II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 2

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4. Anat
A en en e
ein doch auch Tolstoj, wenn er sich den Angehörigen der Massen
gleichachtet. Warum aber sollle man den Traum stark ethisch
von
veranlagter Menschen, daß der auf der Höhe der Bildung
ittelten
stehende Geist und das naive Gemüth eine und dieselbe
setzen,
Potenz sind, stören wollen? Auch an Renan's milde, un¬
befangene Weisheit hat uns Lorm's Buch erinnert, welches
eu, nie
in Stunden der Sammlung gelesen zu werden verdient.
denden
Und von der Muse des Glücks gehen wir zu ¬
„Anatol“ von Arthur Schnitzler (Berlin, Biblio¬
grophisches Bureau) über. Ein eigenthümlicher Duft, ein merk¬
sind
würdiges Gemenge von französischem Parfum, von würzigem

Hauche frischgepflückter poetischer Blüthen und von —
Helio¬
starlem Tabak schlägt uns aus den Blättern dieses dünnen
format
Bändchens entgegen, womit der Sohn des bekannten
Bände
Professors Dr. Schnitzler heuer debutirt. In den kleinen
200 fl.
dialogisirten Skizzen, die hier aneinandergereiht sind, wird
mit Grazie ein Thema varüirt, das wohl manchen Leser
phische
schon in Mürger's berühmtem „Zigennerleben“ und in
perial¬
Mussel'schen Proverbes ergötzt und zugleich gerührt hat:
Aus¬
die Geschichte flüchtiger Grisettenliebschaften, leicht geknüpfter
ien in
und leicht gelöster Verhältnisse, kurzer Liebesfrenden und
schuell geheilter Trennungsschmerzen. Originell und echt
fl. —
Wienerischem Grunde entsprossen ist die Gestalt des Helden
zuren.
dieser ungefährlichen Herzensabenteuer, des ebenso liebenk¬
würdigen wie frivolen, ebenso ungezogenen wie graziösen
Anatol.
Preis
Die Kulturbilder aus Rußland: „In der Steppe“
von M. Bohrmann (Dresden, E. Pierson's Verlag)
i des
sind mit unverkennbarer Liebe zum Gegenstande geschrieben.
suliusverrathen indeß en sehr den
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Nr. 351
Fremndel
Wien, Montag „
Bücher.
„Anatol“ von Arthur Schnitzler. Unter dem schlichten Gesammttitel
bergen sich sieben Einakter, von denen die einen zierliche Miniaturen, die
anderen fein abgetönte Sittenbilder aus dem modernen Wiener Leben sind.
Die Vorzege, die in diesen kleinen Kunstwerken entfaltet werden, sind seltene:
sie stellen den Autor füglich in den ersten Rang der jungen österreichischen
Belletristen. Sichere und scharfe Lebensbeobachtung, freier und frischer Humor,
abe origineller Erfindung, vor Allem aber eine geistvolle und reine Form¬
, das sind die Eigenschaften, die sich in dem anmuthigen Büchlein be¬
t neben dem Lichte nicht der Schatten. Die vorgeführten
n. Freilich
mslos der eleganten und galanten Lebewelt au; wenn
en gehö
icht nicht einwandfrei sind, so versöhnen sie doch durch
holie, welche bekundet, daß diese Seelen, so sehr sie auch
ichtsi
en, in ihm doch kein inneres Genügen finden. Die
chnitzler's haben nichts Französisches an sich. Von ihnen
akterzei
einen. Vorstadtmädchen sagt: „sie erinnert mich so an
gilt, was er se
sentimentale Heiterkeit ... lächelnde,
einen getragenen Wiener Walzer —
schalkhafte Wehmuth . .. das ist so ihr Wesen ...“
(Leni. Eine Tiroler Bauerngeschichte von Rudolf He
Stuttgart. Verlag von Greiner und Pfeiffer.) Innerhalb me
von Jugendpoesien hinunen
erscheint, fühlen wir den Auftrieb eines starten unde#
Specht verdient gelesen zu werden.
(Arthur Schnitzler, Anatol. Verlag des Bibliographischen
Bureaus. Berlin 1893. Ein pikantes, mit feuilletonistischem Geiste
entworfenes Vademecum für die Jeunesse dorée unserer Tage. In
einer Reihe leicht dramatisirter Causerien, welche der Form nach an
Gyp erinnern, hören wir eine Menge amüsanter Apereus über die
Romantik des Gargonlebens und über die Kunst Rosenketten zu schlingen
und zu zerreißen. Die landläufige Geschlechtsmoral bekommt dabei
freilich einen argen Nasenstüber, denn der junge Anatol ist eigentlich
ein kleiner Wüstling und seine Frauengestalten duften alle stark nach
Chypre. Der letzte Einakter „Anatols Hochzeitsmorgen“ läßt an haut
goüt nichts zu wünschen übrig. Aber die etwas aktmäßigen Seelen¬
gemälde zeigen so viel flott aufgesetzte und fein pointirte Lichter, daß
man gerue einen Blick in das Getriebe dieser erotischen vie de bohème
werfen mag. Schnitzler's „Anatol“ dürfte ein zahlreiches Lesepublikum
finden, darunter wohl auch viele heimliche — Leserinnen ... Das
einleitende Gedicht von Loris ist an sich stimmungsvoll, doch passen
die zierlichen Rokokoschnörkelchen ganz und gar nicht zu den folgenden
V.
hypermodernen Cabinetsstücken.
(„Ohne Ka## Sieg“. Roman aus dem österreichisch¬
2
Zum. sind Gegenstand dieses Werkes, sondern es ist
Aan¬
eine rührende, novellistisch behandelte Herzens¬
geschichte, die sich zwischen jenen Ereignissen
abspielt. Aber unsere Erzählung hebt sich viel
g0-
zu wenig von ihrem historischen Hintergrunde
die
ab. Spät erst treten die angesponnenen Fäden
end¬
mit schwacher Deutlichkeit hervor. Fast bis
laus
gegen das Ende hin bleibt der Leser über
diend
Plan und Ziel des Ganzen vollständig
iche,
im Dunkeln. Das lässt die Arbeit selbstver¬
inen
ständlich zu keinem geschlossenen Eindruck
Ver¬
kommen. Hatte aber der Dichter dennoch die
Absicht, uns jene Zeit in künstlerischer Dar¬
stellung vor Augen zu führen, so ist ihm diese
Aufgabe noch viel weniger gelungen: chronik¬
artige. fragmentarische Behandlung des Stoffes,
ohne Vertiefung, ohne Erfassen und Beleuchten
der Idce. Ad. 2.) Der Mangel an Charakteristik.
Einige schwache Ansätze sind gemacht (Martin
der Mönch, Klaus der Geiger, Jäcklein Rohrbach.
Doris Brettem, aber alles ist im Anlang stehen
geblieben. Da ist keine Figur, die sich in voller
lebenswahrer Plastik vor uns entfaltet — alles
bleibt in einem kaum angedeuteten Flachrelief
stecken. Beim Lesen der Reden und Reflexionen
muss man oft suchend die Zeilen zurücksteigen,
um die redende P’ersönlichkeit festzustellen. —
Das sind allerdings schwere Vorwürfe gegen
das Werk; sie richten sich aber nicht gegen
dlie Dichtung an sich, sondern gegen die epische
Dichtung. Sie richten sich auch nicht gegen
ahl
eien Dichter, der erst nuch einem Felde sucht.
hen
auf dem seine Kräfte sich am schönsten be¬
hen
thätigen können. Ich mag nach Vorliegendem
kein präsumptives Erteil fällen; soviel aber ist
gewiss: Richard Nordhausen ist ein vorzüglicher
Lrriker. Er beherrscht die Sprache meisterhaft,
besitzt Tiefe und Natürlichkeit der Empfindung;
die Verse zeigen Klangfülle und einen unend¬
der
lichen, durch Originalität und Schönheit ausge¬
zeichneten Bilderreichtum, wenn auch manche
schiefe oder allzu gewagte Metapher mit unter¬
läuft. Die angeführten“ vzüge treten bei den
Tyrischen Stimmungsbill
sowie bei den zahl¬
reich eingestreuten Lieb--, Trink- und Vaganten¬
liedern etc. hervor. Der volksliederhafte Ton
1
ist ihm zuweilen vorzüglich gelungen. Ich habe
manche köstliche lyrische P’erle in dem Buch
ch
gefunden. Hoffentlich hören wir bald mehr von
dem Dichter.
Berlin.
Max Wundtke.
Arthur Schnitzler, Anatol. Berlin 1893, Verlag
des Bibliographischen Bureaus, Alexander¬
strasse 2. Preis Mk. 2.50.
Traumhaftes Halbdunkel. Abgetönte Rot¬
lichtwellen ermüden das Auge. Ein wollust¬
schwüler Duft von Patschuli und Ambra. Die
schweren Seidenportièren rauschen und auf
mattroten, schwellenden Divans träumt die
Sinnlichkeit. Durch halbdurchsichtigen Gaze¬
stoft schimmern üppige Formen. Über all' dem
schwebt ein düsteres Gespenst: der Geier der
Selbstzerfleischung. — Ist das nicht ein recht
dekadentes Stimmungsbild: In dieser prik¬
keinden Athmosphäre atmet Schnitzlers Anatol.
Ger
#. 4.
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