Ausschnitt aus:
Liebelei
5. J
vom:
Die Eiterater, Stenga
F3
Der Ton im Film
Von Gerd Eckert (Dresden)
Wir veröffentlichen hier eines der zahlreichen Manu¬
stripte, die uns als Diskussionsstoff zu dem Aufsatz
von Wilhelm Heise (Augustheft) zugegangen sind.
Die künstlerischen Ausdrucksformen des Films ent¬
werden. Denn einmal ist die Fülle der Geräusche,
die in der Wirklichkeit stets hörbar sind, zu groß;
stehen wesentlich aus der subjektiv gefärbten Wie¬
zum anderen ist das Mikrophon für die Aufnahme
dergabe einer Handlung und müssen mit dem Stoff
entfernter leiser Geräusche, wie wir sie unaufhörlich
zu einer Einheit zusammenfließen. Auf dem Ge¬
vernehmen, nicht empfindlich genug; und schließlich
biet des Optischen sind diese Formen schon im
liegt eben in der Notwendigkeit der Auswahl das
stummen Film erkannt und angewendet worden.
grundsätzliche künstlerische Wirkungselement des
Der Ton dagegen ist sowohl praktisch als auch
Tons. Nach der hemmungslosen Freude an Ge¬
theoretisch als Stilmoment vorläufig recht nach¬
lässig behandelt worden. Seine wirkliche Bedeu¬
räuschen aller Art in den ersten Tonfilmen begann
man allmählich, auf gewisse selbstverständliche
tung und seine Möglichkeiten für den Tonfilm al¬
Laute wie Fußtritte oder das Schließen einer Tür
Kunst wurden bisher kaum erkannt.
zu verzichten. Über diese erste Stufe der Erkenntnis
Das Ziel bei jeder Kunstübung besteht darin, daß die
ist man bis jetzt kaum hinausgekommen. Wort und
ihr eigentümlichen Ausdrucksmittel so rein und
Musik — und zwar ungestaltet — kennzeichnen
charakteristisch wie möglich angewendet werden.
heute den Tonfilm. Wann und in welchem Umfang
Das bedeutet für den Tonfilm, daß er (wo er
Gerärsche gegeben und Wort und Musik zu wirk¬
eigengesetzliche Kunst sein will!) Wort und Musik,
licher Einheit mit dem Bild gebracht werden
die er doch mit Drama und Oper gemeinsam hat,
müssen — darüber herrscht vollkommene Unklarheit.
in seinen Zusammenhang einfügt und unter
Grundsätzlich wegzulassen sind Geräusche, die für
seinen Bedingungen neu gestaltet. Was den Film
das Wesen der Handlung ohne Bedeutung sind: Fu߬
wesentlich von Drama und Oper unterscheidet, ist
tritte, Türenschließen, Uhrenticken, Stuhlrücken.
die Vorherrschaft und gesteigerte Ausnützung des
Erfordert eine solche Szene eines Dialogs wegen
Optischen. Der Ton wird also nur unter Beziehung
die Tonaufnahme, so werden diese Geräusche na¬
auf das Bild behandelt werden können. Damit
türlich mit aufgenommen, sie werden aber ent¬
scheidet photographiertes Theater aller Art aus der
sprechend leise und deshalb bedeutungslos sein. Ist
Betrachtung aus, denn hier wird die Gestaltungs¬
dagegen das Geräusch in einem bestimmten Fall
kraft des Optischen notwendig vernachlässigt. Auch
von Wichtigkeit, so wird es als Großaufnahme
der Gesangsfilm, bei dem der Ton so überaus im
gegeben. In „Morgen beginnt das Leben“ wird
Vordergrund steht, führt die Kunst des Tonfilms in
eine ganze Szene vom überlauten Ticken eines
keiner Weise vorwärts. (Möglich wäre das nur etwa
Weckers übermalt. In „Moral und Liebe“ sind die
bei folgender Auffassung: Der Gesang eines
Schritte des Mannes besonders laut, um seine Er¬
Sängers, durch Radio und Grammophon vermit¬
regung zu charakterisieren. Steht das Geräusch mit
telt, wird für einige Menschen zum Schicksal und
dem Bild in selbstverständlichem Zusammenhang,
geht als Leitmotiv durch den ganzen Film, ohne
so wird es gegeben: Offnen eines Briefes, Re¬
daß der Sänger selbst auftritt.) Die Lösung des
volverschuß, Händeklatschen. Es könnte hier nur
Tonproblems ist auch nicht möglich durch eine ein¬
weggelassen werden, wenn die Handlung außerhalb
seitige Beschränkung, wie sie mit den Schlagwor¬
des Mittelpunkts der Aufmerksamkeit steht oder die
ten „Sprechfilm“, „Dialogfilm“, „Geräuschfilm“.
Szene durch Musik untermalt ist.
„Gesangsfilm“ nahegelegt wird. Sie kann nur durch
Die Musik pflegt heute aus jeder Verlegenheit zu
Ausgestaltung und Zusammenfassung aller einzelnen
helfen und stets dort einzuspringen, wo die Ge¬
Stilelemente wie Wort, Musik, Geräusch erfolgen.
staltungskraft des Regisseurs am Ende ist. An dieser
Wichtigstes Prinzip ist dabei die Auswohl. Auf der
Häufung der Musik ist einmal die technisch größere
optischen Seite gibt es stets eine Anzahl Total¬
Vollkommenheit der Musikwiedergabe schuld, dann
aufnahmen, beim Ton muß ganz auf sie verzichtet
K 151 2
box 13/8
Liebelei
5. J
vom:
Die Eiterater, Stenga
F3
Der Ton im Film
Von Gerd Eckert (Dresden)
Wir veröffentlichen hier eines der zahlreichen Manu¬
stripte, die uns als Diskussionsstoff zu dem Aufsatz
von Wilhelm Heise (Augustheft) zugegangen sind.
Die künstlerischen Ausdrucksformen des Films ent¬
werden. Denn einmal ist die Fülle der Geräusche,
die in der Wirklichkeit stets hörbar sind, zu groß;
stehen wesentlich aus der subjektiv gefärbten Wie¬
zum anderen ist das Mikrophon für die Aufnahme
dergabe einer Handlung und müssen mit dem Stoff
entfernter leiser Geräusche, wie wir sie unaufhörlich
zu einer Einheit zusammenfließen. Auf dem Ge¬
vernehmen, nicht empfindlich genug; und schließlich
biet des Optischen sind diese Formen schon im
liegt eben in der Notwendigkeit der Auswahl das
stummen Film erkannt und angewendet worden.
grundsätzliche künstlerische Wirkungselement des
Der Ton dagegen ist sowohl praktisch als auch
Tons. Nach der hemmungslosen Freude an Ge¬
theoretisch als Stilmoment vorläufig recht nach¬
lässig behandelt worden. Seine wirkliche Bedeu¬
räuschen aller Art in den ersten Tonfilmen begann
man allmählich, auf gewisse selbstverständliche
tung und seine Möglichkeiten für den Tonfilm al¬
Laute wie Fußtritte oder das Schließen einer Tür
Kunst wurden bisher kaum erkannt.
zu verzichten. Über diese erste Stufe der Erkenntnis
Das Ziel bei jeder Kunstübung besteht darin, daß die
ist man bis jetzt kaum hinausgekommen. Wort und
ihr eigentümlichen Ausdrucksmittel so rein und
Musik — und zwar ungestaltet — kennzeichnen
charakteristisch wie möglich angewendet werden.
heute den Tonfilm. Wann und in welchem Umfang
Das bedeutet für den Tonfilm, daß er (wo er
Gerärsche gegeben und Wort und Musik zu wirk¬
eigengesetzliche Kunst sein will!) Wort und Musik,
licher Einheit mit dem Bild gebracht werden
die er doch mit Drama und Oper gemeinsam hat,
müssen — darüber herrscht vollkommene Unklarheit.
in seinen Zusammenhang einfügt und unter
Grundsätzlich wegzulassen sind Geräusche, die für
seinen Bedingungen neu gestaltet. Was den Film
das Wesen der Handlung ohne Bedeutung sind: Fu߬
wesentlich von Drama und Oper unterscheidet, ist
tritte, Türenschließen, Uhrenticken, Stuhlrücken.
die Vorherrschaft und gesteigerte Ausnützung des
Erfordert eine solche Szene eines Dialogs wegen
Optischen. Der Ton wird also nur unter Beziehung
die Tonaufnahme, so werden diese Geräusche na¬
auf das Bild behandelt werden können. Damit
türlich mit aufgenommen, sie werden aber ent¬
scheidet photographiertes Theater aller Art aus der
sprechend leise und deshalb bedeutungslos sein. Ist
Betrachtung aus, denn hier wird die Gestaltungs¬
dagegen das Geräusch in einem bestimmten Fall
kraft des Optischen notwendig vernachlässigt. Auch
von Wichtigkeit, so wird es als Großaufnahme
der Gesangsfilm, bei dem der Ton so überaus im
gegeben. In „Morgen beginnt das Leben“ wird
Vordergrund steht, führt die Kunst des Tonfilms in
eine ganze Szene vom überlauten Ticken eines
keiner Weise vorwärts. (Möglich wäre das nur etwa
Weckers übermalt. In „Moral und Liebe“ sind die
bei folgender Auffassung: Der Gesang eines
Schritte des Mannes besonders laut, um seine Er¬
Sängers, durch Radio und Grammophon vermit¬
regung zu charakterisieren. Steht das Geräusch mit
telt, wird für einige Menschen zum Schicksal und
dem Bild in selbstverständlichem Zusammenhang,
geht als Leitmotiv durch den ganzen Film, ohne
so wird es gegeben: Offnen eines Briefes, Re¬
daß der Sänger selbst auftritt.) Die Lösung des
volverschuß, Händeklatschen. Es könnte hier nur
Tonproblems ist auch nicht möglich durch eine ein¬
weggelassen werden, wenn die Handlung außerhalb
seitige Beschränkung, wie sie mit den Schlagwor¬
des Mittelpunkts der Aufmerksamkeit steht oder die
ten „Sprechfilm“, „Dialogfilm“, „Geräuschfilm“.
Szene durch Musik untermalt ist.
„Gesangsfilm“ nahegelegt wird. Sie kann nur durch
Die Musik pflegt heute aus jeder Verlegenheit zu
Ausgestaltung und Zusammenfassung aller einzelnen
helfen und stets dort einzuspringen, wo die Ge¬
Stilelemente wie Wort, Musik, Geräusch erfolgen.
staltungskraft des Regisseurs am Ende ist. An dieser
Wichtigstes Prinzip ist dabei die Auswohl. Auf der
Häufung der Musik ist einmal die technisch größere
optischen Seite gibt es stets eine Anzahl Total¬
Vollkommenheit der Musikwiedergabe schuld, dann
aufnahmen, beim Ton muß ganz auf sie verzichtet
K 151 2
box 13/8