II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 6

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4. Anato
AARAR SC
Neue Dramen.
Witz fehlt es der Darstellung nicht, vor allem in der lächer¬
„Künstler ist einer, der was kann“, sagt Schaumberger
lichen Erscheinung des halt= und grundsatzlosen Anatol.
selbst. Den Widersinn des Satzes in dieser allgemeinen
Fassung erkennt er selbst, wie es ja in beiden Dramen an
Aber jeder Genuß wird unmöglich gemacht durch die Un
sauberkeit und Stickluft dieser Verhältnisse, die im Schlu߬
treffenden Bemerkungen aus dem Gebiete der Kunst nicht
stücke: „Anatol's Hochzeitsmorgen“ einfach widerlich er¬
fehlt. Er findet die nothwendige Einschränkung in dem
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scheinen. Für wen mögen diese Dialoge geschrieben sein?
Zusatz: „Der mit Liebe arbeitet“. Ja, warum spricht er
Männlich ernst zeigt sich im erlösenden Gegensatz zu
denn nicht unverhohlen aus, daß er Kunst in ganz anderm
dem eben besprochenen Werke die Lebensanschauung Lud¬
Sinne faßt, als es bisher in deutscher Zunge geschah?
wig Fulda's im „Verlorenen Paradiese“ (Nr. 3). An¬
Eben weil die nähern Bestimmungen durch das Was? —
sgeschaut hat er das Leben ohne Selbsttäuschung, hinter
Stoff, Vorwurf — und das Wie? — die Ausführung —
die glänzende Außenseite dringt sein kühl forschender Blick.
sich stellenweise gegen sein eigenes Hervorbringen richten
Undgauch für ihn war die entschleierte Wahrheit keine
würden! Sie würden ihm auch die lose Anknüpfung des
Augenweide, kein beglückendes Idyll. Aber er ist Dichter
unvermittelten zweiten Aufzugs als unmöglich haben er¬
genug, um in dem Höllenbreughel eines Bildes unserer
scheinen lassen.
Tags noch menschliche Tüchtigkeit, geraden Sinn und un¬
Die Idee des ersten Stücks „Freude“, der Gegensatz
beirrtes Gefühl zu entdecken. Mit dem verheißungsvollen
der wahren Freude zu der bacchantischen, die „ein Rausch
Ausblick in eine mögliche Aenderung zum Bessern schließt
ist“, wird in einer stattlichen Reihe theilweise ganz leibhaft
sein Stück. Ohne in langweilige Lehrhaftigkeit zu ver¬
angeschauter Menschen verkörpert. Vervollständigt wird
fallen, führt er die unscheinbare Gediegenheit und pflicht¬
## begriff durch seinen Gegensatz im Pessimismus des
treues Selbstvergessen zum Siege, zeigt er in der welt¬
Ponn Kra##nsky. Und wie dieser Ideengehalt das Drama
männischen Leichtlebigkeit doch den unverdorbenen Kern
emporhebt, #####inen zweiten Vorzug, nämlich mensch¬
auf und wandelt die verwöhnte und verzogene „höhere
lich wahr zu sein Ten Schaumberger kennt auch rein
Tochter“ zu einem tief und rein empfindenden Wesen. Und
liebende, opfermuthigebene Menschen. Zu ihnen
alles dies erscheint in seinem Schauspiel durchaus natür¬
gehört z. B. das Künstlerpa##nd Ehepaar aus dem pietät¬
lich, wahr, ungezwungen. Soiche Motivirung stellt Fulda's
losen Menschen. Das Stück h### unt einen Aufzug, dieser
Kunst in das schönste Licht, wie es andererseits der ge¬
eine ist aber#n seinem geschickten Aufsau außerordentlich
schickte, erfindungsreiche Aufbau des Schauspiels thut. Auch
Zeichnung erscheinen anfänglich die
wirksam.
In der
das habe ich hervorzuheben, daß der Dichter diesmal ohne
Künstlerehelente etw### einfach, auch später noch klingt
unwahrscheinliche Voraussetzungen und abstoßende Natura¬
der Ausfall Wenzel's.
eben sein Bild verkauft hat.
lismen geschaffen hat. Trefflich ist die Charakteristik. Der
doch etwas wundert
Publikum wolle nur Futter
Allerweltsmann und Ueberallundnirgends, die Vertreter der
für seinen Bauch, Futter für seine geilen Sinne.
Arbeiterschaft und der schneidige Offizier a. D. mit seinem
„Arthur Schnitzler (Nr. 2) zeichnet uns in sieben
vollständigen Fiasco beim Ausstand weisen lebenswahre
drämatisirten Bildern eines Ronés Erdenwallen. Der
Züge auf; für den letztern erinnere ich nur an das „Ge¬
Dialog ist recht flott; die Auschaulichkeit der Gestalten be¬
dient?“ und „Unbewaffnet“. Was nun die Idee des Stücks,
deutend; viel moderne Weisheit über Mann und Weib als
den Verlust des Paradieses für die Menschen der Gegen¬
Gattung und das Verhättniß der beiden Geschlechter zu¬
wart betrifft, so ist ihre Doppelausführung in der Erkennt¬
einander ist eingestreut.) Die einzelnen Aufzüge, um so
niß, die der Tochter des reichen Hauses die Augen über
zu sagen, sind rein äußerlich und ganz lose durch die Person
die Quelle ihres Wohllebens öffnet, und in der Verurtheilung
Anatol's verknüpft. Ihm zur Seite steht eine Art Mephisto¬
des Lebenskünstlers Dr. Heideck durch den tüchtigen Hans
pheles in abgeblaßten Farben, ein Vertreter der sogenannten
ebenso wahr, wie ernst. Das gilt auch von ihrer Verall¬
Lebens= und Welterfahrung, Max. Mehr als die Namen
gemeinerung für die besitzenden und besitzlosen Kreise über¬
beider verräth der Dichter nicht. Er will offenbar dadurch
haupt. Aber, wie schon gesagt, der Dichter läßt uns nicht
seine Gestalten loslösen von unserer Wirklichkeit und in
stecken inmitten trostloser Unentrinnbarkeit des Lebens, wie
eine eigene Lebenssphäre versetzen, in der Sinnentaumel
es ist.
und Unsittlichkeit Daseinszweck und =Inhalt ist. Denn auch
Ungewöhnlichen Beifall hat desselben Dichters drama¬
Max nimmt einfach Anatol's Treiben als gegeben, als
tisches Märchen „Der Talisman“ (Nr. 4) gefunden. Das
Thatsache hin, er urtheilt nicht, vermittelt höchstens und
überhebt uns eines nähern Eingehens auf das Stück. All
gleicht aus. Das zahlreiche weibliche Personal ist ganz
das Lob, das man der vornehmen Art dieser Dichtung ge¬
für diese Sphäre geschaffen. Eine einzige Frau scheint
spendet hat, der Kunst der Charakteristik, der dramatischen
eine Ausnahme zu machen; aber scheint eben nur; denn
Bewegung der Handlung, der schönen Sprache und ge¬
„sie hatte nur nicht den Muth so zu lieben“, wie die
wandten Handhabung des Verses, alles das kann nur be¬
Kleine aus der Vorstadt.4 Im übrigen ist die Mannich¬
stätigt werden. Bekanntlich liegt dem Drama ein altes
faltigkeit in der Zeichnung dieser Venuspriesterinnen nicht
Märchen zu Grunde, das vielen aus Andersen bekannt sein
gewöhnlich; die Anlage und Einkleidung der einzelnen Ge¬
spräche zeugt von Geschick und Erfindungsgabe. Auch an dürfte. In der kunstvollen Erweiterung und dichterisch¬