther Mann! Wenn mir
Wiener Mädchen aus dem Volke!“
von diesem Gesichtspunkte aus habe ich die B
der Director eines besseren Londoner Theaters ein
„Sie berühren da einen sehr wesentlichen Punkt, in
Wiener Theater, das Berliner und Wiener
Lustspiel vom Kaliber der „Comtesse Guckerl“ vor¬
dem sich Wiener von Londoner Art unterscheidet. Meinen
beobachtet und meine Schlüsse gezogen!“
legte und mich um meine Wohlmeinung befragte,
Sie, daß eine Liebe wie die Christinens einem Londoner
„Sie machen mich sehr neugierig Hoffen
so würde ich aus einer Verlegenheit in die andere ge¬
Kinde nicht zuzumuthen ist?“
wir bald die Früchte Ihrer Studienreise sehen
rathen. Ich würde dem Londoner Theaterpublicum von
Archer überlegte.
„All in good time.“
Herzen gerne die harmlose Fröhlichkeit und dem Bühnen¬
„Das Leben ist so reich, so unendlich mannigfaltig,
London, im October.
daß es recht schwer ist, apodiktisch zu sagen: solche Dinge leiter den sicheren Cassenerfolg vergönnen; aber der Ge¬
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kommen vor oder kommen nicht vor. Vielleicht gibt es danke, daß das Lustspiel wahrscheinlich-dreihundert Abende!