Liebelei
5. Lieseler box 13/8
Rapten 961.
1
„OBSERVER“
1. Uaterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausechnltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianis,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolie,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ahrs dswülI.
Ausschnitt aus:
4
mescne Rundschau, Berlig
Sidenn er zu sich selbst zurückgefunden hal, noch Erstemiches Listeln.
Ja, die Modeströmungen! Ihnen verdanken wir auch ein so völlig verfehltes
2=Stück wie die Vermusizierung von Schnitzlers „Liebelei“ durch Franz Neumann.
Nach berühmten, aber nicht nachahmenswerken Mustern hat er über dies Prosa¬
stück ein musikalisches Mäntelchen gebreitet, das hier nur eine Funktion erfüllt:
das Spiel ungebührlich zu verlängern, die Konversation schwer verständlich zu
machen — kurz, das Interesse, welches das Schauspiel erwecken könnte, abzutöten
und das Ganze zu verlangweilen. Ob der Tonsatz talentvoll ist oder nicht, ist bei
dieser Sachlage ziemlich belanglos. Möchten die Komponisten doch endlich ein¬
sehen, daß die Musik andere Aufgaben hat, als zu irgend welchen Bühnenvorgängen
mehr oder minder passende, mehr oder weniger harmonische Geräusche auszuführen.
Das macht eben die „Königskinder“ Humperdincks so sympathisch, daß hier ein
wahrhafter, warmblütiger Musiker, der genau die Fähigkeiten und Grenzen seiner
Kunst kennt, immer dort mit ihr einsetzt, wo sie wirtlich ihre Kräfte zeigen kann,
und sie zurücktreten läßt, wo sie nur koloristisch zu wirken vermag.
G
Auf Hans Greaor folate Hermann Gunanale. Leit#n
Ae
Ju. 4/ (Das Recht auf Glück. (/679, predigt, ist in der That überraschend. Ich begreife, daß ein anwendung, diem
altes Mädchen dadurch in Aufregung geräth. Ich verstehe Erzähler ob
auch die Frage der Briefschreiberin, ob dieser Professor bekanntlic
Vor mir liegt ein seltsamer Briefbogen: blau=grün
gewisses
schillernd, an den Rändern arabeskenartig geschwungene Recht habe? Es ist, wie man sieht, eine sehr heikle Frage,
Linien und oben an der Schmalseite irgend ein fabelhaftes die man zu bejahen befürchtet, weil man sonst den Verdacht grinst,
auf sen
Unthier, ein Greif oder ein Pegasus — also das Erzeugniß heraufbeschwört, als ob man der freien Liebe das Wort
eines sezessionistisch angeregten Papierfabrikanten. Ebenso reden wollte. Aber auch ein kategorisches Nein mag mir
feltsam ist das, was mir aus dieser wunderlichen Um= nicht aus der Feder schlüpfen. Die beste Antwort darauf kom
Fa
rahmung entgegenspringt mit Schriftzügen, die bald kräftig ist wohl die, daß man ein wenig im Leben Umschau hält
und keck aufgetragen und dann wieder fahrig und zittrig und dann auch in jenen Dichtungen, aus denen die Forde¬
huld
dahingekritzelt erscheinen. Die anonyme Schreiberin dieses rungen der Zeit am tiefsten hervortönen.
des
Briefes ist ein Mädchen, ein verbittertes, altes Mädchen,
ist
Was sehen wir nun im Leben? Daß die extreme
wie sie selbst gesteht, die in einer intimen Gewissensfrage
der
Forderung des Professors Haushofer in den unteren
Bescheid haben möchte. Ein Büchlein des Münchener
damit
Volksschichten seine Erfüllung bereits gefunden. Das, was
Universitätsprofessors Max Haushofer ist ihr nämlich in
alte M
uns so ungeheuerlich dünkt, ist hier eine alltägliche Er¬
die Hände gerathen. Die Lektüre dieses Büchleins, das die
Tochter
scheinung. Das Mädchen aus dem Volke besitzt nicht jene
Ehefrage im Deutschen Reich behandelt, hat sie tief erregt.
t das
die Lieb
angezüchtete moralische Feinfühligkeit, wie ihre Schwester
Ein ernster Mann der Wissenschaft bekundet hier den Muth,
ürlich. Warun
Inzuwender
aus der besitzenden Klasse. Es steht nicht in dem Maße
eine Forderung zu erheben, die einen sittlich revolutionären
itzt dahinwelken
seine Tochter
wie diese unter einem gesellschaftlichen Bann. Es fürchtet
Charakter hat. Er spricht es ungescheut aus, daß es an
Warum sollte sie nicht das tiefste Glück auskosten, das
keinen sozialen Boykott. Es darf sich gehen lassen, dem
der Zeit sei, mit dem alten Vorurtheil zu brechen, wonach
dem Weibe beschieden ist? Warum sollte sie auf einen
Zug des Herzens und seinem Temperament folgen. Daher
ein Mädchen, das sitzen geblieben, sein Recht auf Glück,
Strumpfwirker warten und darüber grau und runzelig
denn auch im Hinterhause, wie Sudermann in der „Ehre“.
auf Liebe für immer verscherzt habe. Er verlangt im
werden? Sie wartet auch nicht. O nein. Sie liebelt un¬
Gegentheil, daß man jedem Mädchen, wenn es ein gewisses so anschaulich gezeigt hat, der Ehrbegriff gar oft einen
bedenklich. Ihre Freundin verschmäht es sogar nicht, mit
Alter überschritten und keinen Mann gefunden, gönnen ganz anderen Inhalt hat als im Vorderhause. Aber gerade
Vertretern der verschiedensten Waffengattungen zu liebeln.
möge, sich seinen Antheil am Glück in der Weise zu deshalb wurde ja der Gesellschaft der Prozeß gemacht.
sichern, wie es ihr beliebt. Diese Weisheit, die sich Gerade deshalb hat man heftige Anklagen gegen sie er¬ Diese Mädchen sichern sich also, jedes in seiner Weise,
ihren Antheil am Liebesglück. Sie thun dies kraft jenes
hoben. Man stellte die sittliche Verkommenheit der Mädchen
nicht in einem weitschichtigen philosophischen Werke ver¬
aus den niederen Volksklassen als nothwendige Folge= höheren Rechtes, das über die landläufige Moral erhaben.
birgt, sondern aus einer auf Massenabsatz berechneten
Augschrift blühende Lebensfreude mit keckem Wagemuth erscheinung des Elends und der Noth hin. Die Nutz= In gleicher Weise wie hier finden wir in dem Schauspiele
5. Lieseler box 13/8
Rapten 961.
1
„OBSERVER“
1. Uaterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausechnltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianis,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolie,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ahrs dswülI.
Ausschnitt aus:
4
mescne Rundschau, Berlig
Sidenn er zu sich selbst zurückgefunden hal, noch Erstemiches Listeln.
Ja, die Modeströmungen! Ihnen verdanken wir auch ein so völlig verfehltes
2=Stück wie die Vermusizierung von Schnitzlers „Liebelei“ durch Franz Neumann.
Nach berühmten, aber nicht nachahmenswerken Mustern hat er über dies Prosa¬
stück ein musikalisches Mäntelchen gebreitet, das hier nur eine Funktion erfüllt:
das Spiel ungebührlich zu verlängern, die Konversation schwer verständlich zu
machen — kurz, das Interesse, welches das Schauspiel erwecken könnte, abzutöten
und das Ganze zu verlangweilen. Ob der Tonsatz talentvoll ist oder nicht, ist bei
dieser Sachlage ziemlich belanglos. Möchten die Komponisten doch endlich ein¬
sehen, daß die Musik andere Aufgaben hat, als zu irgend welchen Bühnenvorgängen
mehr oder minder passende, mehr oder weniger harmonische Geräusche auszuführen.
Das macht eben die „Königskinder“ Humperdincks so sympathisch, daß hier ein
wahrhafter, warmblütiger Musiker, der genau die Fähigkeiten und Grenzen seiner
Kunst kennt, immer dort mit ihr einsetzt, wo sie wirtlich ihre Kräfte zeigen kann,
und sie zurücktreten läßt, wo sie nur koloristisch zu wirken vermag.
G
Auf Hans Greaor folate Hermann Gunanale. Leit#n
Ae
Ju. 4/ (Das Recht auf Glück. (/679, predigt, ist in der That überraschend. Ich begreife, daß ein anwendung, diem
altes Mädchen dadurch in Aufregung geräth. Ich verstehe Erzähler ob
auch die Frage der Briefschreiberin, ob dieser Professor bekanntlic
Vor mir liegt ein seltsamer Briefbogen: blau=grün
gewisses
schillernd, an den Rändern arabeskenartig geschwungene Recht habe? Es ist, wie man sieht, eine sehr heikle Frage,
Linien und oben an der Schmalseite irgend ein fabelhaftes die man zu bejahen befürchtet, weil man sonst den Verdacht grinst,
auf sen
Unthier, ein Greif oder ein Pegasus — also das Erzeugniß heraufbeschwört, als ob man der freien Liebe das Wort
eines sezessionistisch angeregten Papierfabrikanten. Ebenso reden wollte. Aber auch ein kategorisches Nein mag mir
feltsam ist das, was mir aus dieser wunderlichen Um= nicht aus der Feder schlüpfen. Die beste Antwort darauf kom
Fa
rahmung entgegenspringt mit Schriftzügen, die bald kräftig ist wohl die, daß man ein wenig im Leben Umschau hält
und keck aufgetragen und dann wieder fahrig und zittrig und dann auch in jenen Dichtungen, aus denen die Forde¬
huld
dahingekritzelt erscheinen. Die anonyme Schreiberin dieses rungen der Zeit am tiefsten hervortönen.
des
Briefes ist ein Mädchen, ein verbittertes, altes Mädchen,
ist
Was sehen wir nun im Leben? Daß die extreme
wie sie selbst gesteht, die in einer intimen Gewissensfrage
der
Forderung des Professors Haushofer in den unteren
Bescheid haben möchte. Ein Büchlein des Münchener
damit
Volksschichten seine Erfüllung bereits gefunden. Das, was
Universitätsprofessors Max Haushofer ist ihr nämlich in
alte M
uns so ungeheuerlich dünkt, ist hier eine alltägliche Er¬
die Hände gerathen. Die Lektüre dieses Büchleins, das die
Tochter
scheinung. Das Mädchen aus dem Volke besitzt nicht jene
Ehefrage im Deutschen Reich behandelt, hat sie tief erregt.
t das
die Lieb
angezüchtete moralische Feinfühligkeit, wie ihre Schwester
Ein ernster Mann der Wissenschaft bekundet hier den Muth,
ürlich. Warun
Inzuwender
aus der besitzenden Klasse. Es steht nicht in dem Maße
eine Forderung zu erheben, die einen sittlich revolutionären
itzt dahinwelken
seine Tochter
wie diese unter einem gesellschaftlichen Bann. Es fürchtet
Charakter hat. Er spricht es ungescheut aus, daß es an
Warum sollte sie nicht das tiefste Glück auskosten, das
keinen sozialen Boykott. Es darf sich gehen lassen, dem
der Zeit sei, mit dem alten Vorurtheil zu brechen, wonach
dem Weibe beschieden ist? Warum sollte sie auf einen
Zug des Herzens und seinem Temperament folgen. Daher
ein Mädchen, das sitzen geblieben, sein Recht auf Glück,
Strumpfwirker warten und darüber grau und runzelig
denn auch im Hinterhause, wie Sudermann in der „Ehre“.
auf Liebe für immer verscherzt habe. Er verlangt im
werden? Sie wartet auch nicht. O nein. Sie liebelt un¬
Gegentheil, daß man jedem Mädchen, wenn es ein gewisses so anschaulich gezeigt hat, der Ehrbegriff gar oft einen
bedenklich. Ihre Freundin verschmäht es sogar nicht, mit
Alter überschritten und keinen Mann gefunden, gönnen ganz anderen Inhalt hat als im Vorderhause. Aber gerade
Vertretern der verschiedensten Waffengattungen zu liebeln.
möge, sich seinen Antheil am Glück in der Weise zu deshalb wurde ja der Gesellschaft der Prozeß gemacht.
sichern, wie es ihr beliebt. Diese Weisheit, die sich Gerade deshalb hat man heftige Anklagen gegen sie er¬ Diese Mädchen sichern sich also, jedes in seiner Weise,
ihren Antheil am Liebesglück. Sie thun dies kraft jenes
hoben. Man stellte die sittliche Verkommenheit der Mädchen
nicht in einem weitschichtigen philosophischen Werke ver¬
aus den niederen Volksklassen als nothwendige Folge= höheren Rechtes, das über die landläufige Moral erhaben.
birgt, sondern aus einer auf Massenabsatz berechneten
Augschrift blühende Lebensfreude mit keckem Wagemuth erscheinung des Elends und der Noth hin. Die Nutz= In gleicher Weise wie hier finden wir in dem Schauspiele