II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 31

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besten geistreichsten dramatischen Szeuen des französischen Thea= seinem Humor eingegebene Genrebilder, gegen die nur geistige
ters aufnehmen können.
Beschränktheit oder krankhafte Prüderie etwas einwenden könnte.
Geistesverwandt mit „Anatol“ ist ein im Verlag von
Ueberhaupt — wo ein Autor uns so über den Gegenstand in
S. Fischer in Berlin erschienenes Bändchen Novellen von
freie Höhe heht, daß wir lachen müssen, da ist die in erotischen
Hermnn Bahr, welches nach der ersten Novelle den Titel:
Motiven liegende Gefahr schon überwunden.
Dora irägt. Auch auf dieses kleine Buch möchten wir den
oben zilierten Ausspruch Fontanes angewenbet wissen. Ueber
Vom Jura zum Schwarzwald. Geschichte, Sage,
den Verfasser, dessen Laufbahn wir immer im Auge behalten,
Land und Leute. Herausgegeben unter Mitwirkung einer An¬
da sein allererstes Auftreten mit im Dialog außerordentlich
zahl Schriftsteller und Volksfreunde von F. A. Stocker,
kraftvollen dramatischen Versuchen uns sein Talent bewie:,
Redaktor der „Basler Nachrichten“. (Aarau, H. R. Sauer¬
können wir mit Befriedigung mitteilen, daß er, nachdem er
länder, 1892.) 9. Band.
eine zeitlang völlig unterzugehen schien in wahren Orgien
Der verdiente Herausgeber ist leider im vorigen Jahr
hysterischer Dekadenzbelletristik über die übelriechendsten Stoffe,
aus dem Kreise der Lebenden geschieben; seine Zeitschrift, welche
sich auf einmal zu maßvolleren, künstlerisch wertvollen Leistungen
hoffentlich einen tüchtigen Fortsetzer finden wird, vermag jedoch
emporgearbeitet hat. Vor allem spricht für die Stärke seines
sein Andenken bei uns lange in Ehren zu erhalten. Die vor¬
Talentes auch sein enormer Fleiß. Hermann Bahr ist seit!
liegenden drei Hefte enthalten: vom Herausgeber die interessante
kurzer Zeit Mitredakteur der Wiener „Deutschen Zeitung" und
Lebensbeschreibung des Bildhauers Ferd. Schlöth mit Portrait
als solcher hat er in dieses Blatt eine geistige Regsamkeit ge¬
und die nicht minder lesenswerte des Malers Heinrich Jener
bracht, die nach der litterarisch=belletristischen Seite den Wert
mit dem Bilde „die Vorstädter Kirchweih von 1499 zu Solo¬
dieser Zeitung um 100 Prozent erhöht. Wunderbar ist auch
thurn“, an Erzählungen: „zweite Heirat“ von Ad. Ribane,
sein Anpassungsvermögen an das jeweilige Element, in dem er
übersetzt von Elise Ebersold (ist eigentlich nur die Skizze eines
sich bewegt. Sein Pariser= und sein Berlinertum hat er wie
Romans) und „Kloster Olsberg“, kulturhistorische Bilder (aus
Schlangenhäute abgestreift und stellt bereits den eingefleischten
der Alemannenzeit) von K. Biedermann, ferner: „das Volks¬
Wiener vor. Die drei Novellen in diesem Büchlein sind echte
schulwesen in den Jurakantonen am Ende des 18. Jahrhunderts,“
Wienergeschichten, ganz durchtränkt von dem leichtlebigen Sinn
von Walther Gimmi, Pfarrer in Schönengrund, „Natur und
der lustigen Stadt an der schönen blauen Donau. Im Ver¬
Volksleben im Schwarzwald“ von Karl Kollbach (aus dessen
gleich zu ihnen sind die neueren Berliner Romane und Novellen
„rheinischem Wanderbuch"), „Vereinigung von Groß= und Klein¬
wirklich langweilig und pedantisch, so daß man den Uebermut
basel“ aus einem Vortrage von Prof. Dr. Andreas Heusler
Hermann Bahrs, der in der Novelle „Dora“ gegenüber dem
(aus demselben sei das Fremdwort „entamirt“ hier einem
Berliner Schriftsteller Heinz Tovote, Johannes Schlaf und
größern Leserkreise zur Kenntnis gebracht), „ein Spaziergang
Arno Holz hervorbricht, für nicht unberechtigt erachten muß.
nach Bellelay“ von Jos. Schilliger in Pruntrut, „über Alter
Auch wird die kleine Bosheit den Genannten gegenüber in
und Art der Haus= und Tiernamen“ von Dr. E. L. Rochholz
einem lustigen Scherz verübt. Ein polnischer Kavalier hat mit
u. s. w. u. s. w.
G.
der von ihm geliebten F.au eines oft in Geschäften abwesenden
Wiener Stadtbahningenieurs in verschiedenen kleinen Städten
Unsere jungen Mädchen und ihre Aufgaben in
in der Nähe Wiens unerlaubte Stelldicheins. Wo nun das
der Gegenwart. Ein Buch für Eltern und Töchter. Her¬
Pärchen absteigt, da trägt der Verführer in die Fremdenliste
ausgegeben von A. Klapp (Verfasserin von „der erste Preis“
jeweilen den Namen eines der genannten Berliner Schriftsteller
„Nelly“ 2c.). (Berlin, L. Oehmigke, 1892.) 144 S. Mk. 1. 60.
ein: „Johannes Schlaf mit Gemahlin" u. s. w. So reist¬
Aehbrich wie in dem Bachtein Zwas soll der Junge wer¬
das Paar immer „unter einem von diesen gern berühmten
den?“ werden hier die einzelnen Berufe besprochen, welche das
Namen.“
Mädchen ergreifen kann; dies geschieht vom Standpunkt der
Eines natürlich wird viele Leser von „Dora“ verletzen,
Frauenemanzipation aus, aber mit Maß und Einsicht. Die
die vom Verfasser vorausgesetzte Selbstverständlichkeit dissoluten
einzelnen Erörterungen sind um so bemerkenswerter, da sie von
Ehelebens. Aber hier hat man nicht ihn verantwortlich zu
verschiedenen Verfasserinnen stammen z. B. „Ein Kapitel über
machen, sondern die Gesellschaft, wie sie ist. Wir sint doch
Gesundheitslehre“ von Dr. med. Anna Kuhnow, „Die Lehrerin
auch nicht so thöricht, Juvenal zu tadeln, sondern halten sogar
von Helene Höhnk", „Die Gärtnerei“ von Marie Millien,
seine schonungslose Schilderung der Korruption der römischen
„Photographie und Glasmalerei“ von Hildegard Lange 2c. G.
Gesellschaft für etwas wertvolles. Sollten wir nun so philister¬
zöpfisch sein, was wir dem antiken Dichter hoch anrechnen dem
Zu unserer Rezension über „Das blaue Buch“ von
modernen Sittenschilderer zum Vorwurf zu machen? Gewiß
Adalbert Meinhart und zwar speziell zu der darin ent¬
nicht. Nur lesen wir Juvenal nicht mit den Gymnasiasten und
haltenenen Erzählung: „Die Prinzessin von Portugal“ geht uns
ebenso werden wir es mit Hermann Bahrs Schriften halten
von geschätzter Seite die Mitteilung zu, daß diese Geschichte
müssen. Sie sind auf großstädtische und auf erwachsene Leser
des historischen Hintergrundes keineswegs ganz enthehre, indem
von Lebenserfahrung berechnet, auf Leser, die frei und vernünf¬
eine Chronik in der Thal einen Grafen Albrecht von Werden¬
tig genug sind, um auch den Humor der Sünde zu verstehen,
berg erwähne, der aus einem Kreuzzug eine fremde Frau nach
alle die komischen Verdrießlichkeiten, in die ein unerlaubtes Verhält¬
Werdenberg heimbrachte.
nis die Leute stürzt. So ist es z. B. von wahrhaft Molié¬
Was sodann die burgerliche Benutzung der sogenannten
rescher Komik, wenn der polnische Kavalier, den der betrogene Ehe¬
„gemeinen Matten“ betrifft, die in der mit T. gezeichneten
mann zu seinem intimen Freund erkoren hat und hiedurch
Rezension der Rechtsgeschichtlichen Abhandlungen von Wyß er¬
schrecklich langweilt, vor sich hin philosophiert: „Es kommt viel
wähnt ist, so bemurkt uns derselbe kundige Leser unseres
weniger darauf an, die richtige Frau zu finden, die einem
Blattes, daß dieser Brauch nicht wohl ein „Kuriosum“ dürfe
paßt, als vielmehr die Frau des richtigen Mannes, der einem
genannt werden, da er eine allgemein bekannte Sache und be¬
paßt. Von der schönsten, besten und nächsten Frau hat man
sonders in der Ostschweiz sehr verbreitet sei.
nichts, wenn man mit der Weise des Mannes nicht stimmt.“
Daß die Unmoral moralische Reflexionen anstellt oder doch
wenigstens ihre Ruchlosigkeit zu einem System von Lebensregeln
Berichtigung des Verfassers.
erheben möchte, das wirkt durch den innern Kontrast drollig
In voriger immer (6) des Sonntagsblattes ist Seite 44,
und dabei bleibt doch immer dem sittlichen Bewußtsein des
5. Zeile von unten Titel und Verfasser des Buches „Der
Lesers die Schadenfreude an den Wirrsalen und Verlegenheiten
schlimme Alchymist“ durch ein Versehen falsch angegeben worden.
eines solchen gewissenlosen Lebenskünstlers unverkürzt. Auch die
Es muß heißen: Der schlimme 2c. . .. Capuc. wegen seiner drey¬
beiben kleineren Novellen desselben Bandes: „Die Schneiderin“
fachen Capell schriftmäßig erforschet. Von Claudio Scho¬
und „Jeanette“, besonders das letztere Novellettchen, sind von I binger, Zürich, 1699.
Druck und Verlag von Jent & Co. in Bern.