TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Neue Freie Plesst, Hter
—7. AUG, 1938
vom:
ontag
Die Prinzessin aus Hernals.
Wien, 7. August.
Ein reizendes mutwilliges Mädchen von unverfälscht
hernalserischer Urwüchsigkeit, aber — wenn sie vornehm sein
will — mit den vollendeten Manieren einer kleinen Prin¬
zessin; das ist Herta H., der Liebling der Lehrerinnen und
Schülerinnen in der Bundeserziehungsanstalt in
Kalvarienberggasse und das besondere Herzblatt ihrer ver¬
götterten Lehrerin, der (Baronin) Maria Sch., einer der
hervorragendsten und gütigsten Pädagoginnen Wiens.
(Baronin) Sch. nimmt sich dieser auffallend hübschen und
hochbegabten Schülerin — Hextas zierlich pointierte Gedichte
machen in der Schule ebenso die Runde wie ihre Zeichnungen,
die ein starkes Talent verraten — Baronin Sch. nimmt sich
also dieser Schülerin mit besonderer Liebe an, weil sie weiß,
daß Herta, deren Eltern geschieden sind, keinrichtiges
Elternhaus hat. Uebrigens macht sich Herta keine
Gedanken darüber, sie ist wild wie ein Bub, im Schulgarten
klettert sie auf alle Bäume und ist bei jedem tollen Streich
dabei. Nur wenn ihre Kolleginnen von daheim erzählen,
kommt eine gewisse Schwermut über sie.
Als Achtzehnjährige verläßt sie das Internat, um zu
ihrer Mutter zu übersiedeln. Der Abschied vom Schulhaus
in der Kalvarienberggasse fällt ihr furchtbar schwer, aber sie
bleibt ja auch jetzt in der Nachbarschaft ihrer bisherigen
mit ihrer angeschwärmten Lehrerin
Heimat und
(Baronin) Sch. behält sie den innigsten Kontakt. Offenbar
ist die jahrelange Trennung daran schuld, daß sie sich zu
Hause unbehaglich fühlt. Es ist wahrscheinlich weder die
Schuld der Mutter noch die der Tochter, daß sie einander
ziemlich fremd bleiben. Herta, die sich als Angestellte ihr Brot
verdient, ist lustig und schwärmerisch, vereinigt also in ihrem
Wesen beide Komponenten des Wiener süßen Mädels, wie es
durch Arthur Schnitzler unsterblich geworden ist: sie ist
##nd Thristine zugleich. Als
Schlae
Zwanzigjährige orennt sie heimlich von zu Hause
urch und übersiedelt ins Mathildenheim der katholischen
auenorganisation beim Meidlinger Bahnhof. Sie teilt dem
ktor Sm. von der Vermiß nabteilung der Polizei¬
ition, der sich ihrer hilfsbereit annimmt, ihren Auf¬
altsort mit und weigert sich hartnäckig, nach Hause
ckzukehren. Etwa acht Monate bleibt sie im Mathilden¬
heim und gilt auch dort als die kleine Prinzessin. Bei dem
Kind einer Pensionsinhaberin auf der Währingerstraße be¬
kommt sie eine Stelle als Erzieherin. Mit ihrer Mutter ver¬
söhnt sie sich, bleibt aber bei ihrer Weigerung, wieder nach
Hause zu übersiedeln. Die kleine Durchbrennerin verbummelt
sich nicht, sondern erweitert ihre Bildung und sucht sich viel¬
seitige Kenntnisse anzueignen. Sie ist entschlossen, als berufs¬
tätige Frau ihren Weg zu machen. Da durchkreuzt die Liebe
ihre Pläne. Sie wird die Frau jenes Ernst A., von dessen
tapferem Versuch, sich trotz seiner körperlichen Behinderung
durch eine Lähmung, in einem Wiener Schwimmbad als
Goalgameschiedsrichter eine Existenz zu schaffen, hier bereits
berichtet wurde.
Wie die dreiundzwanzigjährige Herta, die auch in der
Gonzagagasse die Prinzessin aus Hernals geblieben ist, hat
auch die um zwei Jahre jüngere Franzi B. schon ihren
Roman erlebt. Auch dieses blendend schöne Mäd¬
chen, das einer angesehenen Wiener Familie entstammt, ist
vor etwa zwei Jahren aus ihrem Elternhause
durchgebrannt, um zum Film zu gehen. Sie
fuhr nach Paris, wo sie eine Filmschule besuchen wollte.
Ihren verzweifelten Eltern sandte sie aus Paris eine
Ansichtskarte: „Macht euch meinetwegen keine Sorgen. Ich
Liebelei
box 13/8
5. B
Neue Freie Presse
werde mich schon durchsetzen. Es küßt euch eure
Franzi.“
In Paris aber kam schnell die Ernüchterung über die
bezaubernde junge Wienerin. Wohlmeinende Mitglieder der
die übrigens von
österreichischen Kolonie rieten Franzi
ihren zärtlich besorgten Eltern reichlich mit Geldmitteln
unterstützt wurde — auf die immerhin recht vage Film¬
karriere zu verzichten. Obwohl sie Ausländerin ist, gelang es
ihr, in einem Pariser Modeatelier eine aus¬
gezeichnete Stellung eu finden. Kürzlich hat
sie ihren Urlaub bei ihren glückstrahlenden Eltern in Wien
verbracht. So hat sich auch diese schöne Außreißerin, die ihren
Angeyörigen viele schlaflose Nächte bereitet hat, eine
geachtete bürgerliche Existenz geschaffen.
Ausschnitt aus:
Neue Freie Plesst, Hter
—7. AUG, 1938
vom:
ontag
Die Prinzessin aus Hernals.
Wien, 7. August.
Ein reizendes mutwilliges Mädchen von unverfälscht
hernalserischer Urwüchsigkeit, aber — wenn sie vornehm sein
will — mit den vollendeten Manieren einer kleinen Prin¬
zessin; das ist Herta H., der Liebling der Lehrerinnen und
Schülerinnen in der Bundeserziehungsanstalt in
Kalvarienberggasse und das besondere Herzblatt ihrer ver¬
götterten Lehrerin, der (Baronin) Maria Sch., einer der
hervorragendsten und gütigsten Pädagoginnen Wiens.
(Baronin) Sch. nimmt sich dieser auffallend hübschen und
hochbegabten Schülerin — Hextas zierlich pointierte Gedichte
machen in der Schule ebenso die Runde wie ihre Zeichnungen,
die ein starkes Talent verraten — Baronin Sch. nimmt sich
also dieser Schülerin mit besonderer Liebe an, weil sie weiß,
daß Herta, deren Eltern geschieden sind, keinrichtiges
Elternhaus hat. Uebrigens macht sich Herta keine
Gedanken darüber, sie ist wild wie ein Bub, im Schulgarten
klettert sie auf alle Bäume und ist bei jedem tollen Streich
dabei. Nur wenn ihre Kolleginnen von daheim erzählen,
kommt eine gewisse Schwermut über sie.
Als Achtzehnjährige verläßt sie das Internat, um zu
ihrer Mutter zu übersiedeln. Der Abschied vom Schulhaus
in der Kalvarienberggasse fällt ihr furchtbar schwer, aber sie
bleibt ja auch jetzt in der Nachbarschaft ihrer bisherigen
mit ihrer angeschwärmten Lehrerin
Heimat und
(Baronin) Sch. behält sie den innigsten Kontakt. Offenbar
ist die jahrelange Trennung daran schuld, daß sie sich zu
Hause unbehaglich fühlt. Es ist wahrscheinlich weder die
Schuld der Mutter noch die der Tochter, daß sie einander
ziemlich fremd bleiben. Herta, die sich als Angestellte ihr Brot
verdient, ist lustig und schwärmerisch, vereinigt also in ihrem
Wesen beide Komponenten des Wiener süßen Mädels, wie es
durch Arthur Schnitzler unsterblich geworden ist: sie ist
##nd Thristine zugleich. Als
Schlae
Zwanzigjährige orennt sie heimlich von zu Hause
urch und übersiedelt ins Mathildenheim der katholischen
auenorganisation beim Meidlinger Bahnhof. Sie teilt dem
ktor Sm. von der Vermiß nabteilung der Polizei¬
ition, der sich ihrer hilfsbereit annimmt, ihren Auf¬
altsort mit und weigert sich hartnäckig, nach Hause
ckzukehren. Etwa acht Monate bleibt sie im Mathilden¬
heim und gilt auch dort als die kleine Prinzessin. Bei dem
Kind einer Pensionsinhaberin auf der Währingerstraße be¬
kommt sie eine Stelle als Erzieherin. Mit ihrer Mutter ver¬
söhnt sie sich, bleibt aber bei ihrer Weigerung, wieder nach
Hause zu übersiedeln. Die kleine Durchbrennerin verbummelt
sich nicht, sondern erweitert ihre Bildung und sucht sich viel¬
seitige Kenntnisse anzueignen. Sie ist entschlossen, als berufs¬
tätige Frau ihren Weg zu machen. Da durchkreuzt die Liebe
ihre Pläne. Sie wird die Frau jenes Ernst A., von dessen
tapferem Versuch, sich trotz seiner körperlichen Behinderung
durch eine Lähmung, in einem Wiener Schwimmbad als
Goalgameschiedsrichter eine Existenz zu schaffen, hier bereits
berichtet wurde.
Wie die dreiundzwanzigjährige Herta, die auch in der
Gonzagagasse die Prinzessin aus Hernals geblieben ist, hat
auch die um zwei Jahre jüngere Franzi B. schon ihren
Roman erlebt. Auch dieses blendend schöne Mäd¬
chen, das einer angesehenen Wiener Familie entstammt, ist
vor etwa zwei Jahren aus ihrem Elternhause
durchgebrannt, um zum Film zu gehen. Sie
fuhr nach Paris, wo sie eine Filmschule besuchen wollte.
Ihren verzweifelten Eltern sandte sie aus Paris eine
Ansichtskarte: „Macht euch meinetwegen keine Sorgen. Ich
Liebelei
box 13/8
5. B
Neue Freie Presse
werde mich schon durchsetzen. Es küßt euch eure
Franzi.“
In Paris aber kam schnell die Ernüchterung über die
bezaubernde junge Wienerin. Wohlmeinende Mitglieder der
die übrigens von
österreichischen Kolonie rieten Franzi
ihren zärtlich besorgten Eltern reichlich mit Geldmitteln
unterstützt wurde — auf die immerhin recht vage Film¬
karriere zu verzichten. Obwohl sie Ausländerin ist, gelang es
ihr, in einem Pariser Modeatelier eine aus¬
gezeichnete Stellung eu finden. Kürzlich hat
sie ihren Urlaub bei ihren glückstrahlenden Eltern in Wien
verbracht. So hat sich auch diese schöne Außreißerin, die ihren
Angeyörigen viele schlaflose Nächte bereitet hat, eine
geachtete bürgerliche Existenz geschaffen.